„Endlich mit T-Shirt“

NORDPOL Der Inuk Jemery Ukuqtunnuaq erzählt von schmelzendem Eis und erschöpften Eisbären. Teil drei der Serie Klimakinder

Eisbären: Wenn es mit der Erderwärmung und dem Schmelzen der Polkappen so weitergeht wie jetzt, dann werden die Eisbären am Ende dieses Jahrhunderts nach Angaben des WWF ausgestorben sein. Das ist auch für Menschen von Nachteil.

Menschen: Wissenschaftler sagen voraus, dass der Meeresspiegel in den nächsten hundert Jahren um 19 bis 59 Zentimeter steigen wird. Wenn das Eis auf Grönland oder in der Antarktis schmilzt, steigt er weltweit sogar um 5,5 bis 6 Meter. Millionen von Menschen wären bedroht.

VON NATALIE RIGHTON (TEXT) UND TON KOENE (FOTOS)

Am Nordpol zu leben ist ein wenig so, als würde man in der Tiefkühltruhe wohnen“, sagt der Inuk Jemery. „Hier ist es immer kalt, im Winter sogar manchmal fünfzig Grad unter null! Das ist so kalt, dass innerhalb von ein paar Sekunden alles festfriert. Als ich einmal meine Handschuhe draußen vergessen hatte, sind sie innerhalb von einer Minute am Boden festgefroren und ich habe sie erst wieder im Sommer losgekriegt, als das Eis getaut ist.“ Der 10-Jährige muss sich schützen: „Ich trage Kleidung aus Leder“, sagt er, „das ist viel wärmer als eine normale Winterjacke.

Das Iglu wurde zum Zelt

„Die Inuit, die ich kenne, leben ganz normal in Holzhäusern mit einem warmen Ofen darin. Wir sind doch nicht verrückt!“, sagt Jemery. „Aber die Eltern von allen meinen Klassenkameraden wurden noch in Iglus geboren.“

Für die Inuit ist das Iglu eine Art Zelt geworden, erklärt Jemery: „Wenn Inuit auf die Jagd gehen und es nicht bis zum Einbruch der Dunkelheit nach Hause schaffen, dann bauen sie ein Iglu, um darin zu schlafen.“

„Jagen ist für Inuit eine ziemlich normale Sache“, sagt Jemery. „Wir Kinder gehen am Wochenende mit unseren Vätern und Opas auf Jagd. Meistens jagen wir Fische, Eisbären oder Seehunde.“ Letztere knüppeln sie aber nicht nieder, sondern bohren ein Loch ins Eis, hängen einen Angelhaken mit Köder rein – und warten stundenlang, bis einer anbeißt. „Ich finde es überhaupt nicht traurig, Tiere zu jagen. Wir jagen, weil wir Hunger haben“, sagt Jemery.

Jeden Tag Fleisch oder Fisch aus dem Supermarkt, das ist viel zu teuer für seine Familie. Denn wie viele anderen Inuit aus dem Dorf sind auch sie sehr arm. „Manchmal gehe ich mit einem knurrenden Magen ins Bett, weil es nichts zu essen gibt“, sagt Jemery.

In der Schule hat er schon vom Klimawandel gehört. Was das aber genau ist, weiß er nicht. Aber er hat mitbekommen, dass sich derzeit viel verändert: „Früher haben sich die Inuit auf der Jagd an ihren eigenen Spuren im Schnee orientiert, um zu sehen, wo sie langgelaufen sind. Aber seit ein paar Jahren befindet sich die ‚Natur im Krieg‘, wie mein Opa sagt. Der Wind verändert plötzlich die Richtung, und die Art des Schnees ist auch anders als früher, deshalb verirren sich die Inuit.“

Auch dem Eis kann man nicht mehr trauen. „Vor zwei Jahren sind zwei Inuit im Juli im Eis eingebrochen. Früher hat es im Juli noch getragen. Das ist schlecht für die Eisbären“, sagt Jemery, „denn ein Eisbär braucht Eis, um seine Jungen zu bekommen und darauf zu jagen. Er geht von Scholle zu Scholle, um Seehunde zu fangen. Weil aber so viel Eis geschmolzen ist, müssen sie jetzt lange am Stück schwimmen. Manche Eisbären sind davon total erledigt und ertrinken.“ Das findet Jemery traurig.

Um sich selbst macht sich Jemery Ukuqtunnuaq aber keine Sorgen. Er findet es schon „echt in Ordnung“, dass es am Nordpol immer wärmer wird. „Hier ist es schon kalt genug! Ich würde gerne im Sommer im T-Shirt draußen spielen können!“