Ganz viele Kinder hungern

KERSTIN RIETZE

Mein ganzes Leben hat eigentlich mit Kindern zu tun gehabt. Ich hab früher den Leuten, die bei mir im Haus wohnten, alle Kinderwagen spazieren gefahren und die Kinder betreut. Mir ist das wahrscheinlich in die Wiege gelegt, von daher konnte mir nichts Besseres passieren, als Tagesmutter zu sein.

Aus meiner Kita-Zeit weiß ich: Jedes Kind über dem achtzehnten Kind in der Gruppe merkt man. Es war superanstrengend. Da hab ich teilweise nachmittags in Marzahn 50 Kinder betreut. Da hat keiner nachgefragt, ob man’s schafft oder nicht.

Man kann ja eine Gruppe in Betrieb halten und schont damit seine Nerven – oder man arbeitet individuell und muss auch mal was hergeben von sich. Man erzieht ja nicht nur seine Kinder, sondern entwickelt sich auch mit.

Also Pisa … Sicherlich ist das dieser große Test, der global in der Luft steht und schlecht war. Besser gemacht hat es das nicht. Es wird mehr darüber geredet, aber es ist nichts passiert. Die in der Schule, in einer größeren Gruppe wieder auf einen Nenner zu bringen, ist Aufgabe der Lehrer. Sag ich jetzt mal einfach so. Es ist auch meine Aufgabe. Dass jedes Kind zu seinem Recht kommt, darauf muss ich achten.

Mittlerweile würde ich sagen, gibt es zwischen Kitas und Tagesmüttern Konkurrenzen. Aber das fördert ja auch die Qualität, also, ich finde das nicht schlecht. Auch unter Tagesmüttern gibt es das ganz sicher. Im Moment hat jeder so viele Kinder, da ist es egal, ob ich einen guten Ruf oder einen schlechten Ruf habe – aber das gibt auch sicher wieder Zeiten, wo mir mein Ruf vorauseilen muss, damit ich fünf Kinder betreuen kann. Man lernt dazu und bleibt jung.

Ich würde eigentlich Kinderbetreuung kostenlos anbieten wollen – für alle. Damit haben alle die Möglichkeit, sich das Günstigste, Beste für ihr Kind auszusuchen.

Ich würde versuchen, so viel wie möglich direkt ans Kind zu bringen. Es gibt ja ganz viele Kinder, die wirklich Hunger haben. Diese Kinder kommen nicht zu mir, aber ich weiß, dass es dieses Problem gibt.

Kindergelderhöhung? Nun: Die Familien, die das Geld eigentlich gut nutzen müssten für ihre Kinder, die haben mit dem Geld in der Hand immer noch nicht die Lösung.

Das Video von Kerstin Rietze gibt es unter taz.de/unerhoert

Hinweis:Kerstin Rietze, 49, Tagesmutter, Berlin Protokolle und Fotos: Kirsten Küppers und Matthias B. Krause