Ostexport 7: Mut zum Abriss

VON KIRSTEN KÜPPERS

Als sie in Leipzig, in Chemnitz und in anderen Städten des Ostens anfingen, ihre Wohnblocks abzureißen, war das ein sympathisches Eingeständnis des Scheiterns. Ganze Straßenzüge und Stadtteile fielen zu einem Haufen Bauschutt zusammen, und niemandem schienen sie zu fehlen. Die alten Bewohner waren schon lange vorher gegangen. Das Fernsehen zeigte manchmal eine vereinzelte Rentnerin, die noch traurig auf einen Schutthaufen guckte. Die Rentnerin sprach von den Kindern, den Kühlschränken, den Heizkörpern, die in den Wohnungen der Häuser gestanden hatten. Schnell war klar: Die alte Frau trauerte den Zeiten mit den Kindern und Kühlschränken mehr hinterher als den Bauten, in denen dieses Leben stattfand. Die Rentnerin stapfte aus dem Bild, die Bagger knatterten von der Baustelle. Zurück blieb eine schöne Weite.

Die Städte im Westen sahen dagegen bald ziemlich eng und schäbig aus. Sie waren voll gestellt mit wuchtigen Wohnblocks, billigen Hotels und Spielhallen. Es gab Fußgängerzonen mit fensterlosen Kaufhaus-Ungeheuern, in die auf einmal keiner mehr gehen mochte. Alles Moderne, vielleicht sogar Demokratische dieser Architektur schien in einen Riss im Waschbeton gerutscht, oder unauffindbar in irgendeinen schmutzigen Fahrstuhlschacht gefallen.

Die Altstädte im Osten leuchteten plötzlich in knalligen Farben. Die großen Tankstellen und Sparkassenzentren standen jetzt auch im Osten. In den neuen städtischen Brachen nisteten seltene Vogelarten.

Das Ruhrgebiet hat als Erstes reagiert. Die Bürgermeister dort haben schnell verstanden, welch preiswerte und reinigende Leere eine Abrissbirne inmitten unserer überalterten Konsumgesellschaft hinterlässt. Andere westdeutsche Städte wie Bremerhaven, Frankfurt am Main und Ludwigshafen folgten, sie jagten ein paar Häuser in die Luft und fühlten sich hinterher besser.

Das alles ist eine begrüßenswerte Entwicklung. Eine gelegentliche Sprengung hier und da ist ja tatsächlich eine sehr befreiende Angelegenheit. Warum damit nicht weitermachen? Die Kinopalastarchitektur der 90er-Jahre, die Eigenheimreihen in den Randlagen und die neuartigen Einkaufsburgen würden als gewaltige Detonation auch einen ziemlich guten Eindruck hinterlassen.

Kirsten Küppers ist sonntaz-Autorin. Geboren 1972 in Heidelberg, lebt sie heute in Ostberlin