Post ohne Amt

POSTALGIE Die Deutsche Post AG hat ihre Filialen in Bäckereien und Blumenläden ausgelagert. Die Kunden sind jetzt zufriedener. Mufflige Beamte wurden zu lächelndem Servicepersonal erzogen. Doch die gestressten Mitarbeiter fluchen. Bald schließt das letzte Postamt

■  Die Reform: Die Postreform I hat 1989 aus der Bundesbehörde drei privatwirtschaftliche Unternehmen gemacht: Telekom, Postbank und Post. Mit der Postreform II wird 1994 aus der Post eine Aktiengesellschaft. Amtsvorsteher werden zu Niederlassungsleitern – und Postämter zu Filialen. Während der Konzern unter seinem Vorstandsvorsitzenden Klaus Zumwinkel auf den Weltmarkt drängt, dringt die Politik auf ein ausreichend großes Filialnetz. In der Post-Universaldienstleistungsverordnung schreibt der Staat vor: In Deutschland muss es mindestens 12.000 Filialen mit Postleistungen geben.

■  Die Agenturen: Die Post beginnt 1993 ihr Filialnetz umzubauen. Die alten Ämter werden geschlossen, an ihre Stelle rücken so genannte Postagenturen. Briefmarken und Paketsets gibt es jetzt auch in Supermärkten, Bäckereien oder Dönerbuden. Die Öffnungszeiten verbessern sich erheblich. Seit 1995 schickt das Unternehmen Testkunden des Emnid-Instituts in die Filialen, um den Service auszuwerten. Die Zahl der eigenen Postfilialen streicht der Konzern rigoros zusammen, bis die Spitze 2008 mitteilt: Im Jahr 2011 soll es keine eigenen Filialen mehr geben.

■  Die Vorgänger: Auch wenn die Idee der Postagenturen Anfang der Neunziger aus England und den Niederlanden nach Deutschland kommt: Schon im Mai 1871 hatte das damalige Generalpostamt Postagenturen geschaffen. Für die Abrechnung wurden sie benachbarten Postanstalten zugewiesen. Die Betreiber waren keine Beamten, sondern Landwirte, Lehrer, Krämer oder Wirte, die von Postlern ausgebildet wurden. Im Jahr 1926 gab es 10.838 solcher Agenturen. Seit 1939 hießen die Postagenten „Posthalter“, die Einrichtungen „Poststellen“, bis das Agentur-Konzept unter dem ursprünglichen Namen 1993 wiederbelebt wurde. Mehr auf: www.taz.de/post

VON JOHANNES GERNERT

Es begann alles damit, dass das schusssichere Panzerglas entsorgt wurde. Martin Sachs’ Schalter hatte jetzt keine Scheibe mehr. Die Postbenutzer standen direkt vor ihm und hießen nun Kunden. Er konnte sie riechen.

Die Kunden konnten, wenn sie wollten, einfach einen Arm über die neue Sperrholztheke strecken und nach Sachs’ Formularen greifen. Er musste die Briefmarkenmappe wegschließen. Die Formulare waren sowieso weniger geworden, seit sie keine Urkunden mehr ausstellten, kein Dienstsiegel mehr hatten. Die Post war zu einer Aktiengesellschaft geworden und Martin Sachs zu einem Beamten ohne Behörde.

Es gab an seinem Schalter nun wesentlich mehr Prospekte. Yello Strom, Knochenbruchversicherungen, Faber-Lottoscheine. Haben Sie schon ein Postbank-Girokonto? Sachs sollte dazu lächeln, und anfangs bemühte er sich darum, obwohl er schon da ein seltsames Unbehagen spürte. Ohne Panzerglas. Aber er wollte sich auf die neue Post-Zeit einlassen. Das Konzept hieß Open Service, die Deutsche Post AG hat es nach und nach in allen Postämtern eingeführt, die längst Filialen genannt werden. Anfangs haben Kunden die Postler per Handschlag begrüßt, die Scheibe war ja weg. Es roch nach Neuanfang, nach dem Ende der Post-Müffelei. Freilandhaltung statt Käfig, haben Sachs’ Kollegen gesagt. Da wusste er noch nicht, wohin das alles führen würde.

Sachs schloss selbst Knochenbruchversicherungen ab, kaufte die Aktien, für die Thomas Gottschalk, dessen Bruder und ein gelber Bulle im Vorraum warben. Das war 2000, ein neues Jahrtausend, die Post ging an die Börse. Martin Sachs investierte später sogar ein paar tausend Euro in den „Global Player“-Fonds der Postbank. „Wir haben alles geglaubt“, sagt er.

Ende dieses Jahres wird die Post fast keine eigene Filiale mehr besitzen. Sachs wird als Leiter noch eine schließen, seine letzte. Mit den Aktien hat er 6.000 Euro verloren. Den „Global Player“ hat er längst verkauft. Er glaubt heute gar nichts mehr. Das ist nicht mehr seine Post.

Es ist eine Post geworden, wie der Manager Lothar Rogg sie sich schon vor 19 Jahren vorgestellt hat, als er in die Generaldirektion kam. Offenheit, Weitblick, Weltblick. Dafür soll auch der Post-Tower in Bonn stehen. Das Gebäude ist das höchste im alten Regierungsviertel, Glas und Stahl, 16.000 Tonnen. Nachts leuchtet der Tower; Martin Sachs, der Schalterbeamte, sagt: Turm. Hinter der glatten, glänzenden Fassade sind all die Pläne gereift. Irgendwann ist nur noch der Turm übrig, sagt Sachs. Er stellt ihn sich vor wie einen riesigen Geldspeicher. Leute wie er schaufeln die Vorstandsgehälter hinein.

Wenn Martin Sachs seine letzte Filiale schließt, wird er damit helfen, Lothar Roggs Werk zu vollenden.

Rogg arbeitet in einem nicht gerade geräumigen, aber sehr gelben Büro. Ein gelber Ball, ein gelber Bulle, ein gelbes Lineal, eine gelbe Teekanne, viele gelbe Bücher. In der Ecke ein Blechschild: Postamt. Rogg, der gelernte Großhandelskaufmann, ist für die Filialen zuständig. An diesem Nachmittag fällt der Regen bleischwer auf die Rheinauen und lässt die Glaswände des Post-Towers verschwimmen. Schlechtes Wetter. Lothar Rogg lächelt jovial aus dem gestreiften Anzug heraus. Gute Laune. Er will eine Erfolgsstory erzählen.

Gelbe, blaue, graue Post – alles muss sich rechnen

Der Headhunter ruft im Einigungsjahr an, 1990. Rogg ist bei der Großmarktkette Metro für die strategische Planung zuständig. Der Job ist keine Herausforderung mehr, er macht ihn seit zehn Jahren. Der Headhunter sagt, es gehe um eine besonders interessante Restrukturierungsaufgabe.

Rogg ist dann der siebte Manager, der von außen zur Post kommt, nachdem die Privatisierung der ersten Postreform das 1989 überhaupt möglich gemacht hat. Klaus Zumwinkel, der Vorstandsvorsitzende, der Wirtschaftsrechnen bei McKinsey gelernt hat, ist schon da. Als Rogg nach Umsätzen, nach Monatsabschlüssen fragt, schauen die Postbeamten in der Generaldirektion ihn verwundert an. Bilanzen haben vor der Privatisierung kaum eine Rolle gespielt. Es gibt neben der gelben die graue und die blaue Post, die Bank. Die graue, die in der Zeit gerade zur magentafarbenen Telekom wird, hat die Verluste der gelben immer gedeckt. Die neuen Manager führen Controlling ein. Es muss gerechnet werden, es muss sich rechnen.

Die Post, stellt Rogg als neuer Vorstandsmitarbeiter für die Filialen schnell fest, betreibt Anfang der Neunziger in Deutschland knapp 30.000 Verkaufsstellen. Durchschnittlich sind sie drei Stunden am Tag geöffnet. Ein Witz. „Die Kosten dieses enormen Filialnetzes überstiegen die zurechenbaren Erträge bei weitem“, sagt er. Tiefrote Zahlen, meckernde Kunden. Betriebswirtschaftlicher Irrsinn. Rogg flog nach England, in die Niederlande. Da privatisierten sie schon. Die Royal Mail stellte ihre Verkaufstresen in gewöhnliche Supermärkte. Die Öffnungszeiten verlängerten sich, die Kosten sanken. So mussten sie das auch in Deutschland machen.

Was er vorhatte, war die Abschaffung des Postamts, dieser jahrhundertealten Institutionen. Es würde Aufstände geben, und er kannte seine beiden Gegner: die Politik, auf allen Ebenen, Bundestag, Bundesrat, bis hinunter in die Lokalparlamente. Und die Postgewerkschaft.

Auch Martin Sachs beginnt sich in dieser Zeit an den Gedanken zu gewöhnen, dass sich etwas ändert. Er leitet seit einigen Jahren Postämter. In den Sechzigern und Siebzigern gingen Lehrlinge wie er zum Schneider, der aus dunklem, schweren Stoff Uniformen anfertigt, mit Rangabzeichen auf den Ärmeln. Das normale Posthorn kennzeichnet den Arbeiter, ein unterbrochener Kreis darum den einfachen Dienst, ein geschlossener den mittleren, der doppelte den gehobenen. Am Ende des Monats stehen die Leute in den Filialen bis vor die Tür, um ihren Lohn zu holen. Sachs nimmt Zahlkarten entgegen, schneidet mit mächtigen Scheren Belegstreifen ab, lässt knallend Stempel tanzen. Bam, bam, bam! Sie nehmen als Postbeamte eine hoheitliche Aufgabe wahr, bringt man ihnen in der Postschule bei. Damit sie Lehrlinge werden dürfen, brauchen sie einen Leumund. Postboten erkundigen sich bei Nachbarn nach den Neulingen.

Aber je mehr Geldautomaten in Deutschland aufgestellt werden, desto kürzer werden die Schlangen. Je mehr Telefone es gibt, desto weniger Briefe werden verschickt, vom Internet noch ganz zu schweigen. „Du hast kein Geschäft mehr, aber du hast noch den Beamten“, sagt einer, der damals ganz oben mitgerechnet hat, als Zumwinkel das Controlling bei der Post einführte. Es wird nicht weitergehen können wie bisher, das weiß auch Martin Sachs.

Sie agieren vorsichtig, Schritt für Schritt

Mit seinem Konzept durchquert Lothar Rogg im Frühjahr 1992 die Vorzimmer des letzten deutschen Postministers Dr. Wolfgang Bötsch, CSU. Rogg erklärt, was er vorhat. Die Post soll in Schreibwarengeschäfte und Lebensmittelläden. Das ist billiger und besser für die Kunden. Es wird langfristig bedeuten, dass sie Postämter schließen. Sie müssen aber vorsichtig vorgehen, Schritt für Schritt. Bötsch segnet die Sache ab. Für einen allerersten Test wählen sie zwei winzige Gemeinden in Schleswig-Holstein. Bimöhlen, Kreis Segeberg, 761 Einwohner. Nordhackstedt, Kreis Schleswig-Flensburg, 440 Einwohner. Selbst Martin Sachs, langjähriges Gewerkschaftsmitglied, wird nicht behaupten, dass man in solchen Orten einen Postbeamten braucht, der ein paar Stunden in der Woche darauf wartet, seine hoheitlichen Aufgaben wahrnehmen zu dürfen. Eine Befragung zeigt: Die Kunden freuen sich über die längeren Öffnungszeiten. Der Postminister genehmigt die Ausweitung des Versuchs. Ab dem Sommer 1993 machen 500 neue dieser Postagenturen auf. Die Betreiber heißen Partner. Motto: „Mehr Post fürs Land“.

Dann, 1994, beginnen die ersten Schließungen. Partnerfilialen ersetzen die der Post. Rogg und seine Leute nennen es Umwandlung. Martin Sachs wird zum Umwandler. Die Aufträge kommen per Mail, von der Regionalleitung. Eine Karte, ein gezirkelter Kringel um die alte Filiale. Dort, wo mindestens 2.000 Menschen leben, muss es im Umkreis von zwei Kilometern eine Post geben. So schreibt es die PUDLV vor, die Post-Universaldienstleistungsverordnung. Sachs steigt in einen VW Polo oder Opel Corsa mit Bonner Kennzeichen, fährt in die Gemeinden und sucht Partner für die neuen Filialen. Er zeigt ihnen die Verträge, erläutert, wie viel Provision sie für Briefmarken oder Postkarten bekommen. Wenn sie einverstanden sind, bestellt er einen Arbeitsplatz vom Typ X oder XL, eine Theke mit Paketwaagemodul, für die die Partner monatlich Miete an die Post zahlen, 14 Euro für X, 18 Euro für XL. Sachs ordert Marken, Kuverts, Pakete. Wenn die Partner den Zusatzvertrag über Finanzdienstleistungen unterschreiben, fordert er Geld an. Am Wochenende veranstaltet er Workshops, es ist die Zeit der Lächellehrgänge. Postler sollen lernen, wie man verkauft. Die Umwandlung soll auch einen Imagewandel bringen. Das Panzerglas fällt. Mehr Luft, mehr Freundlichkeit. Aber auch: mehr Prospekte. Mehr Druck.

Bevor er zum Umwandler ernannt wird, soll Sachs seinen Kunden als Filialleiter Girokonten andrehen, Versicherungen, Lose, Stromverträge. Die Deutsche Post Worldnet braucht im neuen Millennium Geld, Zumwinkel kauft weltweit ein. Seine tausenden Beamten in den Filialen wird der Konzern nicht so einfach los, aber dann müssen sie und die neuen Angestellten wenigstens geschäftstüchtig werden, Abschlüsse liefern. Sachs hasst das unechte Lächeln, „dieses amerikanisch-schleimige“. Stammkunden mit Girokonten zu belästigen hält er für Schwachsinn. Als er das erzählt, sitzt Sachs in irgendeinem Café, in irgendeiner Stadt. Es ist seine Geschichte, aber nicht sein Name. Wer bei der Post arbeitet, muss unterschreiben, dass er nicht mit Journalisten redet.

Kollegen, sagt Sachs, hätten manchmal selbst Faber-Lose gekauft, um die Zahlen zu bringen, hätten sinnlos Postsparbücher akquiriert, auf die nie mehr als ein paar Euro eingezahlt wurden. Absurd. Er lächelt bitter.

Ein anderer Postler schaut sehr ernst, als er sich erinnert. Alle paar Wochen muss er zu Filialleitertagungen. Dort werden Ansprechkärtchen mit Formulierungshilfen verteilt: „Haben Sie schon mal überlegt … Kennen Sie schon …“ Die Regionalleiter werfen Verkaufscharts an die Wand. Dann müssen die letzten auf der Liste aufstehen und sich rechtfertigen. Entschuldigungen werden nie akzeptiert. „Die haben die Zügel deutlich gestrafft.“ Er kann vorher nicht schlafen. Die Vorgaben sind eindeutig: drei Girokonten pro Schalterbeamter pro Woche. Der Regionalleiter empfiehlt, die Leute am Schalter unterzuhaken und zum Finanzberater zu bringen, zum Telekom-Stand. „Wir waren relativ froh, wenn es nur Girokonten waren“, erzählt der Filialleiter. „Fürs Faber-Lotto haben die Leute uns zur Hölle gejagt.“

Na gut, sagt der Manager, der über solche Dinge ganz oben im Tower mitentschieden hat, bei bestimmten Produkten mag das eine „etwas kompliziertere Geschichte“ gewesen sein. Aber die Stärke der Filialen sei doch die: „Sie sind ein Frequenzbringer für das Kernprodukt Finanzdienstleistung.“ Zur Post kommen viele Leute, viele potenzielle Postbankkunden.

Die Ziele werden in den Vorstandsetagen durchgerechnet und nach unten durchgesetzt. Die Zahl der Filialen muss sinken. Auf 12.000, weniger erlaubt die PUDLV nicht, bevor sich 2007 der Postmarkt öffnet. Ende 1997 gibt es noch 15.331 Filialen. Ende 2005 dann 12.685. Lothar Rogg lässt sich jedes Jahr eine farbige Liste vorlegen. Im Durchschnitt sind die Filialen immer länger geöffnet, es gibt immer weniger Panzerglas.

Dank einer Arbeitsplatzgarantie schweigen die Gewerkschaften. Politiker protestieren zwar hier und da, es gibt Bürgerinitiativen für den Erhalt einzelner Standorte. Aber das Projekt ist nicht zu stoppen. Draußen auf dem Land suchen Leute wie Martin Sachs mittlerweile auch in Kfz-Werkstätten, Futtermittelbetrieben und Blumenläden nach neuen Partnern. Es wird immer schwieriger, seit die Post 2003 und 2004 die Bezahlung um 30 bis 40 Prozent reduziert hat.

Die Manager im Tower setzen auf den freien Markt. Das heißt auch: Die Verantwortung für das Geld haben die Partner in den Tante-Emma-Läden. Manche tragen ihre Postbank-Bestände auf die Volksbank nebenan, weil sie Angst vor Überfällen haben. Andere klauen oder zweigen Beträge von fremden Konten ab. Martin Sachs muss etliche Arbeitsplätze vom Typ X und XL abholen lassen. Es treten Schwierigkeiten mit dem Buchungssystem Epos auf, die Post verlangt hunderttausende Euro von einigen Partnern zurück. Die Fälle landen vor Gericht. Die Post gewinnt. Manche Partner lösen ihre Lebensversicherungen auf, um den Schaden zu ersetzen. Mütter, die solche Agenturen betrieben haben und nun vor der Privatinsolvenz stehen, schreiben Briefe an die Post. Nehmen Sie meine 20.000 Euro und akzeptieren Sie den Vergleich! Bitte!

Die Schulungszeiten für die Partner werden kürzer, die Ausbildung schrumpft auf einen guten Monat. „Wenn einer ganz doof war, haben Sie noch ’ne Woche drangehängt“, sagt Sachs. Aber auch bei den Umwandlern wird das Personal ausgedünnt. Die Agenturbetreiber machen zu viel Murks, findet er. Kennen Regeln für spezielle Einschreiben nicht, sorgen so für mehr Arbeit in den Briefzentren, die die Deutsche Post AG auf die grüne Wiese hat bauen lassen. Die Postämter, in denen früher die Briefe und Pakete sortiert wurden, sind leer. Viele werden verkauft. In der Postschule hat Sachs noch gelernt, das die herrschaftlichen Immobilien in den Stadtzentren die Sicherheiten des Unternehmens sind. „Totes Kapital“, sagt der Manager aus der Tower-Spitze. „Wir haben daraus Geld geschöpft und das in unternehmerische Aktivitäten umgewandelt.“ 1.300 Gebäude hat das Unternehmen im April 2008 verkauft. Das Lorac Investment Management bietet einige an. Die „Postimmobilie ‚mittendrin‘ – mit Potenzial“ etwa, im baden-württembergischen Gammertingen, für 215.000 Euro.

Die neuen Postämter sind eine Sperrholztheke mit gelöcherten Metallplatten daran, neben dem Regal mit den Gemüsedosen. Sie sind dafür länger geöffnet, auch samstags, auch abends. Das Personal ist nicht ganz so qualifiziert, aber freundlicher. 52 Prozent der Kunden sind „überzeugt“, 38 Prozent immerhin „zufrieden“. Das zeigt die aktuelle Kundenmonitor-Studie. Wenn Lothar Rogg 2012 in Rente geht, tut er das mit dem Gefühl, seine Mission erfüllt zu haben. Der Regen hat aufgehört. Er schaut hinunter auf die Rheinauen, auf den grünlichen Bau des alten Postministeriums. Ein guter Tag.

Martin Sachs ist mittlerweile kein Umwandler mehr. Sie haben ihn da weggekürzt, so wie einige andere. Er muss jetzt Filialen schließen, eine nach der anderen, mitten in der Stadt. Dass es auf dem Land, in Bimöhlen oder Nordhackstedt, keine eigene Post braucht, hat er eingesehen. Er hat versucht, sich mit dem Gedanken anzufreunden, Verkäufer zu werden, obwohl er der Beamter ist, der er immer werden wollte. Er hätte sonst ja gleich Kaufmann werden können, aber sein Ziel war der Staatsdienst. Post, Bahn, Polizei. Egal.

Je weniger Briefe die Leute verschicken, desto kürzer werden die Schlangen vor den Postschaltern

Er war trotzdem ein gewissenhafter Umwandler. Aber als die Leute im Turm anfingen, auch die großen Filialen in den Städten dichtzumachen, da ist dieses Unbehagen zu Wut geworden. Er hat den Eindruck, die Post modernisiert sich kaputt. Sachs schimpft. Auf diese neue Schalterkultur mit dem Open Service, die doch in den Großstädten nur eine Warteschlangenkultur ist. Auf die Profitgier im Turm. Gelder aus den verkauften Immobilien investierte Zumwinkel in den USA – und verlor mehrere Milliarden. Dafür werde unterbezahltes Teilzeit-Personal ausgelutscht, bis es nicht mehr kann. „Dann schmeißen sie sie zurück in die Arbeitslosigkeit.“ Bis Ende 2011 darf die Post nicht betriebsbedingt kündigen. Danach wird es wohl losgehen, von 7.000, 8.000 Jobs ist die Rede. Beim Paketdienst. In den Filialen arbeitet ja kaum noch einer.

Und dann der Druck, immer mehr Druck. Er wird nicht verschwinden, wenn die letzte Postfiliale geschlossen ist. Er ist in die Postbank Finanzcenter geleitet worden, in die blauen Filialen, wo weiter angesprochen werden muss, verkauft, Girokonto für Girokonto, Hundehaftpflichtversicherung für Hundehaftpflichtversicherung. Einige ihrer verbliebenen eigenen Filialen hat die Post im Sommer an die Postbank abgegeben. Auch deshalb werden die Kunden gerade in größeren Städten vom leisen Ende des Postamts wenig mitbekommen. In mehr als tausend Postbank Financentern können sie weiter Briefe aufgeben.

„Die Kollegen, die jetzt wieder von Gelb zu Blau kommen, für die heißt es: ansprechen, ansprechen, ansprechen“, sagt Sachs. Interessieren Sie sich für unsere Yello-Strom-Konditionen?

„Da mag es hier und da Übertreibungen geben“, sagt Lothar Rogg, der Filialmanager, „aber verkaufsorientierte Mitarbeiter würde ich nicht kritisieren.“ Er erkennt bestenfalls kleine Kollateralschäden. Schlecht ausgebildete Filialbetreiber, die der Finanzverantwortung nicht gewachsen sind? „Die Mitarbeiter durchlaufen in solchen Fällen eine etwas dezidiertere Schulung.“ Die Partner seien zufrieden, 54 Prozent sogar „sehr“. Sie haben da ihre Erhebungen. So einen wie Martin Sachs kennt Lothar Rogg wahrscheinlich gar nicht.

Er wird nicht ansprechen, eher geht er

Bei der ServiceBarometer AG, dem Institut, das die Kundenzufriedenheit misst, sagen sie: „Der Postfilialenwert erreicht mittlerweile das Baumarktniveau.“ Damit liegt er nicht mehr im roten Bereich, bei den Gasversorgern und den Fondsgesellschaften. Viel mehr nicht. Alle anderen – Reisebüros, Apotheker, selbst TV-Shoppingsender – schneiden besser ab.

Die Bundesnetzagentur registriert in ihren Berichten Hunderte von „außerordentlichen Kündigungen“ der Agenturverträge, allein „von Januar 2004 bis September 2005 in 488 Fällen“. „Es gibt Standorte, da haben wir innerhalb von fünf Jahren drei neue Partner gesucht“, sagt Sachs. Er hört von Filialleitern bei den Blauen, bei der Postbank, die den Druck nicht aushalten.

Er wird Beamter bleiben, bis zur Pensionierung. Vielleicht bekommt er wieder eine Behörde, ein Amt. Kollegen schieben bei der Jobagentur Akten über die Flure. Er wird nicht zu den Blauen gehen, nicht ansprechen. Eher lässt er sich rauswerfen.

Martin Sachs wird bald ein letztes Mal Umschläge, Packsets und Kugelschreiber in Pakete packen und zurück ins Zentrallager schicken. Er wird als Letzter die Tür abschließen. Ein allerletztes Mal. Vielleicht wird er sich erinnern, wie er damals beim Schneider war. An den schweren Stoff der Winteruniform.

Er wird nicht mehr sehen, wie sie die Sperrholzschalter ausräumen. Open Service. Die ohne Panzerglasscheibe.

Der Autor, 30, ist sonntaz-Redakteur. Er weiß nun: Seine Post ist ein Postbank Finanzcenter