Die Akte des Facebook-Feinds

ENTHÜLLEN Max Schrems, der seine Daten von Facebook erstritt, ist längst weltberühmt. Uns hat er seine Daten gegeben, um ein Aufklärungsvideo daraus zu machen

■ Datenjournalismus: Die taz hat in den vergangenen Monaten immer wieder mit einer neuen Form des Journalismus experimentiert. Datenjournalistinnen verarbeiten Zahlen und Daten zu Online-Grafiken und Animationen. Die Idee ist simpel: Man kann mit Zahlen spannende Geschichten erzählen. Geschichten, die selbst Mathe-Hasser begeistern. Auf taz.de/parteispendenwatch etwa können immer noch die Parteispendenberichte der vergangenen Jahrzehnte durchstöbert werden, die Spender sind auf einer Deutschlandkarte verortet, sodass man schnell versteht, wer welcher Partei in welcher Region am meisten gibt.

■ Die Akte Schrems: Als Max Schrems, der mit seiner Initiative „Europe versus Facebook“ bekannt geworden war, andeutete, dass er der taz die ungeschwärzten PDFs seiner digitalen Facebook-Akte zur Verfügung stellen würde, haben wir sofort überlegt, wie wir die Geschichte des Facebook-Feinds noch einmal aus einem neuen Blickwinkel erzählen können. Ab diesem Wochenende zeigen wir mit seinen Daten und den Daten seiner Freunde, was Facebook alles wissen kann. Vor einigen Wochen hatten wir Auszüge aus seinem Mailwechsel mit Facebook veröffentlicht. Das neue Datenprojekt: taz.de/facebook.

VON JOHANNES GERNERT

Mal eine kleine medienpädagogische Übung: Man nehme also ein Bild, beispielsweise eines von der deutschen Facebook-Sprecherin Tina Kulow. Auf ihrer Facebook-Seite sind Fotos von ihr zu sehen, sie lächelt, eine Hornbrille im Gesicht. Man kann ein Foto herunterladen, das geht bei Facebook immer, und dann kann man es in seine eigenen Fotoalben wieder hochladen, um zu sehen, ob Facebook das Gesicht erkennt. Wenn man kein „Freund“ von Tina Kulow ist, wird Facebook ihr Gesicht nicht identifizieren. Man löscht das Bild vom eigenen Facebook-Profil, es war ja nur ein Test.

Ein paar Wochen später klickt man unter Kontoeinstellungen den Link „Lade eine Kopie deiner Facebook-Daten herunter“. Man bekommt eine komprimierte Zip-Datei geschickt, die alle Fotos, E-Mails und Pinnwand-Einträge des eigenen Profils enthält. Man scrollt durch drei Jahre alte Mails. Und plötzlich schaut einen Tina Kulow an. Das gelöschte Bild. Da ist es. Immer noch.

Und wenn man nicht schon vorher fasziniert, aber auch ein wenig verunsichert war, weil das so viel, viel, viel ist, was da irgendwo auf einem Server lagert, dann erschrickt man spätestens jetzt. Löschen geht also nicht. Sehr interessant. Max Schrems, Jura-Student aus Wien, hat vor einigen Monaten etwas Ähnliches erfahren. Er hat sich nicht mit dem Archiv zufrieden gegeben, das vor allem die Daten zusammenstellt, die auch auf der eigenen Facebook-Seite zu sehen sind. Er wollte mehr wissen über das, was im Verborgenen lagert. Er hat deshalb so lange um seine Daten gebeten, bis er 1.222 PDF-Seiten geschickt bekam, auf einer CD. Und auch er musste feststellen: Sehr persönliche Mails, die er hatte löschen wollen, sind da immer noch gespeichert. Wenn man ein Foto hochlädt, merkt sich Facebook Kameratyp – und wenn möglich auch den Ort der Aufnahme. Es weiß, wann man sich eingeloggt hat, oft auch wo. Vieles aber, was Schrems sich noch erhofft hatte, schickte Facebook erst gar nicht. Welche biometrischen Daten besitzt das Netzwerk von ihm?

Schrems hat eine Initiative namens „Europe versus Facebook“ gegründet, und er hat Beschwerden beim irischen Datenschutzbeauftragten eingereicht, weil Facebook dort seinen Europasitz hat. Seine PDF-Seiten hat Schrems geschwärzt auf der Seite seiner Initiative veröffentlicht. Die ungeschwärzte Version hat er der sonntaz geschickt, und wir haben mit Kollegen von taz.de und Entwicklern von Open Data City ein Video daraus gemacht.Der Clip steht seit diesem Wochenende auf taz.de. Er macht deutlich, was sich aus diesen Daten alles lesen lässt. Es ist ein Versuch, die Dimensionen des Facebook-Speichers auszuleuchten. Es zeigt, wie sich die Wege eines Facebook-Mitglieds detailliert verfolgen lassen, wie sich daraus minutiös Tagesabläufe rekonstruieren lassen, wie viel das Netzwerk über Mail-Inhalte weiß und wie wenig es bereit ist zu vergessen. Ein Aufklärungsvideo, das illustriert, was Geheimdienste oder Werbeleute dort alles erfahren könnten. Beiden Seiten verschließt sich Facebook nicht.

Was die Politik tun kann, ist nur die eine Frage. Der irische Datenschutzbeauftragte hat in der vergangenen Woche ein „Audit“ gestartet, er will sich von Facebook zeigen lassen, was es wie speichert, und so überprüfen, ob es europäische Standards einhält. Das Innenministerium erwägt Internetgesetze, preist aber auch die Selbstregulierung, die EU-Kommission erarbeitet Entwürfe. Als sich Facebook neulich wegen seiner Speichereien vor einem Ausschuss des Bundestags verantwortete, hat der Grüne Abgeordnete Konstantin von Notz ganz beiläufig erwähnt, auch so was wie ein Warnhinweis für Facebook sei ja durchaus mal bedenkenswert. Nur so ein Gedankenspiel. Achtung! Dieses Netzwerk speichert unter Umständen alles für immer!

Dann erschrickt man. Spätestens jetzt. Löschen geht also nicht. Sehr interessant

Solange die Politik um Haltung und Lösungen ringt, sollten sich die, die bei Facebook angemeldet sind, den Warnhinweis vielleicht selbst denken. Das sind immerhin mehr als zwanzig Millionen Deutsche.

Es schadet nicht, wenn sie sich gelegentlich mal ein Archiv herunterladen. Und sehen, was da für spannende Dinge aus den vergangenen Jahren ruhen. Max Schrems arbeitet daran, das Bewusstsein dafür zu stärken. Mittlerweile ist er auch in den USA bekannt. Die Washington Post hat über ihn berichtet, australische Medien, seine Geschichte geht um die Welt. Auch wir wollen sie mit unserem Video weitererzählen.

Bis zum Jahresende, hat der irische Datenschutzbeauftragte angekündigt, werde es Ergebnisse des „Audits“ geben. Facebook verspricht, seinen Usern dann in diesen Archiven mehr Daten zu geben, wenn sie wollen. Um klarzumachen, was es alles speichert. „Es sollen eher mehr als weniger Informationen bereitgestellt werden“, sagt ein Sprecher. CDs, wie die von Schrems, verschickt das Netzwerk vorerst nicht mehr. Obwohl Tausende Nutzer darum gebeten hatten.