AUFM PLATZ
: Spanien kann nur: Dominanzpassspiel

Soll das schöner Fußball sein? Kaum eine Mannschaft spielt so viele Querpässe wie die Spanier. Xavi und Andres Iniesta schieben sich den Ball über kürzeste Entfernungen zu, aber niemand im Stadion stöhnt auf. Die Fußballexperten, auch Bundestrainer Joachim Löw, schwärmen sogar. „Die Spanier beherrschen das Spiel. Das kann man bei jedem Pass sehen“, sagte er in Durban.

Schöne Querpässe? Es ist die Sicherheit im Spiel der Spanier, die fasziniert. Dabei geht es zunächst nicht um den schnellen Raumgewinn, ums Vordringen. Es geht um die Beherrschung des Raums. Sie brennen kein Feuerwerk ab, die Spanier, und gefallen doch.

„Wir können gar nicht anders spielen“, sagte Iniesta nach dem Spiel und tat so, als könne er selbst nicht erklären, wie diese unglaubliche Dominanz auf dem Platz entsteht. Dabei ist das spanische Spiel im Mittelfeld derart unkonventionell, dass niemand auf die Idee kommen würden, es sei nicht geplant. Der Unterschied zum deutschen Passspiel im Zentrum verdeutlicht die Eigenheit der spanischen Ballbesitzfußballs. Während die Deutschen die Vorgabe haben, nach einem Pass durchzustarten und weg vom Ball, im Idealfall vertikal nach vorne zu laufen, laufen die spanischen Mittelfeldspieler ihrem eigenen Abspiel nach. Sie bieten sich in der Nähe des Balls wieder als Passempfänger an. Unterstützt werden sie dabei immer von einem der defensiven Mittelfeldspieler Xabi Alonso und Sergio Busquets. Weil alle vier „herausragende Fußballer“ (Spaniens Trainer Vincente del Bosque) sind, haben sie, auch wenn es eng wird, keine Probleme, den Ball sicher an den Mitspieler zu bringen.

Von links nach rechts, von rechts nach links. Das spanische Dreimannspiel läuft seelenruhig über das Feld. Währenddessen suchen die Stürmer – gegen Deutschland war das neben David Villa der überaus frische Pedro sowie der offensiv bisweilen unwiderstehliche Rechtsverteidiger Sergio Ramos – nach freien Räumen. Die entstehen immer dann, wenn ein Spanier im Mittelfeld eine Eins-zu-eins-Situation für sich entscheidet. Dann muss einer aus der Verteidigungskette aushelfen. Und urplötzlich wird das Spiel schnell, der Ball vertikal gespielt. Dass den Spaniern dies nicht allzu oft gelungen ist, spricht für die deutsche Verteidigung. Das Tor resultierte aus einer Ecke.

Die Streben nach Überzahl in Ballnähe bestimmt auch das Defensivverhalten der Spanier. Der ballführende Spieler des Gegners wird sehr früh und nicht selten von zwei Spielern gestellt. Die daraus resultierende Notwendigkeit, eine schnelle Lösung zu finden, hat die Deutschen am Tag des Halbfinales überfordert. Und was haben sie gemacht, wenn in Ballnähe kein Anspielpartner zu finden war? Den Ball verloren. Und wieder ging es von vorne los, das spanische Dominanzpassspiel.

Das soll sich jetzt gegen die Niederlande auch durchsetzen. Ob es gegen deren brachiales defensives Mittelfeld mit Mark van Bommel und Nigel de Jong ebenso gut funktioniert wie gegen Deutschland, wird sich zeigen. Spaniens Trainer Vicente del Bosque sagte, ohne auch nur eine winzige Spur von Euphorie über den ersten WM-Finaleinzug einer spanischen Mannschaft zu zeigen: „Wir haben noch ein Spiel vor uns. Holland wird ein sehr schwerer Gegner.“

ANDREAS RÜTTENAUER