Sushi von Jasushi

SNACK Wie freundliche Gespenster ziehen zwei Japaner durch die Nacht. Sie verkaufen Sushi an die Berliner und sind die Helden ihres privaten Films

Das Essen: Sushi besteht aus erkaltetem, gesäuertem Reis mit rohem oder geräuchertem Fisch, oftmals auch mit Nori, getrocknetem und geröstetem Seetang. Während in Japan Sushi traditionell mit der Hand gegessen werden, verwenden die meisten westlichen Konsumenten Stäbchen. ■ Die Tradition: Sushi kommt ursprünglich von den Anrainern des südostasiatischen Flusses Mekong. Sie konservierten Fisch in Gefäßen mit gekochtem Reis, wo er fermentierte. Das Reisgericht breitete sich über China nach Japan aus. Dort wurde es als Sushi erstmals im Jahr 718 erwähnt.■ Der Verzehr: Sushi werden nicht abgebissen, sondern im Stück in den Mund geführt. Wasabi und Sojasauce werden separat zum Würzen jedes einzelnen Sushi verwendet. Dazwischen wird Gari, eingelegter Ingwer, gegessen, um den Geschmack der Fischsorten zu neutralisieren.■ Die Sorten: Nigiri-Sushi ist eine Reisrolle, belegt mit Fisch, Meeresfrüchten oder Omelette. Maki-Sushi wird in Algen eingerollt. Sashimi wird in vielen Sushi-Kochbüchern erwähnt, ist aber kein Sushi, sondern besteht nur aus ansprechend zubereitetem Fisch und Meeresfrüchten.

VON KIRSTEN KÜPPERS

Wer in diesen Nächten durch die kalten Straßen von Berlin zieht, kann die beiden Japaner treffen: Einen jungen Mann in einem weißen Karate-Anzug, der einen Bauchladen umgeschnallt hat. Neben ihm ein Mädchen mit kurzen Haaren, Wollschal, Anorak und Leopardenstrumpfhose. Leise ruft sie: „Sushiiiiiiiiii! Sushiiiiiiiiiii!“ Im Dunkel klingt es wie ein seltsames, fremdes Lied. Auch wegen des weißen Karateanzugs geben die beiden Japaner im Schneematsch eine geisterhafte Erscheinung ab.

Der Winter hat Berlin fest im Griff, die Erschöpfung des alten Jahres hängt noch über der Stadt. Jeder sieht zu, dass er schnell nach Hause kommt. Die Japaner schlittern über die vereisten Straßen wie zwei freundliche Gespenster, unbestimmte Leichtigkeit geht mit ihnen. Vor drei Wochen waren sie noch in Tokio, jetzt sind sie irgendwo in der schmutzigen Dunkelheit Berlins gelandet, sie können nur wackeliges Englisch, das Mädchen macht andauernd Blitzlichtfotos mit der Digitalkamera, sie sind Touristen. Keiner hier hat auf die beiden gewartet. Aber jetzt rutschen sie durch Neukölln, aufgeputscht von ihrer Geschäftsidee.

Die Idee geht so: Der junge Mann läuft mit seinem Bauchladen und in Begleitung seiner Freundin von Kneipe zu Kneipe und bietet kleine Sushi-Pakete an. Für drei Euro das Stück. „Real Japanese Sushi“, wie er sagt, selbst gemacht.

Beide studieren Kunst. Bis zum Sommer bleiben sie in Berlin, das Geld für die Reise haben sie gespart, sie wohnen bei einem japanischen Freund. Sie essen gern Sushi und haben Asia-Imbisse getestet, aber nichts gefunden, was wie Sushi in Japan schmeckt. Dafür haben sie an einem der ersten Abende in einer Bar einen Araber gesehen, der belegte Brötchen verkaufte.

Der junge Japaner heißt Jasushi. Das kann Zufall sein, er selbst nennt es „fortune“. Vielleicht ist eine Karriere in der Sushi-Gastronomie mit diesem Namen unausweichlich. Die Abende in der Neuköllner Wohnung laufen jetzt jedenfalls immer gleich ab: Der 22-jährige Jasushi steht in einer Küche, die vor keinem deutschen Gesundheitsamt bestehen würde, er knipst den Elektroreiskocher an. Den hat er aus Japan mitgebracht, weil er im Ausland nicht auf den gewohnten Reis verzichten möchte. Das andere Sushi-Zubehör haben sie im Asia-Shop um die Ecke gekauft.

Den fertigen Klebreis schichtet Jasushi auf Algenpapier, seine 21-jährige Freundin Shiori reicht ihm den Reisessig und fotografiert. Die Mülltüten stehen auf dem Boden, hinter der Küchentür warten die Rollkoffer, im Hintergrund läuft experimentelle Geräuschmusik. Das Leben ist kein Berg von Verpflichtungen, Jasushi und Shiori befinden sich in jener schönen Phase, in der es wichtigere Dinge gibt als eine aufgeräumte Wohnung.

Die beiden packen die fertigen Sushi-Rollen in eine Plastikbox. Sie haben eineinhalb Stunden gebraucht, für sieben Päckchen. Wenn sie alle verkaufen, verdienen sie 21 Euro. „Money is not important“, sagt Jasushi und zuckt mit den Schultern. Shiori kichert und richtet den Musterteller her. Auf einen Pappteller legt sie vier Sushi-Rollen, löffelt grüne Wasabi-Paste dazu und stellt einen Origami-Papiervogel daneben. Jasushi zieht den Karateanzug an, den Bauchladen hat er aus einem Regalbrett gebastelt. Er hat ein weißes Tuch darüber gehängt und „Japan Sushi“ darauf geschrieben.

Der junge Japaner heißt Jasushi. Das kann Zufall sein, er selbst nennt es „fortune“

Draußen macht der Schnee die Welt langsam, es ist kurz nach 21 Uhr, ein Hund kläfft. Es ist eine mitgenommene Gegend hier, Aufstieg und Abstieg liegen nah beieinander. Die alten Eckkneipen hoffen auf keine Zukunft mehr, die Zuwanderer in den Telefonshops scheinen in einer Warteschleife festzuhängen. Junge Leute eröffnen unterdessen Galerien und Bioläden, ihre Bars richten sie ein wie die Wohnzimmer ihrer Kindheit. Es gibt Gewinner und Verlierer, und wenn die Wirtin der Eckkneipe Oase Jasushi hinterherbrüllt: „Nee, wir brauchen kein Sushi“, dann hört man am Schneiden ihrer Stimme, dass es eine Menge gibt, was sie nicht gebrauchen kann.

Die Japaner wissen nichts davon, sie laufen einfach als Helden durch ihren privaten Film. In der Lambada Musik Kneipe sitzen geschminkte türkische Frauen an Spielautomaten und starren Jasushi in seinem Karateanzug an. Ein Türke lehnt an der Bar, kauft ein Päckchen und ruft: „Hm, lecker! Mein Kollege hat auch einen Sushi-Laden. Türkisch Sushi! Da ess ich immer!“

Nächste Station ist eine Bar. Die Gäste hocken in Mänteln und Kapuzenpullovern und sprechen über „kulturelle Identitäten“. Jasushi nestelt die Klarsichthülle vom Musterteller und verkauft drei Päckchen. Im Schlawinchen hauen betrunkene Neuköllner ihm anerkennend auf die Schulter. Geschmeidig bugsiert Jasushi seinen Bauchladen, sie gehen einfach überall rein, in die Schwulenbar Ficken 3000 mit Darkroom genauso wie ins türkische Männercafé. Sie trauen sich mehr als die meisten, die hier wohnen. Bis die Kunden probiert haben, ist Jasushi schon wieder draußen, keiner fragt, ob der Fisch auch frisch ist. In der Spielhalle raunzt einer: „Wenn du Döner dabei hättest, hätten wir zehn genommen!“ Nach einer guten Stunde sind sie alle Sushi-Päckchen los.

Man könnte fragen, was das Ganze soll. Die beiden werden nicht reich. Es ist auch nicht so, dass sie nicht auf Sushi verzichten könnten. Jasushi kauft sich jeden Morgen an einem Imbiss eine dicke Scheibe Kassler zum Frühstück. Er isst so gern Wurst, Shiori nennt ihn schon „Wurstminister“. Warum also die Mühe? Jasushi guckt auf seine Hände, die rot sind vor Kälte, er sagt: „Japanese like to work.“ Es ist eine Winternacht in Berlin, vielleicht zu verschneit, als dass alles restlos zu klären wäre. Sie gehen nach Hause, Shiori singt ein bisschen und fotografiert. Sie wird diesen Berliner Winter in der Kamera mit nach Hause nehmen. Sie wird ihn nicht vergessen.