Der Outsider

BÜHNEN David McAllister ist Ministerpräsident von Niedersachsen. Er zählt zu den mächtigen Politikern der CDU. Aber er will nicht im abgedrehten Berliner Polittheater auftreten. Geht das?

■ Bühnenspektakel: Talkshowauftritte, Homestorys, Sticheleien im Nachrichtenticker, Hofhalten im Café Einstein – die Protagonisten der Berliner Politbühne inszenieren sich mit Raffinesse und Lautstärke. Mit Christian Wulff und Karl-Theodor zu Guttenberg sind aber zwei Vertreter dieses Stils gescheitert. Auch die Kanzlerkandidaten-Ausrufung des SPD-Schachspielers Peer Steinbrück durch Helmut Schmidt ging daneben.

■ Understatement: Andere Politiker versuchen sich als Anti-Scheinwerfer-Spezies, inklusive Distanzierung von der Berliner Aufregung. Baden-Württembergs Winfried Kretschmann nannte sich Ostern in der sonntaz einen „Provinzpolitiker durch und durch“. SPD-Kandidat Torsten Albig setzt für seinen Wahlkampf in Schleswig-Holstein auf Kleinarbeit vor Ort.

VON GEORG LÖWISCH

Am Montagmorgen noch vor halb neun steigt am Berliner Hauptbahnhof ein Mann in einen gepanzerten Audi A 8. Der Himmel ist grau, ein Wind weht, aber trotzdem ist es ein milder Aprilmorgen. Der Mann steigt hinten ein, er lässt den Mantel an, es ist nicht weit.

Nun geschieht etwas Seltsames, denn der Mann bewegt sich in zwei Richtungen. Einerseits geht es zum Adenauer-Haus, zur Sitzung des CDU-Präsidiums, auf die große Bühne, zu Merkel, zur Kanzlerin, zur Macht. Und andererseits geht es weg davon, denn der Mann sagt lauter Dinge, die ihn entfernen von dieser Bühne, es ist, als wollte er mit aller Gewalt Distanz schaffen zwischen sich und dieser Welt.

Der Audi rauscht in die eine Richtung, und David McAllister, Ministerpräsident von Niedersachsen, lästert in die andere. Er nennt keine Namen, er nimmt Rituale auseinander, Gebärden, Gehabe. „Das Durchstechen aus vertraulichen Sitzungen.“ Er zieht den rechten Mundwinkel zu einem Grinsen hoch. „Unterm Tisch SMS zu verschicken, das scheint Volkssport in Berlin zu sein.“ Der Wagen passiert den Tiergarten. „Es geht manchen zu stark um sich.“ Biegt um die Ecke. „Die Kameras. Die Scheinwerfer.“ Klingelhöferstraße. „Man kann auch daran vorbeigehen.“

Die Grimasse schwindet abrupt, als er vor dem Eingang der Parteizentrale Norbert Röttgen erkennt, der sich vor den Reporterteams aufgebaut hat. Der Audi hält, McAllister schlüpft ins Foyer, wo die Kameras nicht hindürfen. Röttgen ist fertig, er holt McAllister ein. „Herr Ministerpräsident“, sagt er, und so, wie er das sagt, muss in den zwei Worten eine Bedeutung stecken; es muss so sein in Berlin, wo jeder Moment ein Auftritt ist, wo alles immer so aufgeladen ist, man kann ja ganz verrückt werden.

Herr Ministerpräsident. Vielleicht enthält das sogar Anerkennung: Gerade stehe ich im NRW-Wahlkampf, um mir ein Amt zu holen, das du in Niedersachsen schon hast. Vielleicht aber auch: Was, Kumpel, ist bitte Ministerpräsident gegen Bundesumweltminister und CDU-Bundesvize?

„Hallo Norbert“, sagt McAllister. Er gibt Röttgen einen Klaps auf den Oberarm, Röttgen klapst zurück. Hey Buddy. Also dann. McAllister fährt im Fahrstuhl in den fünften.

McAllister wählt den Platz gegenüber der Kanzlerin

Der Raum 50/05 des Adenauer-Hauses heißt Ludwig-Erhard-Raum. Eigentlich lustig, weil Erhard bestimmt vieles sein wollte, nur nie ein Zimmer von Konrad Adenauer. Aber McAllister lästert nicht mehr. Sein Blick gleitet durch den leeren Raum, über den Tisch, um den sich gleich das Präsidium versammeln wird, die 21 wichtigsten CDU-Mitglieder. An Merkels Platz liegt ein Reservierungskärtchen. McAllister zieht eine Aktenmappe aus seinem Koffer und geht um den Tisch. Er legt die Mappe auf einen Platz schräg gegenüber der Kanzlerin.

Der Mann ist jetzt im großen Berliner Theater angekommen.

Da, wo er eigentlich gar nicht hinwill.

Oder dort, wo er behauptet, nicht hinzuwollen.

David McAllister ist ein besonderer Fall. Hier ist ein Mann, der mit erst 41 Jahren eines der großen Bundesländer regiert. Er beherrscht einen der stärksten Landesverbände seiner Partei. Er wäre in der Position, irgendwann CDU-Chef zu sein, vielleicht Kanzler. Und die Ambitionen hat er ja, das Zentrum der Macht zieht ihn an, die Mitte.

Aber in dieser Mitte bleibt er allein. In Berlin, wo Auftritte immer wichtiger geworden sind, hält sich David McAllister raus. Schweigt, verzichtet, lehnt ab. Er ist jede Woche mindestens einmal in der Hauptstadt, aber die Welt bekommt nichts mit davon. Er fordert nichts, greift niemanden an. Er war noch nie bei Günther Jauch, nie bei Illner, nie bei Plasberg, nie bei Will. Die Frage ist, ob man als Outsider durchkommt in der Aufmerksamkeitsrepublik, in der jeder als Insider gelten will. Im Grunde wirft der Fall die Frage auf, ob es in Berlin ohne Berlin geht.

Man kann an David McAllister auch etwas über die Scheinwelt der Politik lernen. Sie bricht sich in diesem Mann. Er gesteht sich ein, dass die Politik nicht das Leben ist, sondern ein Betrieb. Und trotzdem wird fast all seine Zeit im Kalender der Staatskanzlei verwaltet. Macht entwickelt ab einer gewissen Stufe einen Sog. Wer ihm nachgibt, tauscht sein altes Leben ein. Zeit gegen Termine, Privatheit gegen Publikum, Freiheit gegen Selbstbeherrschung. McAllister will die Macht – aber er möchte nicht alles für sie hergeben. Wie kommt er damit klar? Wie lange?

12. Januar 2008, Landtagswahlkampf für Christian Wulff, die niedersächsische CDU verschmelzt in der Volkswagenhalle in Braunschweig gerade das Leben mit der Politik. Es ist eigentlich eine Machtdemonstration für Wulff, den Ministerpräsidenten, aber sie ist als Wochenendattraktion für die ganze Familie aufgemacht. Im Foyer dreht sich ein Kinderkarussell, es gibt Pizza, auf der Bühne steht eine Show bevor. Unten huscht der Regierungssprecher herum, Olaf Glaeseker, der Impresario. Nach Akrobaten und Tänzerinnen wird Wulff auftreten, die Farben seiner Krawatte aufs Scheinwerferlicht abgestimmt, Gelb, Orange, Rot zu dunkler Kulisse, zu dunklem Anzug.

Aber Moment, da ist vorher noch etwas, einer feiert heute Geburtstag, der CDU-Fraktionschef, David McAllister, ja wirklich, er muss auf die Bühne, die Leute klatschen und klatschen. Wulffs Setting ist ausgeklügelt, McAllister hat einfach Geburtstag, das ist echt, sein Lachen wirkt leicht.

2012. Als Berliner Reporter kann es einem passieren, dass man drei Monate warten muss, bis ein erstes Gespräch mit dem Ministerpräsidenten McAllister stattfindet. Trifft man ihn dann, macht er doch auf, nimmt einen mit, verabredet sich mehrmals. Er erzählt von früher, sein Vater, ein Schotte, war Militärangestellter. Sie lebten in der Britensiedlung von Berlin, britischer Supermarkt, britische Schule, britische Freunde. Erst als er elf war, ist die Familie nach Bad Bederkesa in Niedersachsen gezogen. Er hat sich die andere Heimat behalten, er wirkt aufgekratzt, wenn er Englisch spricht oder wenn er einem auf YouTube Reden des schrägen Bürgermeisters von London vorführt: Boris Johnson, der, anders als die deutschen Politiker, über sich lachen kann. Vielleicht rührt seine Skepsis gegenüber der Berliner Politik auch von seiner britischen Seite her.

Mit 31 ist McAllister glücklich in Bad Bederkesa im Kreis Cuxhaven. Schützenkönig, Bürgermeister, Kreistag, Landtag, in ein paar Jahren kann er Landrat sein. Wulff lädt ihn zum Frühstück ein. Er sucht einen Generalsekretär für die Landespartei, der Wahlkampf für 2003 steht bevor. Es ist Wulffs letzte Chance, Ministerpräsident zu werden.

Endlich in der Staatskanzlei, befördert Wulff McAllister zum Fraktionschef im Landtag. Der Ministerpräsident arbeitet sich in Fernsehen und Bild vor, McAllister übernimmt die Basis. Er entwickelt etwas Nützliches: Von den Positionen her pflegt er eine großstädtische CDU, die Kinderbetreuung forciert und Migranten gewinnen will. Im Landtag und in Vereinsheimen kümmert er sich um die alte CDU, er tümelt, poltert und peitscht.

Er kommt an, er fällt Angela Merkel auf, sie fragt ihn, ob er als ihr Generalsekretär nach Berlin gehen will. Er sagt ab. Sein Einfluss soll von unten wachsen. Er verkettet seine Karriere mit der des anderen und wartet, dass Wulff es nach Berlin schafft. So wird er 2010 Ministerpräsident.

Was McAllister und Wulff trennt, ist, dass der Jüngere sich nicht hochkämpfen muss, irgendwie ist er ein Glückskind. Der Unterschied sei, hat Wulff mal gesagt: „McAllister hat noch nie verloren.“ Es klingt neidisch. Wulff hat sich lange danach gesehnt, ein Gewinner zu sein. Er wollte so gerne in die Mitte, ins große Theater. Dabei sind die Ebenen ineinandergeflossen. Konstellationen wurden zu Freundschaften, Familienausflüge zu Fotomotiven, Gefühle zu Staatsangelegenheiten. Wulff hat die Dinge vermanscht.

Ende 2011, als Wulff in Affären versinkt, zerrt die Verbindung an McAllister. Er lässt den Förderer stehen mit seinen merkwürdigen Freunden. Aber sich öffentlich von ihm abzutrennen, das vermeidet er, das hielte die CDU für feige, er muss aufpassen.

Wulff, das Schwein aus Niedersachsen? Er klärt das

Am 25. Januar 2012 enthüllen Journalisten wieder etwas: Ein Marketingmensch hat für Wulff eine Party geschmissen. Am Abend besucht McAllister die Grüne Woche, Landwirte, Jagdhornbläser, eigentlich sein Terrain. Er ruft: „Aus Niedersachsen kommt jede zweite Kartoffel, jedes zweite Masthähnchen, jedes dritte Frühstücksei und, jawoll, liebe Freunde, jedes dritte Schwein ist ein Niedersachse!“

Es dauert kurz, dann registriert er, dass das auf Wulff bezogen werden könnte. Das Schwein aus Niedersachsen. Und in der Halle befinden sich zwei Journalisten, das weiß er. Nach der Rede ist er zu ihnen gegangen. Er hat gesagt, sein Finanzminister habe ihm im Zug den Gag eingeredet. Er hat das Redemanuskript mit der handschriftlich veränderten Stelle vorgezeigt. Einer der Journalisten erzählt, wie McAllister ihm noch nachlief. Der Mann habe fast gebettelt. Geschworen.

Er hat gehandelt, als stünde hier alles auf dem Spiel. Er wollte den Abstand zu Berlin, und dann schwört er auf der Grünen Woche vor einem Journalisten. Der Sog Berlins ist stark in den Wulff-Tagen, David McAllisters selbst gezogene Trennlinien verwischen.

29. Februar, Hannover, zwölf Tage nach Wulffs Rücktritt. McAllister sitzt vor den Landtagskorrespondenten, nass gekämmt, dunkler Anzug, gemessene Bewegungen, Nicken nach rechts, Blickkontakt nach links. Das Thema lautet „Bilanz des Niedersächsischen Mediengesetzes“, kein Kracher, aber ihm ist alles recht, was nichts mit dem Vorgänger zu tun hat. Er will Normalität, er will, dass das hier wieder ein Beruf ist. Neben ihm sitzen seine Staatssekretärin Christine Hawighorst, freundlich, seriös, und sein Regierungssprecher Franz Rainer Enste, grauer Anzug, früher Verwaltungsrichter. Enste ist das Gegenteil von Wulffs einstigem Spindoktor Glaeseker, er wirkt, als müsste er Begriffe wie „Durchstechen“ erst googeln, und wenn er sich unsichtbar machen wollte, müsste er sich einfach vor eine Wand mit Leitzordnern stellen. Für die Situation ist Enste perfekt. Die Journalisten fragen nach Lokalfernsehen, der VW-Stiftung, nach Gorleben. Es wird richtig schön dröge, ein Wulff-loser Termin.

McAllister belohnt sich dafür mit zarten Fleischstreifen in seinem griechischen Lieblingsrestaurant. Er kennt die Karte, er hat hier schon gegessen, als er noch nicht Regierungschef war, es ist sein David-bleibt-David-Grieche.

Er ist jetzt weit weg von Berlin. Er erzählt von seinen Sonntagabenden in Bad Bederkesa, wenn er mit seiner Frau die beiden Töchter ins Bett gebracht hat, wenn sie versuchen, noch in den „Tatort“ reinzukommen und sich danach Günther Jauch ansehen.

Will er nicht selbst dort sitzen? Er guckt erstaunt. „Ich gehe selten in Talkshows. Schon gar nicht am Sonntag. Ich müsste um 13, 14 Uhr aufbrechen.“ Er verteidigt die Sonntage. Den Mittwoch, den er als Fraktionschef häufig in Bad Bederkesa verbrachte, hat er aufgegeben. Aber er möchte ein normaler Vater sein, seine Familie stellt er doch auch nicht aus.

Sein Ton wird scharf jetzt. „Mein Eindruck ist: Manche Dauergäste, die da Sonntagabend sitzen, haben kein Zuhause.“

Und der Boulevard? „Wer sich meldet, bekommt eine freundliche Antwort. Aber wir machen das nicht ständig proaktiv, wir beschäftigen uns beispielsweise nicht damit, wie ich in die Boulevardmedien komme. Können wir McAllister mal hier anfüttern oder da anfüttern, ich hab dafür keine Zeit.“

Er schaut über den Tisch. Der Name ist nicht gefallen. Aber gerade hat er Wulff getreten.

Zurück in der Staatskanzlei, empfängt er eine Schulklasse aus Peine. „Schüler überreichten McAllister Ehrenaktie“, steht tags darauf in den Peiner Nachrichten. Er probiert es anders. Nicht Bild, Bams und Glotze. Sondern Peiner Nachrichten und „Hallo Niedersachsen“ vom NDR. Und wenn er persönlich das ganze Land abreisen muss. Bitte!

Sein Büroleiter behält den Überblick, Holger Spreen, er kommt aus dem Mittelwesergebiet, und wenn er einen mit seinem klaren Blick anschaut, denkt man, dass er einen Tag im Berliner Wahnsinn zubringen kann, ohne ein Wort zu sagen. In Spreens Zimmer hängt eine Karte des Landes. Sie ist gespickt mit Plastikfähnchen. Schwarz die Termine von 2008 bis zu McAllisters Wahl zum Ministerpräsidenten im Juli 2010, rot die danach. Rot hat Schwarz überholt.

Als McAllister Ministerpräsident wurde, bat er amtierende und ehemalige Länderchefs um Tipps. Vielleicht war das auch schon so eine Art, sich von Wulff abzugrenzen. Jürgen Rüttgers hat gesagt: „Junge, mach deine Post in jeder freien Minute. Sonst schaffst du’s nicht.“

McAllister macht die Post. Spreen packt ihm die gelben Kisten, zwei pro Tag. Vermerke und Sprechzettel, Kabinettsvorlagen und Bundesratsvorlagen, Briefings und Briefe. Wissen, Entscheidungen, Absicherungen. Er schreibt mit grünem Stift an den Rand, was geschehen soll. Manchmal kleben Eilt-Zettelchen auf einer Akte, da schnaubt er verächtlich. Er macht doch die Post. Morgens, mittags, abends. Wenn er zum Auto kommt, steht der Kofferraum offen und er holt sich die gelbe Kiste auf die Rückbank. Alle Spitzenpolitiker haben Papierkram, er nimmt ihn sich vor, als könnte er sonst die Kontrolle verlieren. „Ich muss die Stapel abräumen“, sagt er.

Es hört sich nach Fabrik an, nach Beruf, dem Leben draußen.

Fragt man McAllister, wofür er überhaupt steht, muss er überlegen. „Maß und Mitte, dafür stehe ich“, sagt er. „Verkehrsinfrastruktur, erneuerbare Energien, Hafenausbau, Hafenhinterlandanbindung.“ Er kneift die Augen zusammen. „Nähe zur Bundeswehr, kommunale Themen, kommunalpolitische Praxis, pragmatische Bildungspolitik.“ Die Begriffe klingen, als kämen sie aus seiner Postkiste.

Kanzler? Sein Freund Enak traut ihm das zu

Die Politik als Briefzentrum, das hat auch etwas Deprimierendes. Oder betrügt man sich mit der Vorstellung, dass die Demokratie auf den Chefebenen leuchten muss? Dass ein Ministerpräsident große Ideen haben soll? McAllister begeistert sich für Häfen und Windräder. Er läuft mit Merkel über die Hannover-Messe, schwärmt für den VW-Konzern, wo er im Aufsichtsrat sitzt. Prinzip Bob der Baumeister, der Held aus dem Kinderfernsehen.

Und die hässlichen Dinge? Abschiebungen? „Er deckt die Praxis seines Innenministers, der ruppiger und kompromissloser abschiebt, als es anderswo in Deutschland gemacht wird“, sagt Kai Weber vom Flüchtlingsrat. Atommüll? „Er hat sich von der knallharten Pro-Gorleben-Linie der CDU wegbewegt, weil er fordert, dass auch anderswo ein Endlager gesucht wird“, sagt Jochen Stay von .ausgestrahlt. „Andererseits: Wenn er sich vollständig von Gorleben lösen würde, wären wir das Ding endlich los.“

Zu solchen Themen äußert McAllister sich allenfalls abwägend. In der Landes-CDU gibt es Leute, denen das zu langweilig ist. Der David kann doch reden, warum lässt er’s nicht knallen? Er ist ein Angsthase, sagen die Grünen. Er taucht ab, sagt die SPD – und ist kleinteilig.

Bob der Baumeister: Enak Ferlemann liebt dieses Konzept. Wäre er sonst Staatssekretär im Bundesbauministerium geworden? In seinem Büro stehen zwei Spaten von feierlichen Spatenstichen. Ferlemann kommt auch aus dem Kreis Cuxhaven, er kennt McAllister von der Jungen Union, und mein Gott, heute sind sie alle beide so richtig drin in der Politik. „Ich glaube, da kommt noch ’ne Stufe nach“, ruft Ferlemann in sein Büro. Kanzler? „Zutrauen tu ich ihm das.“

McAllister vermeidet, anders als früher, das Wort „Freund“ bei anderen Politikern. Er trennt. Aber für Enak gilt das nicht, der ist sein Freund. Ferlemann kann ausstreuen, was McAllister nicht sagt. Dass das Misstrauen gegen Berlin durch den Fall Wulff tiefer geworden sei. „Das ist jetzt die Konsolidierung.“

Konsolidieren. Vielleicht steht es nach Wulff, nach Guttenberg, nach dem Absturz der Glitzergiganten wirklich an, dass sich die Hauptstadt etwas einkriegt. Ein bisschen Hafenhinterlandanbindung. Thomas de Maizière, der Verteidigungsminister, wird ja auch als Aktenkauz respektiert. Die Abgrenzung zum großen Theater kann eine Marke werden. Eine Gegeninszenierung? „Nein, ich hab da einfach keine Lust drauf“, behauptet McAllister. Er bläst die Luft aus den Backen, das sieht unschuldig aus. Dabei würde es doch passen: Dieser Bühne nicht sein Leben geben – und damit noch Punkte bei den Wählern sammeln.

Die Wahl ist im Januar. Auch ohne Talkshows kennen McAllister nach der jüngsten Umfrage fast alle Niedersachsen. Er ist doppelt so beliebt wie Stephan Weil, der Oberbürgermeister von Hannover, den die SPD ins Rennen schickt. Die Wahl ist wichtig, mit ihr entscheidet sich, wie die Parteien ins Jahr der Bundestagswahl starten. Die CDU muss Niedersachsen halten, sonst wird es für Merkel herb. McAllister ist Teil des großen Spiels um Berlin.

Montagmittag, der ICE rast nach Hannover. Das CDU-Präsidium ist rum, zwei Personenschützer spielen etwas abseits mit ihren Smartphones und McAllister hat sich im Speisewagen ein Rindergulasch gegönnt. Der Zug entfernt sich von Berlin.

Und der Politiker redet sich auf Abstand zur Politik. „Die Einladungen richten sich an den Amtsträger, nicht an die Privatperson.“ Er will das Amt, aber er will kein Amt sein. „Bei der nächsten Dateibereinigung fällt dein Name vielleicht raus aus dem Verteiler.“ Er will gewappnet sein, falls er abstürzt. „Dessen sollte man sich immer bewusst sein.“ Er will nicht, dass dieser irre Betrieb sich sein ganzes Leben greift.

Hannover, Gleis 12, Treppe runter, ins Auto, in die Staatskanzlei, Treppe hoch, durchs Vorzimmer. Post. Treppe runter, er trifft seine Staatssekretärin, Küsschen. Raus. Gleich die Pressekonferenz im Leibnizhaus, Thema Demografie, es wird die Gründung eines Thinktanks verkündet. Das Land zahlt, der DGB-Chef wird ihn dafür loben, die SPD doof dastehen. Draußen scheint die Sonne, er lässt sich auf die Rückbank fallen, schließt die Augen, bricht ein Päckchen Dextroenergen auf.

Dann geht es weiter und weiter und weiter. Und der Mann fährt in sein Leben, das die Politik bald aufgesogen hat.

Georg Löwisch, 37, leitet die sonntaz-Redaktion. 2007 porträtierte er McAllister schon einmal