Radaranlagen werden überflüssig

DIE ERFINDUNG Neue Systeme orten Flugzeuge nur aus der Ablenkung von Radio- und Fernsehwellen, ganz ohne eigene Sender

Ein übliches Radarsystem sendet Radarwellen in kurzen Pulsen aus. Radarwellen sind elektromagnetische Strahlung wie Lichtstrahlen, nur mit weniger Energie und unsichtbar für das Auge. Die Radarpulse treffen auf fliegende Objekte, Häuser oder Berge und werden dort abgelenkt, einige davon auch wieder zur Sendeantenne zurückgeworfen. Zwischen den einzelnen Pulsen zeichnet das Gerät die zurückgeworfenen Echos auf und schickt sie auf den Radarschirm zum Beobachter. Beim Passiven Radar nutzt man als Strahlenquelle die Funkmasten für Handys, Radio oder Fernsehen. Die senden jedoch nicht mit genau bestimmten Pulsen und Pausen dazwischen, sondern immerzu. Das Ortungsgerät muss also die Dauersendung der Funkmasten („direkte Bezugssignale“) mit Hilfe von komplizierter Software und hoher Computerleistung mit den zurückgeworfenen Signalen vergleichen und schließlich die fliegenden Objekte herausfiltern. Je nach Art der Funkmasten erzielt man verschiedene Reichweiten bei der passiven Ortung: mit Handymasten einige zehn Kilometer, mit Hilfe der stark strahlenden TV-Masten ist eine passive Ortung bis 300 Kilometer Reichweite möglich.

VON LUTZ DEBUS

Wie einst die Kirchtürme beherrschen sie die Landschaft: Mobilfunkmasten sind allgegenwärtiges Zeichen unserer Informationsgesellschaft. Für die Telefonkunden bedeuten sie eine fast lückenlose Netzabdeckung. Für die Forscher am Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FKIE) aber sind sie kaum etwas anderes als Straßenlaternen. Die Wissenschaftler arbeiten an einer neuartigen Radartechnologie und möchten die Mobilfunkmasten als Sender zweckentfremden.

Um die Technik dieses Passivradars zu verdeutlichen, muss zunächst die des herkömmlichen Radars erklärt werden. Menschen haben die Idee wie so oft von der Natur abgekupfert. Fledermäuse und Radarsysteme arbeiten nach dem gleichen Prinzip. Ein Signal wird gesendet und sein Echo empfangen. Anhand der gesammelten Messdaten ist es möglich, die Position sich bewegender Objekte zu bestimmen. Die rotierenden Sende- und Empfangsantennen fungierten also quasi gleichzeitig als Taschenlampe und Auge.

Ein großer Nachteil dieser Technik war bislang der hohe Aufwand, der mit dem Senden der Radioimpulse verbunden war. Radarantennen sind in der Anschaffung sehr teuer und verbrauchen viel Strom. Passivradar hingegen sendet keinen eigenen Impuls, sondern vergleicht die Radiowellen fremder Sender mit denen, die von den zu erfassenden Objekten reflektiert werden. So wird der immer vielfältiger werdende Elektrosmog nutzbar gemacht. Um im Vergleich der Taschenlampe zu bleiben: Durch den Wellensalat der Fernseh-, Radio- und Mobilfunksender ist der Himmel radartechnisch hell erleuchtet. Möglich wird die neue Technik aber auch durch immer empfindlichere Messverfahren und höhere Rechnerleistungen.

Auf der Ostseeinsel Fehmarn experimentiert Wolfgang Koch vom FKIE seit einigen Jahren mit Passivradarsystemen. Die Insel ist ein idealer Standort hierfür. Auf dem Binnenmeer werden immer mehr Windparks errichtet, die das wachsende Verkehrsaufkommen erheblich einschränken. Die Aufgabe der maritimen Überwachung wird deshalb immer komplizierter. Neue Radarsysteme müssen in Zukunft installiert werden. Hier bietet sich die neue Technologie an. Die Insel verfügt über ausreichend viele auch küstennahe Mobilfunkmasten, die 24 Stunden und an sieben Tage der Woche ihre Impulse senden. Tatsächlich konnten bei den Versuchen gute Ergebnisse erzielt werden, die einen kommerziellen Einsatz in Zukunft wahrscheinlich erscheinen lassen.

Neben der Strom- und Materialersparnis bietet Passivradar noch weitere Vorteile, erklärt Wolfgang Koch. „Herkömmliche Radarsysteme belegen Funkfrequenzen, die gerade in Ballungsgebieten dringend anderweitig genutzt werden können.“ Aber auch ökologisch sinnvoll erscheint das Passivradar. Die neue Technologie selbst produziert nämlich keinen weiteren Elektrosmog, der von vielen Medizinern inzwischen als schädlich eingestuft wird. Bereits praxiserprobt ist ein ähnliches Verfahren. Statt der Signale von Mobilfunkmasten werden hier Funksignale von Radio- und Fernsehsendern benutzt.

Die britische Wochenzeitschrift The Economist berichtet, dass der Londoner Luftraum ab dem nächsten Monat mit Passivradarsystemen überwacht wird. Diese werden unter anderem die Radiowellen der altehrwürdigen BBC nutzen, um den Himmel über der englischen Hauptstadt auszuleuchten.

Im militärischen Bereich wird Passivradar bereits seit einiger Zeit eingesetzt. Auch hier liegen die Vorteile auf der Hand. Das neue Radarsystem spart Geld. Während ein herkömmliches Radar viele Millionen Euro kostet, ist ein militärisch zu nutzendes Passivradar, bestehend aus einer kleinen Antennenanlage und einem Computer, für einen Bruchteil dessen zu haben. Es ist zudem viel leichter zu transportieren. Eine Anlage passt bequem in einen Lieferwagen. Außerdem ist das Passivradar von gegnerischen Waffensystemen nicht zu orten. Ein Einsatz ist überall auf der Welt möglich, denn auch in Krisenregionen und Kriegsgebieten wird hinreichend gefunkt. So verwundert es nicht, welches Forschungsinstitut hierzulande Passivradar weiterentwickelt. Das südlich von Bonn angesiedelte FKIE ist mit seinen 350 Mitarbeitern ein treuer Partner der Bundeswehr.