Das Autorennen

ELEKTRIK Auf der einen Seite arbeiten Regierung, Autofirmen und Atomindustrie. Auf der anderen tüftelt Karl Nestmeier, Hersteller des elektrischen Dreirads City EL

 Der Kleine: 1994 wurde Karl Nestmeier einer der deutschen Importeure des dänischen Elektromobils City EL, einem Einsitzer mit drei Rädern. Zwei Jahre später verlagerte er den Sitz der Firma nach Franken und fertigte die Fahrzeuge dort. In Europa sind laut Nestmeier rund 6.000 der E-Mobile verkauft worden. Aus der Firma Citycom wurde die Smiles AG, eine Aktiengesellschaft mit über 20 Mitarbeitern. Neben dem City EL vertreibt die Smiles AG auch die Kleinstwagen Reva und Tazzari Zero. Der eine wird in Indien produziert, der andere in Italien. 70 Prozent der Teile des City EL werden in Deutschland hergestellt. Die Lithium-Batterien kommen aus China. Der City EL fährt bis zu 120 Kilometer weit, ohne dass man aufladen muss.

 Die Großen: VW will 2013 einen E-Golf auf den Markt bringen. 2018, so plant der Konzern, möchte er weltgrößter Autohersteller sein. Auf der wichtigen Messe Detroit Auto Show, die derzeit läuft, stellt Volkswagen seinen E-Golf noch nicht vor – nur einen schlichten Passat für den US-Markt. Andere Hersteller, wie Nissan mit seinem Leaf, demonstrieren dagegen ihre Elektrokompetenz. Auch Ford präsentiert den Focus als Elektroversion.

 sonntaz-Video: Ein kurzer Film über City EL und Kollegen: www.taz.de/elektroauto

AUS BALDERSHEIM UND WOLFSBURG JOHANNES GERNERT

Das Gute ist, dass Karl Nestmeiers Firma jetzt beschleunigt wie ein Porsche. Wenn alles weiter so läuft, wird auch 2011 wieder ein noch viel besseres Jahr werden als alle davor.

Das nicht ganz so Gute ist, dass das alles wohl nichts bringen wird, weltrettungsmäßig.

Ein herrlicher Tag, wenig Verbrennungsmotoren auf den Landstraßen. Die Sonne scheint auf spitze Kirchtürme, auf Fachwerkhäuser und auf Karl Nestmeiers Fotovoltaikanlage in Baldersheim in Franken. Vor den Hallen seiner Firma glänzen die bunten Elektro-Kleinstwagen, Einsitzer mit drei Rädern. Sie sehen aus wie eine Mischung aus Liegerad und Mini-Ufo: City ELs. Karl Nestmeier, 45 Jahre alt, Vollbart, sitzt an einem Bürotisch voller Papierstapel, stößt geringe Mengen Zigarettenrauch aus und erklärt, was das Thema ist, „der Punkt“, wie er gern sagt.

Der Punkt ist, dass Karl Nestmeier 3.500 City ELs auf deutsche Straßen gebracht hat. Damit ist er der größte Elektrofahrzeughersteller Deutschlands. Die Nuckelpinne liegt vorn. Seine Firma verkauft neuerdings auch Tazzari Zeros, italienische Miniautos, und den indischen Kleinwagen Reva. Die Firma wird auch dieses Jahr wachsen. Trotzdem sieht es nicht gut aus für Nestmeiers Idee. Diese Vision von Millionen ultraleichten, batteriebetriebenen Autos, die so wenig Abgase ausstoßen und so wenig Energie verbrauchen, wie es angesichts der Klimawandels nötig wäre. „Deutschland ist ein autoindustriegesteuertes Land“, sagt Nestmeier. Er drückt seine Zigarette in einen schwarzen Ascher.

Der Konzern tut, als hätte er die Zukunft im Griff

Wolfsburg, das Werksgelände von VW. An einem eisigen Wintermorgen parkt mitten in der Autostadt ein perlweißer Wagen, der aussieht wie ein gewöhnlicher Golf. Nur der Auspuff fehlt. Und vorne, unter den silbernen VW-Buchstaben, hat er eine Ladedose. Eike Feldhusen hat sich vor dem Golf postiert. Er steht fast da wie ein Prediger, in Anzug und Trenchcoat – die Hände vor dem Oberkörper, als halte er eine Botschaft im Arm.

Feldhusen ist technischer Projektleiter bei VW. Er will Journalisten aus den USA, aus Großbritannien, Dänemark und Schweden zeigen, wie die elektronische Zukunft aussieht. Er nimmt ein aralblaues Kabel und steckt es vorn in den Golf namens BlueMotion. Da, wo sonst die Abgasanlage sitzt, sagt er, seien die Batterien. Die Batterieladung ist der Treibstoff des E-Golfs.

Der E-Golf, verkündet der Projektleiter, habe gerade in Großbritannien beim Future Car Challenge gewonnen, als umweltfreundlichstes Auto. Feldhusen nimmt die Fäuste hoch und ballt sie ganz kurz. Es sieht nach echter Freude aus, aber auch ein bisschen unbeholfen.

Bis 2018 will VW der größte Autokonzern der Welt werden. Zum Imperium gehören nicht nur die Marken Audi, Seat oder Skoda, sondern auch Bentley, Lamborghini und Porsche. Der Konzern besitzt Fabriken auf vier Kontinenten, er baut Familienkutschen, Geländekisten, Sportblitze. Allein der Golf hat sich 2010 in Deutschland mehr als 250.000-mal verkauft. Karl Nestmeier hat im selben Zeitraum kaum 100 City Els ausgeliefert.

In Wolfsburg klappt Eike Feldhusen die Motorhaube des E-Golfs auf. Kabel, viele Kästen, alles sieht ölfrei und gepflegt aus wie eine Stereoanlage im Wohnzimmer. Feldhusen muss hier zeigen, dass Volkswagen prinzipiell dazu fähig ist, Nestmeier zu überholen. Denn die kleine fränkische Firma hat einen Entwicklungsvorsprung vor dem Weltkonzern aus Wolfsburg.

„Ein umgebauter Golf ist physikalischer und ökologischer Blödsinn“, sagt Nestmeier. Sonnenstrahlen fallen auf die Pressspanplatten, die Wände seines Büros. Niedrigenergiestandard.

Der Punkt sei doch der: Die Konzerne behaupten, sie würden an umweltfreundlichen Wagen arbeiten. Versuchen zufolge verbrauchen aber schon Elektrowagen wie der smart e-drive mehr als 20 Kilowattstunden Strom auf einen Kilometer. Diesen Strom herzustellen, kostet etwa so viel Kohlendioxid wie ein Verbrennungsmotor auf derselben Strecke verbraucht: 100 Gramm CO2. Das ist nicht so sensationell. Karl Nestmeiers City ELs brauchen vier bis fünf Kilowattstunden Strom. 25 Gramm Kohlendioxid. Viel weniger.

In Wolfsburg öffnet Feldhusen den Kofferraum des E-Golfs, vollgepackt mit Batterien. Die Journalisten tragen Funktionsjacken und professionelle Begutachtungsmienen. Als einer fragt, was passiert, wenn man vorne in die Ladedose pinkelt, antwortet ein Ingenieur, so was mache man nur einmal. Stromschlag. Ende. „Da passiert natürlich nix“, muss er sich später korrigieren. Alles abgesichert. Sie müssen sich noch vortasten in die neue Welt, die Techniker von VW.

Erst 2013 soll der E-Golf auf den Markt kommen. Schon 2011 könnte ein entscheidendes Jahr für das Elektroauto werden. Bisher gibt es vor allem den E-Mini und den E-Smart, alles in Modellprojekten. Doch nun beginnen die ersten Mitsubishi-Händler, den iMiev in ihre Hallen zu stellen. Dazu kommt der Leaf von Nissan. Von VW reisen fünf E-Golfs um die Welt, in Wolfsburg sagen sie „E-Gölfe“. Einen nimmt der Konzernchef Martin Winterkorn zu Vorträgen mit, zu Autoshows, und PR-Wettrennen.

Karl Nestmeier hält dagegen. Mit Präsentationsecken, die ihm einige Autohäuser einrichten.

Der E-Golf und der City EL, es sind zwei völlig unterschiedliche Ansätze. Die Grundidee des City EL ist, dass sich die Autowelt ändern muss, damit sie der Umwelt weniger schadet. Die Grundidee des Golf ist, dass alles so bleiben soll wie bisher – nur künftig elektrisch und damit auch irgendwie umweltfreundlich.

„Es kann doch nicht das Ziel sein, Spritverschwendung durch Stromverschwendung zu ersetzen“, sagt Karl Nestmeier, ganz sachlich. Er regt sich nicht mehr auf. Das kurzärmelige Hemd ist papahaft verknittert. Sein Fuß wippt. Der Stress, vielleicht die Zigaretten, haben das Gesicht etwas rötlicher gemacht. Oft setzt er sich schon morgens um vier an den Schreibtisch, in Jogginghosen.

Die größte Schwierigkeit bei der Entwicklung von Elektroautos sind die Batterien. Sie halten zurzeit selten viel länger als 100 Kilometer und vor allem sind sie extrem teuer. Je mehr ein Auto wiegt, desto mehr Masse müssen die Batterien bewegen, desto klobiger und massiver werden die Energiespeicher.

Man muss die Wagen leicht machen, um die Batterien klein zu halten, dann kosten sie weniger. Ein gewöhnlicher Golf wiegt gut 1.000 Kilo, ein E-Golf schon 1.545 Kilogramm. Ein City EL wiegt 230 Kilo. Mit Batterien. Er ist zu leicht für die Pkw-Statistik.

Doch Deutschland hat über Jahrzehnte große Limousinen in die Welt verkauft. Mercedes, BMW. Sicherheit, Verdrängung, Wohlstand. Luxus. Mit der Größe der Autos wächst nicht nur der Batteriebedarf, es wachsen auch die Gewinnspannen. Image kostet extra. Der E-Golf ist gewichtsmäßig die Grenze, an die die Autokonzerne gehen können. Sie wollen keine kleineren Wagen. Sie haben mehr zu verlieren als Nestmeier je gewinnen kann.

Die Politik macht Druck. Das Ziel der Bundesregierung lautet, dass 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen unterwegs sein sollen. Im Jahr 2010 waren nur 1.588 Elektroautos angemeldet, der City EL nicht mitgerechnet. Es könnte ein Rennen werden zwischen der Strategie des Weltkonzerns VW und der Vision des Tüftlers Karl Nestmeier aus Baldersheim. Aber hat der Herausforderer wirklich eine Chance?

Verbrennungsmotor? Der stinkt und ist gefährlich

Während die Autojournalisten in der Wolfsburger Konferenz-Lounge versuchen, die richtigen Pulversäckchen in die Espressomaschine zu fummeln, läuft sich ein zweiter VW-Techniker warm. Christoph Kielmann drückt den Rücken gerade. Er will die Geschichte von der sauberen Welt erzählen. Darin fahren seit vierzig Jahren alle Menschen E-Fahrzeuge. Nichts stinkt, keine Ölflecken, abends den Stecker in die Garagensteckdose, morgens losfahren. „Und dann“, sagt Christoph Kielmann, „kommt jemand und erfindet den Verbrennungsmotor.“ Er lächelt sanft. „Das stinkt, das ist gefährlich. Da muss man hochexplosives Benzin mit Lastern durch die Gegend fahren. Wer ist denn so verrückt und kauft so ein Auto?“

Kielmann ist seit Mitte der Neunziger bei VW. Er entwickelt den E-Golf mit. Seine Uhr ist rund und schwer, sein Anzug eng. Er könnte ein Werber sein, aus einer US-Serie. Den E-Golf begleitet er ab und an durch die Welt. „Wir wollen erst mal einen Golf darstellen, um Elektromobilität erlebbar zu machen“, sagt er. Der verlässliche Golf als konkreter Elektrotraum. Als das Vehikel in einer Welt, in der Fahrzeuge nicht riechen und eher summen als röhren. Einer Welt, in der Autos nicht mehr schaden. Es ist eine Welt, die etwa so erreichbar ist wie ein Zwölfzylinder für einen Hartz-IV-Empfänger.

Der ehemalige Chef des Umweltbundesamts, Axel Friedrich, hat in mehreren Studien vorgerechnet, warum die E-Auto-Offensive in seinen Augen Unfug ist. Abgesehen davon, dass eine Million Elektroautos nur einen Bruchteil der bis 2020 erwarteten 50 bis 60 Millionen Fahrzeuge ausmachten, würden die Blechkolonnen in den Städten durch Elektroautos nicht kleiner. Vor allem aber seien es keine Null-Emissions-Autos, sondern „Anderswo-Emissions-Autos“. Das Kohlendioxid entsteht dort, wo der Strom hergestellt wird. Solange das keine regenerative Energie ist, sieht die CO2-Bilanz der Elektroautos teils sogar schlechter aus als bei Verbrennungsmotoren. Beim derzeitigen deutschen Strommix, stellt selbst die Bundesregierung fest, ist der CO2-Ausstoß von E-Wagen kaum niedriger als bei modernen Dieselfahrzeugen. Wo aber soll all die erneuerbare Energie herkommen, in einem Land mit einer Atomkraftregierung?

Karl Nestmeier ist gegen Atomkraft, gar nicht so sehr gegen Verbrennungsmotoren. Er hat selbst einen VW-Bus. Das geht mit fünf Kindern nicht anders in Baldersheim, wo die Busse zur Hauptverkehrszeit nur alle drei Stunden fahren. Nestmeier besaß schon in den Siebzigern einen Bus, als Gymnasiast. Da sind sie auf Festivals gefahren. Er hat das Elektrotechnik-Studium abgebrochen, um den Elektroladen der Eltern zu übernehmen und Fotovoltaik-Anlagen zu verkaufen, Solarthermie. Er engagiert sich in der Kirche, liest im Gottesdienst. Thema Schöpfungserhalt. Die Leute lästerten, als er mit den Solaranlagen anfing. Dann kam das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Als er 1994 die Idee des City EL aus Dänemark importierte, haben sie ihn belächelt. Das war lange vor der Elektrooffensive der Regierung.

Im Dreirad mit 60 km/h Spitzengeschwindigkeit

Karl Nestmeier ist ein christlich-ökologischer Rationalist. Er mag es, wenn etwas Sinn ergibt.

Es geht in Autodingen aber nicht nur rational zu, in einem Land, in dem selbst Gerd Lottsiepen, der Fahrzeugexperte des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland, über den City EL sagt: „Unter einem Auto versteht man ja gemeinhin doch etwas anderes.“ Auch Lottsiepen wünscht sich, dass „solche Fahrzeuge einen viel größeren Raum haben in unserer Verkehrswelt“. Gleichzeitig muss er feststellen: „Viele Leute haben Angst, sich in so ein Auto zu setzen – wenn sie umgeben sind von Panzern.“

Man braucht etwas Gelassenheit, um sich in diesem Autoland nicht als Verkehrshindernis zu fühlen, wenn man mit 60 Stundenkilometern Höchstgeschwindigkeit auf den drei Rädern des City EL über die Bundesstraße braust. In einem Land, in dem Jugendliche mit tiefergelegten GTIs abendelang übers Dorfpflaster röhren.

Es bräuchte kleine, leichte Fahrzeuge, sagt Karl Nestmeier. Damit die Ressourcen dieser Erde wirklich geschont werden. Es bräuchte einen Strukturwandel.

Der Verkehrsminister, der einen solchen Wandel finanziell fördern könnte, er fährt im E-Golf vor. Und die Kanzlerin begutachtet das Modell am Rande des CDU-Parteitags. Das sind Zeichen: Die Regierung will, dass alles bleibt wie bisher. VW, BMW und Mercedes sollen große Wagen bauen. RWE, Vattenfall und Eon sollen den Strom liefern, den diese Autos brauchen. Es müssen Starkstromzapfsäulen her. Deshalb sind die Energiekonzerne an den Elektromodellprojekten beteiligt, die die Elektrooffensive fördert. Ein gutes Geschäft.

Karl Nestmeier muss sich selbst fördern. Einige Fahrer hätten ihre alten Autos 2009 gern gegen einen City EL getauscht, obwohl er als Einsitzer mit 10.000 Euro ziemlich teuer ist. Nestmeiers Fahrzeuge wurden aber mit der Umweltprämie nicht finanziert. Zu klein. Zu leicht. Als der damalige Umweltminister Sigmar Gabriel den Betrieb auf dem fränkischen Hügel besucht hat, sei dem die Kinnlade einen halben Meter runtergeklappt, sagt Nestmeier.

Die Firma wächst dennoch. Nestmeier läuft durch die hellen Büroräume, zur Landkarte mit den Fähnchen. Überall in Deutschland will er in die Autohäuser. Er hat dafür die Smiles AG gegründet, mit einem grinsenden Gesicht als Logo. Es haben sich hunderte Bewerber gemeldet. Man muss aufklären, sagt er, dann verkauft man auch: „Die Leute müssen einen Aha-Effekt im Kopf kriegen.“ Es ist nur nicht so klar, welche Art von Aha den Leuten zu vermitteln ist.

Der Autoclub ADAC hat seine Mitglieder gefragt, was sie von Elektroautos halten. 90 Prozent finden sie gut. Aber 40 Prozent würden dafür nicht mehr Geld ausgeben. Rational betrachtet ist Nestmeiers City EL ideal. Er ist gemacht für eine Person, die nicht allzu weit fährt. Im Schnitt sitzen in Deutschland 1,3 Menschen in einem Auto. Gut 45 Prozent aller Berufspendler legen dem Statistischen Bundesamt zufolge Strecken von weniger als zehn Kilometern zurück. Trotzdem, schreibt der Umweltexperte Axel Friedrich in einem seiner Reports, wollen Großstadtsingles meist lieber einen Fünfsitzer – falls sie doch mal einen Ausflug machen oder zu Ikea fahren. Und dann ist da die Angst, liegenzubleiben, gerade im Winter. Man kann in so einem Fall keinen Stromkanister holen.

Es könnte sein, dass Karl Nestmeiers größter Gegner gar nicht die Industrie ist und nicht die Politik, sondern der Kunde und seine Träume, seine Sorgen.

Im Restaurant des Wolfsburger Ritz-Carlton klappert am Mittag leise das Besteck auf den Tellern mit der Maispoulardenbrust. Ingenieure in Anzügen reden über eine Autowelt, die noch nicht ihre ist. Gut, sagt einer, bisher habe man die Elektroentwicklung eher auf Sparflamme gehalten. Aber nun gehe es los.

Als sie studiert haben, gehörten zu einem Wagen Zylinder, Zündkerzen, Abgasanlagen. Sie sind unsicher. Lädt man in zwei, drei Stunden per Starkstrom oder in sieben, acht mit normalem? Wo sollen die Ladedosen hin? An den Motor? Ist da nicht die Schmutzzone, der Dreck?

Der E-Golf fährt mit einer einzigen Aufladung nur bis zu 150 Kilometer weit und bis zu 135 Kilometer pro Stunde schnell. Wenn in Deutschland einer Tempo 130 auf Autobahnen fordert, reagieren viele, als hätte er die Einführung der Todesstrafe verlangt. Kauft da jemand einen Golf, der gerade mal 135 fährt? Bei VW haben sie keine Ahnung, ob das klappt. Nach außen sagen die PR-Leute nicht, wie viele genau am E-Golf arbeiten.

„Unter einem Auto versteht man ja was anderes. Viele haben Angst, sich in so ein Auto zu setzen – wenn sie umgeben sind von Panzern“

Gerd Lottsiepen, Verkehrsclub Deutschland, über den City EL

Sie müssen jedenfalls so tun, als setzen sie viel aufs Elektroauto, sonst können sie von der Politik keine Entwicklungsmillionen fordern, keine Kaufprämie für E-Autos, wie es sie etwa in Frankreich gibt. Die Autoindustrie, die sich jahrzehntelang jede Einmischung der Politik verbeten hat, als es um die Senkung von CO2-Werten ging, plötzlich fordert sie diese Einmischung – finanziell.

Noch vor dem E-Golf soll der Opel Ampera auf den Markt kommen, ein Kleinwagen für 42.900 Euro. Es müsste ein kleines Batteriewunder geschehen, wenn der E-Golf viel billiger werden soll. Mittlerweile gibt es Überlegungen, E-Autos nicht zu verkaufen, sondern zu verleasen. Weil so teure Wagen sonst keiner kauft. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle von der FDP ist gegen eine Kaufprämie. Doch selbst wenn sie käme: Mit einem Zuschuss von 5.000 Euro wäre ein Opel Ampera dreimal so teuer wie ein ähnlicher Verbrenner.

Wahrscheinlich ist der Kunde ein Gegner, den VW und Nestmeier gemeinsam haben.

Der E-Golf bleibt liegen, der City EL scheppert

„Es muss funktionieren“, sagt Christoph Kielmann nach einem Mandel-Amarettini-Eis mit getrockneten Moosbeeren, hinter sich weite Fenster und rote Fabriktürme. „Es muss immer funktionieren.“ Das ist ihr Anspruch. Am Vormittag sind sie mit den Journalisten im E-Golf durch Wolfsburg gefahren. Sie haben die verschiedenen Beschleunigungsstufen probiert, die Anzeige mit der blau leuchtenden Golfsilhouette begutachtet, vorne, neben dem Lenkrad. Durch den virtuellen Golf flossen Energieströme, und wenn man bremste, lud er sich auf, die Ströme wurden grün. Die Reifen brummten über den Asphalt, gedämpft und dumpf. Stiller als Nestmeiers City EL, der ein wenig scheppert. Seine Fahrerzelle ist nicht besonders isoliert, die Bremsen sind nicht verstärkt. Man muss die Beine ein wenig anstrengen, um das fränkische Dreirad anzuhalten.

Aber dann ist beim Testfahren ein E-Golf einfach liegen geblieben. Wieso? Sie wissen es nicht. Es sei noch „sehr viel Handarbeit“, sagen sie. Es ist ein Golf, den sie aus der normalen Produktionsstraße geholt haben, bevor der Motorblock, bevor die Abgasanlage eingebaut worden waren. Sie werden noch etwas brauchen, damit es funktioniert.

Der City EL läuft.

„Ach, die Kiste!“, ruft einer der VW-Ingenieure. Habe er nie als Auto betrachtet. Sei doch beim leichtesten Aufprall Schrott.

Schrott? Karl Nestmeiers Füße federn in die Halle hinein. Er packt einen Hammer, greift einen Brocken aus Kunststoff, knallt ihn auf den Boden und drischt darauf ein. Sein Gesicht färbt sich rot. Das Eisen klopft auf den Brocken, tockt, viel zu hell, fast wie ein Tischtennisball auf der Platte. Nestmeier hält inne. Keine Delle im Kunststoff. „Polyurethan“, sagt er. Ganz leicht der Stoff, trotzdem kaum kaputtzukriegen. Daraus sind die Fahrerkabinen des City EL gemacht.

Noch so ein Thema, Nestmeier erzählt jetzt, energisch: Ein Mercedes-Sprinter überfährt ein Stoppschild und „jubelt“ einem City EL voll in die Seite, die es dabei richtig „schrotet“, wobei die Wanne „aufspreißelt“. Dem Fahrer sei nichts passiert. Das hat mit der Massenträgheit zu tun und damit, dass der City EL leicht weggeschoben werden kann. Im Gegensatz zu einem 1,5-Tonnen schweren E-Golf, der eher stehen bleibt und zerquetscht wird.

Trotzdem: Der Golf ist das meistverkaufte Auto in Deutschland. Und auch wenn Nestmeier seine Umsätze weiter verdoppelt und verdreifacht: Spätestens im Jahr 2014 dürfte der E-Golf den City EL überholen, zahlenmäßig.

Ganz sicher ist es nicht.

Nestmeier steigt in einen Tazzari Zero, einen ultraleichten italienischen Sporthüpfer, den er auch verkauft, sparsam und „piepeinfach zu fahren“. Er drückt erst auf den grünen Knopf, Öko-Modus, dann schaltet er auf Rot, Boostbetrieb, und schießt in den Ort hinein. Der Tazzari pfeift wie ein Formel-1-Wagen. Mitten auf dem Dorfplatz von Baldersheim zieht Nestmeier die Handbremse. Der Tazzari schleudert um 180 Grad herum. Karl Nestmeier triumphiert: „Ja, ein Elektroauto ist keine Nuckelpinne!“

In diesem Moment ist er ein Mann, der einmal ein Teenager war, der in einem Autoland aufwächst. Dort, wo Halbstarke hinter getönten Windschutzscheiben sinnlos Benzin verbrennen. Weil es Spaß macht. Und Lärm. Und stolz.

Johannes Gernert, 30, sonntaz-Redakteur, fährt ein Diamant-Rad