„Wir dürfen uns nicht anpassen“

Lukas Kircher wurde 1971 im österreichischen Klagenfurt geboren. Er hat in Wien Visuelle Mediengestaltung studiert, war Art Director bei der österreichischen Tageszeitung Die Presse und bei der Berliner Zeitung. Nach einem Jahr in der Entwicklungsgrafik des Stern gründete er im Jahr 1999 die heutige Agentur KircherBurkhardt mit Sitz in Berlin. 2002 kam Rainer Burkhardt in die Geschäftsführung. KircherBurkhardt gehört zu den renommiertesten Agenturen für Editorial Design (Gestaltung von Printprodukten) und Corporate Communications (Unternehmenskommunikation).

Nelli Havemann, Jahrgang 1977, gebürtige Hamburgerin, ist Creative Director bei KircherBurkhardt, wo sie seit 2000 tätig ist. Sie wirkte unter anderem an der Neugestaltung der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit und verantwortete den später preisgekrönten Relaunch des Tagesspiegels. Zuvor war Havemann Grafik-Designerin bei der Berliner Zeitung. Zusammen mit Lukas Kircher hat sie das neue Layout entwickelt, in dem die taz ab nächstem Samstag erscheint. Mehr dazu im zweiten Kasten auf dieser Seite. Mehr zur Agentur KircherBurkhardt auf Seite 2 dieser Ausgabe.

Am 18. April erhält die taz ein neues Layout. Ein Gespräch mit den Zeitungsdesignern Lukas Kircher und Nelli Havemann über den Reiz am Frickeln, die Neuen Medien und Hausfriedensbruch

taz: Frau Havemann, Herr Kircher: mein Beileid.

Lukas Kircher: Weshalb?

Na, Sie sind bald arbeitslos. Zeitungen sterben ja aus, heißt es. Und dann können Sie keine mehr designen.

Kircher: Das kann ich nur zurückgeben; sie arbeiten für einen Zeitungsverlag. Außerdem befassen wir uns hier zur Hälfte mit journalistischen Online-Projekten. Journalismus wird es immer geben – und damit auch das, womit wir uns beschäftigen: Wie man Angebote intelligenter vermittelt. Ob Journalismus dauerhaft auf Zellulose gebannt sein muss, ist eine Frage, die sich gerade schwer beantworten lässt. Jeder, der weiß, wie es in fünf Jahren aussieht, ist bei uns willkommen. Als Berater.

Teilen Sie das Gejammer um sterbende Zeitungen also nicht?

Kircher: Es ist natürlich schade, weil damit eine ganz bestimmte Kultur des Journalismus verschwindet. Da entwickelt sich eine neue Kultur, die technikgetriebener ist, mit anderen Deadlines arbeitet. Und die andere Anforderungen an Journalisten stellt. Wir müssen nun überlegen, wie wir alles vernetzen, die Medien intelligent dialogisieren.

Nelli Havemann: Für uns als Editorial Designer ist das auch eine Chance. Wir haben mehr Möglichkeiten durch die Neuen Medien. Wir werden dem Papier auch hinterhertrauern; gleichzeitig beginnen wir aber, zu experimentieren.

Wie muss sich eine Zeitung aufstellen, damit sie sich gegen die Neuen Medien behaupten kann?

Kircher: Das ist eine gute Frage, auf die es derzeit keine Antwort gibt. Man muss dabei auch beachten, dass Change Management bei Verlagen bisher immer hieß: Man macht ein neues Design. Oder man verkleinert das Format. Change Management in der Industrie bedeutet aber, dass sich ein gesamtes Unternehmen, also hier ein Verlag, ganz neu aufstellen muss. Das ist ein gravierender Unterschied: In den letzten 20, 30 Jahren war das so nie nötig. Jetzt aber schwappt eine strukturelle und eine Wirtschaftskrise gleichzeitig auf die Verlage zu. Das ist wirklich ein Tsunami.

Havemann: Zeitungen müssen in der heutigen Medienlandschaft natürlich noch mehr Orientierung bieten. Leser hinterfragen auch öfter, was in der Zeitung steht, weil sie viel mehr Informationsquellen haben. Die Zeitung soll analysieren, erklären, eine Haltung haben.

Kann man eine Zeitung mit einem guten Redesign retten? In Osteuropa wurden da teilweise Absatzsteigerungen von bis zu 100 Prozent erzielt.

Kircher: Die osteuropäischen Märkte sind ohnehin Wachstumsmärkte. Wir haben es hierzulande eher mit Auflagenrückgängen zu tun, weil der Markt gesättigt ist. Was hier öfters gelingt, ist eine Stabilisierung, aber das hängt stark davon ab, was man unter Design versteht. Der europäische Designbegriff ist an einer Ästhetisierung bereits vorhandener Funktionalitäten und Inhalte orientiert. Aus dieser Ecke müssen wir raus. Wir müssen überlegen, was die Leser brauchen und in welchen Lesesituationen wir sie antreffen. Eine problem- und kundenorientierte Analytik wird immer wichtiger. Deshalb trennen wir Funktion und Design hier nicht.

Havemann: Die Leser werden keine Zeitung kaufen, weil sie schöner aussieht, sondern weil sie ihnen etwas bringt, ihnen weiterhilft. Im Verständnis von komplexen Themen oder bei alltäglichen Fragen.

Ist das also eine Anpassung an die Neuen Medien: Schnell reinkommen, schnell lesen?

Kircher: Ich finde die Diskussion viel zu technologiegetrieben. Wir passen uns nie an neue Techniken an; wir passen uns aber sehr wohl an neue Leseverhältnisse an, also an Menschen.

Aber die Neuen Medien bedingen die neuen Leseverhältnisse.

Kircher: Sie sind Auslöser, ja. Doch anpassen dürfen wir uns nicht. Wir müssen sehen, dass wir die Probleme der Leser im täglichen Nachrichtenkonsum lösen – das ist unsere Aufgabe.

Häufig empfinden Leser ein neues Design wie einen Einbruch in ihre Wohnung. Auch wenn die Möbel noch da sind – sie wurden verrückt.

Kircher: Stimmt. Zeitungen sind nicht reine Informationstransportmaschinen. Eine Änderung daran ist Hausfriedensbruch. Wobei das sehr unterschiedlich ist: Ich kann mittlerweile sagen, dass die Härtesten und Konservativsten meistens die Redaktionen selbst sind. Und dann kommen mit langem Abstand deren Leser.

Havemann: Die wollen meist keine andere Zeitung – sie wollen eine bessere.

Wie weit darf man also bei einem Redesign gehen?

Kircher: Es gibt zwei Arten der Überarbeitung: Bei der ersten ist man sich seiner publizistischen Strategie absolut sicher und möchte handwerkliche Verbesserungen machen, neue Themen setzen, mehr Service und so fort. Das nennen wir Redesign. Einen richtiger Relaunch bedeutet, die Marke zu schärfen, klar zu sagen, wo man steht. Und sich vielleicht von ein paar Sachen zu trennen und andere hinzuzunehmen.

Wie beginnen Sie, wenn Sie eine Zeitung entwerfen?

Kircher: Zuerst mal wird man wahnsinnig. Dann denken wir viel darüber nach, welches Gefühl das Produkt auslösen muss. Anschließend bauen wir die Zeitung. Man kann sich zwar kein Design vorstellen, aber man kann sich vorstellen, was ein Design im Kopf anrichten könnte. Und wenn wir genau wissen, was wir anrichten wollen, versuchen wir das passende Design dafür zu finden.

Klingt ziemlich abstrakt.

Kircher: Ja. Oft machen wir tagelang gar nichts, weil das Gefühl noch fehlt.

Havemann: Wenn wir es dann aber haben, wird es schnell konkret. Dann fangen wir an zu überlegen, welche Schrift wir nehmen müssen, welche Farben, wie der Rhythmus der Zeitung sein muss, wie man das Blatt orchestriert... Aus dem Gefühl leiten sich alle handwerklichen Dinge ab.

Wie lange dauert dieser Prozess?

Kircher: Bis man die ersten Grundideen hat, so drei bis vier Wochen. Im Film gibt es das auch. Das heißt da: high concept pitches. Also mit wenigen Wörtern beschreiben, was das wird, damit die gesamte Mannschaft weiß, in welche Richtung es geht. Beispielsweise dieser dämliche Film „Speed“ mit Keanu Reeves und Sandra Bullock. Da hieß es einfach: „Die hard on an bus“.

Damit ist alles gesagt.

Kircher: Ja. Und da ist es erst mal unwichtig, wie man es macht, mit welchem Bus und wer da mitspielt. Man hat erst mal nur das Gefühl, die Grundeinstellung. Und dann geht‘s weiter.

Man kann so viele schöne Sachen designen, zum Beispiel die Sessel, auf denen wir hier sitzen. Warum designen sie ausgerechnet Zeitungen?

Kircher: Als ich zum ersten Mal in eine Redaktion gekommen bin, wollte ich da nie wieder raus. Es gibt ganz wenige Designrichtungen, wo Form und Inhalt so unmittelbar und brutal aufeinander treffen. Es ist die Gleichzeitigkeit an intellektueller und ästhetischer Herausforderung, die einen immer wieder fordert. Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie man jahrlang an einer Zitronenpresse herumschrauben kann.

Havemann: Es ist der Reiz, immer wieder aufs Neue zu überlegen, wie man eine Geschichte besser erzählt.

Gibt es Handschriften von Kollegen, die Sie gleich erkennen?

Kircher: Das kann man schon ahnen. Ist aber schwieriger geworden, weil die Auftraggeber häufig das verlangen, was gerade erfolgreich ist – mit ein paar Änderungen.

Wie entstehen die Trends?

Havemann: Unterschiedlich. Einerseits gibt es eine allgemeine Ästhetik, die gerade in ist. Dann spielt der technische Fortschritt rein, Drucktechniken etwa.

Kircher: Treibend sind auch die Sonntagszeitungen. Da wird noch mehr gebastelt. Und die Dinge, die sich da bewähren, werden durchgereicht in andere Zeitungen. Es ist nicht so leicht, weil Editorial Design einen geringen Stellenwert hat in den Zeitungshäusern. Viele Designer wurden abgebaut, was absurd ist, weil die Leute verantwortlich sind für ein Drittel der Fläche.

Wie viele Zeitungen liegen bei Ihnen täglich auf dem Tisch?

Am Samstag, 18. April, erscheint die taz in einer neuen Optik und erstmals mit der neuen Wochenendzeitung, der sonntaz. Seit Monaten wird an dem Relaunch gebastelt, immer mit dem Ziel, Ihnen, den Leserinnen und Lesern, eine noch bessere Zeitung zu bieten. Und zwar ohne dabei das über Bord zu werfen, wofür die taz geschätzt wird: den Spagat zwischen Leichtigkeit und inhaltlicher Tiefe. Das Resultat: Eine aufgeräumte, frische taz. Eine taz, die noch mehr wert legt, die gedruckte mit der digitalen Zeitung zu verknüpfen. Und eine taz, die Ihnen am Wochenende künftig eine ganze Menge bietet: Denn samstags erscheint die taz ab nächster Woche komplett in Farbe. Vorne: 12 Seiten Nachrichten, die die abgelaufene Woche beschließen, ganz klassisch. Und hinten: 20 Seiten sonntaz, mit Reportagen Geschichten, Interviews, die in die kommende Woche weisen. Kurzum: Wir sind bereits zur Veränderung. Sie auch? Dann abonnieren Sie die taz: 5 Wochen frei Haus für 10 Euro. Das Probeabo endet automatisch. Infos unter: (030) 25 90 25 90 oder in Internet unter: taz.de/abo

Kircher: Ha, wir könnten einen Kiosk aufmachen.

Und wie lesen Sie diese Zeitungen?

Havemann: Also, aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zum Beispiel schmeiße ich erst mal alle Bücher raus, die ich nicht lese...

Kircher: Bei mir ist es ähnlich. Aber ich habe zwei Kinder, die sind zwei und vier Jahre alt. Deshalb behalte ich alle Teile der Zeitungen, auch wenn ich sie nicht lese. Und meine Kinder bauen dann lustige Kugeln daraus.

Welches Produkt würden Sie sich gerne noch vornehmen?

Kircher: Die Herald Tribune.

Okay. Aber Sie waren doch auch mal beim Stern. Der könnte auch mal wieder ein Redesign vertragen.

Kircher: Oh ja, der Stern wäre gut. Das ist so eine einzigartige Zeitschrift – eigentlich. Da was Tolles draus zu machen... Aber die haben ja gerade wieder einen neuen Art Director.

Ihr Kollege, der Zeitungsdesigner Mario Garcia hat gesagt, er stelle sich jeden Morgen vor, wie drei Millionen Menschen eine Zeitung lesen, die er gestaltet hat. Wachen Sie auch mit einem derart erigierten Ego auf?

Havemann: Nein, aber wenn ich U-Bahn fahre und jemanden sehe, der eine Zeitung liest, die ich gemacht habe, bin ich auch stolz. Das ist diese sehr direkte Befriedigung, die man als Editorial Designer hat: Dass man nach langer Entwicklung ein Produkt hat, das jeden Tag neu erscheint und womit Leute leben.

Glauben Sie denn wirklich, dass Leser Design ständig so bewusst wahrnehmen? Sagen die nicht eher: Da habe ich einen guten Artikel gelesen...

Havemann: Naja, wir tragen ja dazu bei, dass er die guten und spannenden Artikel überhaupt findet und liest. Wenn nur Scheiße drin steht, hilft natürlich auch das Design nichts.

INTERVIEW: BORIS ROSENKRANZ