„Streiks treffen die Städte kaum“

Durch Arbeitskämpfe im öffentlichen Dienst sparen sie Löhne, sagt ihr Chefverhandler

THOMAS BÖHLE, 54, ist Personalreferent der Stadt München und Verhandlungsführer für die kommunalen Arbeitgeberverbände.

taz: Herr Böhle, wird es flächendeckende Streiks im öffentlichen Dienst geben?

Thomas Böhle: Ich bin nach wie vor optimistisch: Gewerkschaften und Arbeitgeber können sich in der letzten Verhandlungsrunde einigen. Selbst wenn das nicht gelingt, wird es noch eine Schlichtung geben. Ich kann mir also vorstellen, dass wir um Streiks herumkommen.

Ver.di hat angekündigt, auch die Flughäfen zu bestreiken. Sieht nicht nach Kompromissbereitschaft aus.

Diese Drohung halte ich für verantwortungslos. Die Verhandlungen dauern schließlich noch an. Eine solche Eskalation käme an sich allenfalls dann in Betracht, wenn sie gescheitert wären. Noch wissen wir nichts Genaues über den Umfang der Flughafen-Streiks, aber sicher ist: Wir werden uns keine Aktionen bieten lassen, die rechtswidrig sind.

Wie haben die Warnstreiks die Arbeitgeber getroffen?

Primär treffen die Streiks ja nicht die öffentliche Hand, von neuralgischen Bereichen wie Flughäfen und Krankenhäusern mal abgesehen. Bund und Kommunen sparen sogar Lohnkosten während der Ausstände, der wirtschaftliche Schaden hält sich in engen Grenzen. Aber die Unannehmlichkeiten für die Bürger sind immens.

Bei den vergangenen zwei Abschlüssen hat sich die Gewerkschaft mit niedrigen Einmalzahlungen zufrieden gegeben. Steht die öffentliche Hand nicht in der Pflicht, jetzt den viel zitierten Aufschwung an die Mitarbeiter weiterzugeben?

Die Frage ist doch nur, wie. Ich bin, wenn ich nicht gerade in Tarifverhandlungen sitze, als Organisationsreferent für das Personal der Stadt München zuständig. Die Ver.di-Forderung – acht Prozent mehr Lohn für zwölf Monate, mindestens aber 200 Euro – würde in unserem Haushalt Mehrausgaben von 105 Millionen Euro jährlich bedeuten. Alle Kommunen müssten bundesweit 4,5 Milliarden Euro mehr ausgeben. Solche Größenordnungen sind nicht finanzierbar.

Sie verschweigen die steigenden Steuereinnahmen in Milliardenhöhe.

Nein. Bei den Kommunen werden Überschüsse von 3,95 Milliarden vorausgesagt. Was Ver.di fordert, bedeutet also de facto höhere Verschuldung und sinkende Investitionen – trotz Mehreinnahmen. Wir dagegen sagen: Am Ende muss eine ausgewogene Trias aus vertretbaren Lohnerhöhungen, Leistungsbezahlung und Arbeitszeitverlängerung stehen.

Eine kleine Lohnerhöhung mit Mehrarbeit zu kombinieren, ist frech. Warum sollte die Gewerkschaft Ihnen hier entgegenkommen?

Heute sind die Flughäfen dran. Die Gewerkschaft Ver.di plant kurz vor der letzten Verhandlungsrunde im öffentlichen Dienst Warnstreiks an Airports. Betroffen ist etwa der Flughafen Köln-Bonn, auch der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport rechnet mit Einschränkungen. Bereits Störungen des Betriebs, die auf wenige Stunden befristet seien, könnten den Flugbetrieb erheblich beeinträchtigen, sagte ein Fraport-Sprecher. Airlines wie die Lufthansa rechnen ebenfalls mit Ausständen.

Am Dienstag legten in elf Bundesländern Beschäftigte des öffentlichen Dienstes die Arbeit nieder, es kam zu Warnstreiks in Verkehrsbetrieben, Stadtverwaltungen und Kitas. Ein Schwerpunkt in Ostdeutschland waren Berlin und Brandenburg. Allein in Potsdam beteiligten sich 1.000 Beschäftigte. In Berlin gab es Einschränkungen bei den Wasserbetrieben, der Stadtreinigung, in Betriebshöfen, in der Verwaltung und an Schleusen für Wasserstraßen. Ver.di-Chef Frank Bsirske sagte vor rund 20.000 Gewerkschaftern in Hannover, entweder gebe es ein akzeptables Angebot der Arbeitgeber oder einen Arbeitskampf. „Dann bekommen sie die Quittung für das, was sie selbst provoziert haben“, drohte Bsirske.

Weil es vernünftig ist. Im Moment herrscht bei der Arbeitszeit ein absurdes Durcheinander: Ein städtischer Angestellter arbeitet in München 38,5 Stunden, als Beamter aber 42. Bei einer Münchner Bundesbehörde arbeitet ein Angestellter 39 Stunden, als Beamter 41. Das Ganze variiert wieder von Bundesland zu Bundesland. Wir plädieren dagegen für eine Vereinheitlichung.

Ein formales Argument. Die Kommunen wollen zusätzlich sparen, entgegnet Ver.di.

Man muss es nüchtern sehen: Gerade in den unteren Gehaltsgruppen hat der öffentliche Dienst einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Privatfirmen, die viel weniger zahlen. Da ist eine Arbeitszeitverlängerung schon deshalb nötig, damit nicht mehr Jobs privatisiert werden.INTERVIEW: ULRICH SCHULTE