Das Ende der Machtmütter

VATERLAND Wurde das nicht längst Zeit? Unverheiratete Väter bekommen jetzt ganz leicht das Sorgerecht für ihr Kind. Das klingt fortschrittlich. Aber ist es das auch? Wie ein Gesetz ganze Familienstrukturen verändern könnte

■ Alt: Wenn der Vater des Kindes nicht mit der Mutter verheiratet war, dann konnte er bis Juli 2010 das Sorgerecht nur bekommen, wenn die Mutter mit einer sogenannten Sorgeerklärung zustimmte. Mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 wurde die rechtliche Stellung dieser Väter gestärkt. Sie konnten nun unter bestimmten Voraussetzungen das Sorgerecht erhalten. Wichtig dabei: Das gemeinsame Sorgerecht musste dem Kindeswohl dienen.

■ Neu: Im Januar hat der Bundestag das Sorgerecht geändert. Jetzt kann der Vater die gemeinsame Sorge auch ohne Zustimmung der Mutter erhalten. Er muss das beim Familiengericht beantragen, dort aber nicht mehr nachweisen, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl zugutekommt. Falls die Mutter keine Gründe gegen das gemeinsame Sorgerecht vorträgt, entscheidet das Gericht nach Aktenlage – ohne persönliche Anhörung der Eltern. Das neue Gesetz tritt am 19. Mai in Kraft.

AUS BERLIN UND SPEYER HEIDE OESTREICH UND SIMONE SCHMOLLACK
ILLUSTRATION DIETER JÜDT

Und dann streiten sie irgendwann wegen einer rosa Strumpfhose. Markus findet es unmöglich, dass seine Tochter damit herumläuft. Die Mutter hat sie in diesem Aufzug bei ihm abgeliefert. Er kauft eine neue Hose, eine blaue – und stellt sie seiner Exfrau Lena in Rechnung. Aber Lena zahlt nicht. Gegen eine rosa Strumpfhose sei schließlich nichts einzuwenden, findet sie. Markus verklagt die Frau, mit der er viele Jahre zusammengelebt hat, auf die Rückerstattung von 8,99 Euro.

Lena und Markus treffen sich häufig in Berliner Gerichtssälen: Sie sind nicht verheiratet und seit drei Jahren getrennt. Ihre Geschichte wollen sie erst nach langem Zögern und nur getrennt voneinander erzählen. Eine ihrer Bedingungen ist: Sie möchten nicht mit ihrem richtigen Namen genannt werden. Lena und Markus, wie sie hier also heißen, haben beide das Sorgerecht für die zwei gemeinsamen Kinder. Sowenig sie sich auch verstehen, müssen sie immer zusammen entscheiden, wenn es um den neun Jahre alten Sohn und die sechs Jahre alte Tochter geht. So schreibt es das Gesetz vor.

Soll die Tochter auf die teure Privatschule?

Erst neulich wieder: Die Tochter soll im Sommer in die erste Klasse kommen. Aber in welche Schule? In die städtische im Kiez, die das Amt vorschreibt? Oder in die Privatschule, die jeden Monat 400 Euro kostet? „Ich will, dass sie in die kommunale Schule geht, dort ist auch schon unser Sohn“, sagt Lena. „Die Privatschule ist besser“, sagt Markus, „dort lernt sie wenigstens was.“ Der Ton in Markus’ Stimme ist charmant, aber bestimmt. Man kann sich vorstellen, wie hart und streng er sein kann, wenn er etwas will. Aber er kann nicht allein entscheiden. Den Schein für die Einschulung müssen er und Lena zusammen unterschreiben.

So wie Markus und Lena sich bekriegen, könnten das bald noch mehr Paare tun. Denn die gemeinsame Sorge für getrennte Paare soll in Zukunft der Normalfall sein. So will es die Regierung. Am 19. Mai wird die Neuregelung des Sorgerechts unverheirateter Paare in Kraft treten. Mütter haben nun kein Vetorecht mehr, wenn ihre Exfreunde bei den Entscheidungen zum Sorgerecht mitreden wollen. Bisher konnten die Mütter Partnern, mit denen sie nicht verheiratet sind, das Sorgerecht verweigern.

Man ging davon aus, dass die Mutter schon weiß, was gut für das Kind sei. Das ist einmal durchaus progressiv gewesen. Für uneheliche Kinder war zuvor jahrzehntelang ein gesetzlicher Vormund zuständig gewesen. Die Mutter war nur die alltägliche Betreuungsperson. Erst 1970 bekam die Mutter die Alleinsorge. Getrennt lebende ledige Väter konnten das Sorgerecht nur bekommen, wenn die Mutter einverstanden war. Die Väter sollten so einen Anreiz haben, die Mutter des Kindes zu heiraten.

Mit dem neuen Sorgerecht müssen die unverheirateten Eltern zusammen bestimmen, wie das Kind heißt, ob es getauft werden soll oder nicht, wo es wohnt und ob es ein Konto haben darf. Wenn man so will, ist damit das kurze Matriarchat im Familienrecht zu Ende gegangen. Das Vetorecht, die Sonderstellung der Mutter, damit ist es vorbei. In Zukunft kann der Vater die gemeinsame Sorge beim Familiengericht beantragen. Die Mutter kann innerhalb von sechs Wochen widersprechen. Aber sie muss triftige Gründe haben: Das Kindeswohl müsste durch die gemeinsame Sorge gefährdet sein.

Dann beugen sich Richter über Schriftsätze und lesen beispielsweise, dass der Vater verspricht, sich intensiv um sein Kind zu kümmern. Oder dass er dafür extra in die Nähe seines Kindes gezogen ist. Dass er schon ein Zimmer eingerichtet hat. Die Mutter entgegnet dem vielleicht, dass sie und der Vater nie eine richtige Beziehung hatten und dass sich die Mutter deshalb nicht vorstellen kann, mit ihm gemeinsam das Kind großzuziehen. Das wird vielen Richtern reichen für ihre Entscheidung. So steht das auch im Gesetz. Das Gericht muss die Eltern nicht persönlich anhören. Vereinfachtes Verfahren nennt sich das.

Es wirkt wie ein Fortschritt. Der alte Spruch „Das Kind gehört zur Mutter“ wird auf den Boden neuer Tatsachen geholt: Das Kind hat Anspruch auf beide Eltern. Damit reagiert die Politik auch auf eine gesellschaftliche Entwicklung: Es gibt immer mehr Väter, die sich kümmern und bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, die auch nach einer Trennung pragmatische Lösungen finden wollen. Viele dieser Väter wollten noch mehr tun für ihr Kind, sie durften aber bei den großen Fragen nicht mitentscheiden. Sie wurden ausgeschlossen, obwohl sie doch so gerne mitgemischt hätten bei zentralen Dingen der Kindererziehung. Für sie ist die neue Sorgerechtsregelung eine Chance.

Doch das Gesetz hat auch etwas Altbackenes: Kindern, die glücklich mit einem neuen sozialen Vater, in einer großen Wohngemeinschaft oder mit zwei Müttern aufwachsen, bekommt im Zweifel nun plötzlich auch noch einen Vater – den biologischen. Kann das gut gehen? Ist die biologische Abstammung wichtiger als die soziale Vaterschaft?

Wozu das neue Recht führen könnte, sieht man bei Lena und Markus. Lena, 39, und Markus, 42, leben im alten Westberlin, nur ein paar Ecken voneinander entfernt. Opulente Gründerzeithäuser, Cafés mit leiser Musik, ein großer Park mit zwei Kinderspielplätzen. Sie sind Akademiker mit guten Jobs. Lena ist eine kleine Frau mit einer hellen Stimme. Sie trägt gern auffälligen Schmuck und Kleidung, die sie im Ökokatalog bestellt. Auch Markus achtet darauf, wie er wirkt. Auf dem Spielplatz sieht man ihn manchmal im Anzug.

Ihre Liebe zu besonderen Dingen hat sie mal miteinander verbunden. Aber wenn sie sich jetzt zufällig auf der Straße treffen, nicken sie sich nur kurz zu, manchmal laufen sie absichtlich aneinander vorbei. Sie würden sich gern meiden. Aber das geht nicht. Denn da sind ja noch die zwei Kinder.

Bis vor drei Jahren waren die vier eine glückliche Familie. Hochzeit muss nicht sein, wir brauchen dieses antiquierte Versprechen nicht, hatten sie gesagt. Aber unsere Kinder sollen wissen, dass wir zusammen gehören. Lena und Markus beantragten das gemeinsame Sorgerecht. Ein Schritt, den beide heute bereuen. Jetzt beansprucht jeder die Kinder für sich allein. Er hat mit dem Kleinkrieg angefangen, sagt sie, ich musste mich wehren. Jetzt betreibt jeder der beiden sein irrationales Spiel.

In solchen zerbrochenen Familien geht es oft um Macht, auch bei Lena und Markus. Das Verhältnis ist vergiftet, nicht nur durch die gegenseitige Enttäuschung nach einer Trennung, sondern auch, weil tradierte Rollenbilder verschwimmen, weil dadurch eine neue Unsicherheit entsteht. Väter hatten jahrhundertelang das Recht, über die wichtigen Fragen in der Familie zu bestimmen. Der „Stichentscheid“, das Letztentscheidungsrecht des Vaters in allen Familienangelegenheiten, wurde im Westen der Republik erst 1959 abgeschafft.

In den Familien aber galt das Machtwort des Vaters lange weiter. Es geistert immer noch in den Köpfen herum: Der Vater steht für die Macht. Wird sie ihm genommen, reagiert er nicht selten gereizt. Müttern dagegen blieb die alltägliche Macht über die Kinder. Für so manche Mutter war das alte Sorgerecht sehr bequem, weil Väter auf Distanz gehalten werden konnten. Jetzt, wo sich das alles verschiebt, tragen beide Seiten ein schweres machtpolitisches Erbe: der Vater die Demütigung, nicht mehr Patriarch zu sein, die Mutter den Verlust, im Alltag nicht mehr allein über die Kinder bestimmen zu dürfen.

Es gibt zwei Lobbyverbände, die um die Zukunft des Sorgerechts ringen. Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter, kurz VaMV, vertritt eher die Mütter, der Väteraufbruch für Kinder, der VafK, eher die Väter. Ein bisschen geht es zwischen beiden Verbänden zu wie zwischen Lena und Markus.

Edith Schwab, eine große, kräftige Frau mit blonden Locken, macht sich für die Mütter stark. Die Lobbyistin sitzt in ihrem Anwaltsbüro in Speyer und klingt wie immer sehr bestimmt. Das nüchterne Büro sieht fast aus wie eine Arztpraxis, es liegt in der Innenstadt. Durch Speyer bewegt sich Schwab in einem Jaguar. Sie lebt auch getrennt. Aber mit dem Vater ihres Sohnes gab es nie Probleme, sagt sie. Der Sohn studiert jetzt in Australien.

Edith Schwab will auch aktive Väter. Aber sie will keine Vereinfachung auf Kosten des Kindes. „Wir begrüßen es natürlich, wenn Väter sich stärker in der Familie engagieren wollen. Immerhin sind 90 Prozent der Alleinerziehenden Mütter“, sagt sie. „Aber wir sind dagegen, dass für eine sehr kleine Menge von streitigen Fällen ein Gesetz gemacht wird, das völlig außerhalb der bewährten aktuellen Regelungen steht.“ Sie sagt das auf allen Kanälen, auch in der Bundestagsanhörung zum Thema hat sie gesprochen. Sie hat am Ende das Gefühl, nicht durchgedrungen zu sein. Ihre Gegner vom Väteraufbruch dagegen klagen, Schwab beherrsche die Szene und habe die Medienhoheit.

2010 bekam Schwab das Bundesverdienstkreuz. Der Väteraufbruch schrieb einen merkwürdigen Brief an den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Darin forderte der Verband, Schwab das Kreuz nicht zu verleihen: Deren „militanter Verband“ unterstütze die „feudale Herrschaftsentfaltung von Müttern“, hieß es in dem Schreiben. Schwabs Lebenswerk beruhe auf der „angestrebten psychischen, physischen und wirtschaftlichen Vernichtung von Vätern“.

Im Netz warnen die Männerrechtler vor Schwab, unter anderem verkläre sie die alleinerziehende Mutter zur Heldin, „gleich der deutschen Mutter im nationalsozialistischen Ideal“.

Edith Schwab zieht angesichts solcher Vorwürfe ihre rechte Augenbraue hoch: „Das ist Quatsch, ich persönlich bin völlig ideologiefrei. Diese Leute können eine fundierte sachliche Argumentation nicht ertragen, also versuchen sie es mit übler Nachrede. Aber was kümmert es eine Eiche, wenn die Sau sich an ihr reibt?“

Die demokratische Familie ist historisch recht neu

Schwab findet, dass ein Gericht genau prüfen soll, was dieses gemeinsame Sorgerecht für das Kind bedeuten könnte. Also kein vereinfachtes Verfahren, bloß mit Schriftsätzen. Stattdessen eine sorgfältige Ermittlung mit Anhörung der Mutter, des Vaters, Verwandter und Bekannter, und selbstverständlich auch des Kindes selbst, falls das Kind alt genug ist. Aber all das sieht das Gesetz nicht vor. Schwabs Einwände blieben ungehört.

Eine demokratische Familie, so wie sie dem Gesetzgeber vorschwebt, ist historisch gesehen recht neu. Ein frisch getrenntes Paar aber, das mit viel Hass auf seine gemeinsame Vergangenheit schaut, kann schwer vernünftige demokratische Kompromisse finden. Gerade wenn darunter noch ein ganz anderer Konflikt liegt, weil Mütter und Väter an den letzten verbliebenen Zipfeln ihrer Macht mit aller Kraft festzuhalten versuchen. In ihrer jeweiligen Rolle.

Lena und Markus streiten sich darüber, wie hoch das Taschengeld für die Kinder sein soll, ob der Sohn mit dem Tretroller in die Kita fahren und ob die Tochter ins gechlorte Schwimmbad gehen darf. Es geht um die Frage, ob die Kinder bei Fieber Medikamente bekommen sollen oder Wadenwickel. Ob der Klavierunterricht fünfzig oder besser nur vierzig Minuten dauern sollte. Sie verhandeln und verfluchen sich, sie bitten Mediatoren und Familientherapeuten um Hilfe. Sie lassen psychologische Gutachten erstellen und ihre Anwälte feilschen wie auf dem Basar. Sie haben den anderen zur eigenen Obsession gemacht. Da bleibt kaum Platz für Freunde, neue Partner oder Müßiggang.

Mehr als ein Jahr haben sich Lena und Markus darüber gestritten, wo die Kinder wohnen sollen. Markus wollte, dass sie regelmäßig wechseln: Zwei Wochen sollten sie bei ihm sein, danach zwei Wochen bei der Mutter. „Das ist gerecht“, findet er.

Lena lehnte das natürlich ab, die Kinder bräuchten einen klaren Lebensmittelpunkt, „sonst kommen sie nie zur Ruhe“.

Das Gericht legte einen Kompromiss fest: Neun Tage sind die Kinder bei der Mutter und fünf Tage beim Vater. Die Ferien werden geteilt, ebenso Weihnachten, Ostern, Pfingsten. Markus und Lena führen das alte machtpolitische Stück auf: In Markus‘ Geschichte ist Lena eine „neurotische Kuh“, die die Kinder „am liebsten für sich allein hätte“ und es gern sähe, „wenn ich an den Nordpol verschwände, aber jeden Monat jede Menge Unterhalt abdrücke“. In Lenas Version geht es Markus kaum um die Kinder, sondern vielmehr um Einfluss – auf die Kinder und seine frühere Lebensgefährtin.

Lena sagt: „Am liebsten würde er alles allein bestimmen.“ Was die Kinder essen, ob sie Fernsehen dürfen, wo sie ihre Ferien verbringen. Jetzt müssen das Lena und Markus zusammen entscheiden. Was sie nicht können.

In der mütterlichen Haltung scheint der deutsche Muttermythos auf. Ist es gerecht, wenn ein Vater überall mitentscheiden darf, obwohl es doch meist die Mutter ist, die das Kind jeden Tag betreut und die es anfangs immer versorgt, im Bauch und in den ersten paar Monaten?

Die Väter wiederum wollen nicht nur um der Mitbestimmung willen mitreden. Längst möchten sich viele nicht mehr nur am Wochenende um ihre Kinder kümmern. Die Vaterrolle wandelt sich. Da will jemand also neuer Vater werden – da ist es doch eigentlich logisch, dass das Gesetz ihm dabei hilft. Oder?

Die Gesellschaft verständigt sich seit Jahren darüber, dass es nicht weitergehen kann wie in den Fünfzigern. Dass das Ernährungsmonopol des Vaters und das Erziehungsmonopol der Mutter Ideale aus einer vergangenen Zeit sind. Jetzt muss sie ein neues Modell finden.

Dass die Eltern in diesen Fragen zusammengeschweißt sind, haben Väter durchgesetzt: Sie klagten bis zum Verfassungsgericht und zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Und die Gerichte urteilten: Dem Vater stehen mehr Rechte zu. Was die Gerichte aber nicht vorschrieben, ist das „vereinfachte Verfahren“. Das hat das Justizministerium in den Gesetzentwurf geschrieben. Eine Erleichterung für die Väter, ein Teilsieg also der Väterlobby.

Der Väteraufbruch will jetzt kooperieren

Die Väterrechtler, die sich oft diskriminiert fühlen, haben offenbar mehr Einfluss, als sie selbst glauben. Rainer Sonnenberger ist ein ruhiger Mann, Ingenieur. Er ist keiner, der wütende Kommentare in Internetforen hackt. Und weit entfernt von dem Schauspieler Mathieu Carrière, der sich 2006 für den Väteraufbruch mediengerecht vorm Justizministerium halbnackt an ein Kreuz binden ließ, um den „Krieg gegen die Väter“ anzuprangern.

Sonnenberger ist Mitte 40, mittelgroß, hat braunes kurzes Haar und ein jungenhaftes Gesicht. Über seine eigene Trennungsgeschichte will er nicht reden. Aber es gibt darin drei Kinder und einen Vater, der pendelt, um sie zu sehen. Sonnenberger engagiert sich im Väteraufbruch, dem VafK.

Der Väteraufbruch hat seine Strategie geändert – und Sonnenberger ist der Repräsentant dafür: „Wir haben jetzt eine Basis an Leuten, die mit ihren persönlichen Geschichten schon lange durch sind. Wir wollen kooperieren,“ erklärt er beim Treffen in einer alten Berliner Kneipe. Er trinkt einen Kaffee und formuliert vorsichtig. Sein Verein ist seit Neuestem Mitglied im Bundesforum Männer, eine Organisation, die eher profeministisch ausgerichtet ist.

Sonnenberger war sogar im Beirat für eine groß angelegte Sorgerechtsstudie des Justizministeriums. Die hat ergeben, dass das gemeinsame Sorgerecht durchaus dazu beiträgt, dass Eltern miteinander kooperieren und dadurch dem Kind Trennungsschäden ersparen. Die Untersuchung zeigt aber auch, dass gleiches Recht für Mutter und Vater kontraproduktiv sein kann, wenn die Verständigung zwischen ihnen nicht klappt.

Für viele Eltern ist die demokratische Familie inzwischen eine Selbstverständlichkeit. Ein Drittel aller Kinder wird heute geboren, ohne dass die Eltern verheiratet sind. 62 Prozent beantragen kurz vor oder nach der Geburt das gemeinsame Sorgerecht. Viele andere wollen die gemeinsame Sorge erst gar nicht. Und dann gibt es da auch noch sie: Väter, die gegen den Willen der Mutter mitentscheiden wollen. Paare, denen es so gehen könnte wie Lena und Markus.

Befriedet das neue Sorgerecht die Väterrechtler? Bringt es das Ende der Wutväter?

Der Väteraufbruch hat noch offene Wünsche: „Wir wollen die gemeinsame Sorge ab der Geburt, zusammen mit der Vaterschaftsanerkennung“, sagt Rainer Sonnenberger. Er ist sicher, dass die jetzige Regelung wieder vor Gericht landen wird. „In den ersten sechs Wochen entscheidet die Mutter so viel, da wollen wir ein Mitspracherecht haben.“ Der Name des Kindes, die Religion, eine eventuelle Beschneidung, frühe Operationen, all das können die Väter immer noch nicht mitbestimmen.

Der entscheidende Unterschied zwischen der Mütter- und der Väterlobby besteht in einer Art „Naturrecht“, wie es Juristen nennen würden. Familienanwältin Schwab nennt es „Biologismus“: Ist es gut, wenn der biologische Vater immer im Leben des Kindes präsent ist? „Diesen Biologismus meinten wir eigentlich überwunden zu haben“, sagt Schwab. In extremen Fällen könnte dann irgendeine Affäre vor der Tür stehen und sich als Vater präsentieren, als biologischer. Problematisch wäre es, wenn das Kind in einer Familie mit einem neuen sozialen Vater lebt, der vielleicht sogar die Vaterschaft anerkannt hat.

Rainer Sonnenberger sieht das ganz gelassen: „Das Kind hat dann eben zwei Väter.“ Zwei Väter – das kann sich auch Schwab gerade noch vorstellen. Aber ein zweiter Vater mit Sorgerecht? Der eine andere Schule möchte? Eine Alternativtherapie bei einer Krankheit? Der die Familie am Umzug hindern kann, weil er dann reisen müsste, um sein Kind zu sehen? Der könnte den Familienfrieden der sozialen Familie erheblich stören.

Plötzlich verschwimmen die alten Feindbilder

„Bisher schützt die Verfassung die soziale Familie“, sagt Schwab. Nun aber soll die biologische Abstammung Vorrang vor dem Familienfrieden haben. „Das ist neu“, sagt sie. Zuletzt sei die biologische Abstammung bei den Nazis so wichtig gewesen. Sie provoziert bewusst.

Der Väteraufbruch wiederum nimmt nun auch Mütter auf. „Da kamen drei Mütter in unsere Gruppe, denen wurde der Umgang mit ihren Kindern vom Vater vorenthalten“, sagt Sonnenberger: „Dass das auch Frauen passieren kann, hatte keiner von uns auf dem Schirm.“ Plötzlich sind die Feindbilder im Geschlechterkampf nicht mehr so klar wie vorher.

Schwab verweist auf die Studie des Justizministeriums zur gemeinsamen Sorge. Die Forscher schreiben: „Eine generelle Zuweisung des gemeinsamen Sorgerechts auch für getrennt lebende Elternpaare oder Eltern, die keine gemeinsame Partnerschaft haben, erscheint (…) weniger empfehlenswert.“ Hat der Gesetzgeber das genügend berücksichtigt? Oder war er fahrlässig?

Getrennt lebende Eltern, die mit der gesetzlich auferlegten Einigungspflicht nicht klarkommen, sind keine Einzelfälle. Der demokratische Lernauftrag „Wir sollten alles gemeinsam entscheiden können“, bleibt für manche Paare reine Utopie.

Das Ende der Machtmütter wird dann in vielen Fällen wohl nicht zu den gewünschten gleichberechtigten Entscheidungen führen, sondern vor allem die Gerichte beschäftigen.

Wolfgang Schwackenberg vom Deutschen Anwaltsverein plädiert daher dafür, die gemeinsame Sorge auch wieder rückgängig machen zu können. Das ist bislang nur in Ausnahmefällen möglich. Das neue Gesetz werde, vermutet er, die Justiz zusätzlich belasten und nicht, wie vorgesehen, entlasten. Mütter werden Vätern bescheinigen, sie hätten keine Ahnung. Väter werden Müttern unlautere Motive nachweisen. Man kann nur hoffen, dass die Gerichte ihre Arbeit ordentlich machen.

Lena und Markus haben es nicht geschafft. Sie streiten immer noch. Und die Kinder?

„Gut tut ihnen das alles sicher nicht“, räumt Markus ein: „Mein Sohn nässt jetzt nachts ein.“ Auch Lena glaubt, dass die beiden leiden. „Unsere Tochter reißt sich die Haut von den Fußsohlen.“ Manchmal würden sie einfach nur schreien, wenn sie vom Vater kommen.

Die Kinder gehen jetzt zu einer Therapeutin.

Heide Oestreich, 44, und Simone Schmollack, 48, sind taz-Redakteurinnen für Geschlechterpolitik. Die eine hat kein Kind, die andere eines – aber glücklicherweise keinen Trennungsstress