Es soll kein Mord gewesen sein

Auf einem Volksfest im saarländischen Sulzbach erstach ein Skinhead einen jungen Türken. Doch die Staatsanwaltschaft sieht keinen rechtsradikalen Hintergrund

Hätte der Täter auch einen Deutschen erstochen? Eine „hypothetische Frage“

SAARBRÜCKEN taz ■ Das Entsetzen im Saarland war groß. Ministerpräsident Peter Müller (CDU) bekundete seine Abscheu über die Gewalttat, und Politiker aller Parteien waren sich einig, dass sich ein solcher „neonazistischer Gewaltakt“ nicht wiederholen dürfe. Niemand zweifelte daran, dass es eine „fremdenfeindliche Straftat“ war, der am späten Abend des 9. August der 19-jährige Türke Ahmat S. zum Opfer fiel. Im Streit um eine Zigarettenkippe hatte ihm ein 25-jähriger Rechtsradikaler aus dem Ort sechs Messerstiche in Bauch und Oberkörper versetzt, an denen Ahmat S. tags darauf starb.

Knapp drei Monate später hat die Staatsanwaltschaft Saarbrücken jetzt Anklage erhoben – und erwähnt mit keinem Wort, dass das Opfer der Bluttat ein Ausländer war. Ahmet S. firmiert namenlos als der „andere Festbesucher“. Auf die rechtsradikale Gesinnung des mutmaßlichen Täters findet sich kein Hinweis. Dabei waren in der Wohnung des Beschuldigten Carlos N. illegale Waffen, neonazistische Musik und eine Hakenkreuzfahne sichergestellt worden.

Auch von Mord ist nicht mehr die Rede. Carlos N. wurde lediglich wegen Totschlags angeklagt. Für eine Anklage wegen Mordes müssten dem Angeklagten „niedrige Beweggründe“ nachgewiesen werden, sagte Staatsanwältin Birgit Sieren-Kretzer der taz. Doch die „anfänglich bestehende Annahme“, es handele sich um eine Tat mit ausländerfeindlichem Motiv, habe sich „nicht bestätigt“.

Die Tat sei nicht aus latentem Fremdenhass begangen worden, sondern Folge einer „gewaltsamen Auseinandersetzung aus nichtigem Grund“ gewesen. In deren Verlauf habe der alkoholisierte Carlos N. dann zu seinem Messer gegriffen und den „anderen Festbesucher“ niedergestochen. Das Opfer Ahmed S. soll dem späteren Killer aus Versehen eine Zigarettenkippe an den kahlen Kopf geschnippt haben.

Ob Carlos N. auch sein Messer gezogen hätte, wenn der „Kippenschnipper“ ein Deutscher gewesen wäre? Die Staatsanwältin kann diese „hypothetische Frage“ nicht beantworten. Aber man habe ihm eben nicht nachweisen können, dass er nur zustach, weil der „andere Festbesucher“ ein Ausländer war. In der offiziellen Erklärung der Staatsanwaltschaft liest sich das so: „Es liegen insbesondere keine ausreichenden Hinweise dafür vor, dass der 25-Jährige das Opfer willkürlich und als Repräsentant einer nationalen Gruppe angegriffen hat.“ Der Mordvorwurf sei damit „vom Tisch“, so Sieren-Kretzer.

Bei seiner Festnahme soll der regional bekannte Neonazi einem Polizeibeamten eine Pistole an den Kopf gehalten und dann abgedrückt haben. Das „Klicken“ des Hahnes sei deutlich zu hören gewesen, doch ein Schuss habe sich „nicht gelöst“, sagten zwei Polizisten am Tag danach aus.

Doch inzwischen ist auch der Mordversuch an dem Polizisten kein Thema mehr. Während einer erneuten Vernehmung habe einer der an der Festnahme beteiligten Beamten ausgesagt, dass vielleicht nicht der Hahn der Pistole geklickt habe, sondern „möglicherweise auch der Lichtschalter“.

Die Anklage gegen Carlos N. lautet jetzt auf „Verstoß gegen das Waffengesetz“. Sein Kumpan Paul F., der gemeinsam mit ihm vom Tatort auf dem Festplatz geflüchtet war, wurde bereits aus der U-Haft entlassen. Er muss sich möglicherweise noch wegen Körperverletzung verantworten. Auf einem anderen Fest soll er mit seinen Springerstiefeln zwei Mädchen zusammengetreten haben.

In Sulzbach verstehen jetzt einige die Welt nicht mehr. Mit „großer Bestürzung“ hätten die Türken in Sulzbach auf die Einlassungen der Staatsanwaltschaft reagiert, so der Sprecher der türkischen Gemeinde im Saarland, Emin Sahin. Das eigentliche Motiv der Tat werde heruntergespielt und der Vorfall damit verharmlost. Der Familie von Ahmat S. rät Sahin, Nebenklage zu erheben. KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT