Dutschke-Heimatdorf ehrt Westrevoluzzer: Rudi Dutschke gibt Halt

Ein brandenburgisches Dorf ehrt seinen berühmtesten Sohn mit einem Platz am Bahnhof. Eine Straße für einen Westrevoluzzer wollten die Schönefelder 14 Jahre lang nicht.

Back home: Rudi Dutschke. Bild: dpa

SCHÖNEFELD taz Zwei Wochen vor dem großen Tag schreibt ihn sein Vermieter an. Es geht um den Platz vor dem stillgelegten Bahnhof im südbrandenburgischen Dorf Schönefeld. Norbert Boenigk hat den schönen Klinkerbau seit einem Jahr gepachtet und einen Imbisswagen davorgestellt. Der Vorplatz aber: Unkraut und Sand. So kann doch kein Platz aussehen, der nach Rudi Dutschke benannt werden soll, dem bekanntesten gebürtigen Schönefelder. Boenigk besorgt sich grobe Holzspäne, schüttet sie auf dem Platz aus, 100 Schubkarren. Schon besser. Alles bereit für den vergangenen Freitag. Für die Einweihung des Rudi-Dutschke-Platzes. Am 68. Geburtstag des 68ers. Das passt.

Wienand Jansen, Bürgermeister der Gemeinde Nuthe-Urstromtal, zu der Schönefeld gehört, ist hocherfreut, dass Dutschkes Brüder gekommen sind. Helmut (71) aus Potsdam, Manfred (75) aus Luckenwalde. Und Rudis jüngster Sohn aus Berlin. Jansen blickt sich suchend um. "Man kennt nicht alle." Marek Dutschke steht direkt vor ihm. Er sieht seinem Vater ziemlich ähnlich. Einige lachen. Boenigk hat ein Schild aufgestellt: "Heute Bier vom Fass." Doch die Leute wollen lieber Flaschenbier. Das ist billiger. Manchmal kommt die Wirklichkeit bei Boenigks vielen Ideen einfach nicht hinterher.

Wie mit dem 111 Jahre alten Bahnhofsgebäude, wo seit 1996 kein Zug mehr hält, nur Ausflugsdraisinen, gelegentlich. Boenigk stammt aus Westberlin, war früher Medizintechnikvertreter, Kernkompetenz Krankenhausfäkalien. Jetzt will er einen Erlebnisbahnhof aufziehen. Der Bratwurstwagen ist gewissermaßen das Aufwärmprogramm. Und Rudi Dutschke, wenn man so will, der Anheizer.

Die Idee, eine Straße in Schönefeld nach Rudi Dutschke zu benennen, ist 14 Jahre alt. Es sollte zuerst die frühere Feldstraße sein, in der er am 7. März 1940 geboren wurde. Die Gemeindevertreter hatten viel dagegen. Eine Straße für den Westrevoluzzer, der in der DDR nie Thema war? Nein, danke.

Rudi Dutschkes Eltern waren kurz vor seiner Geburt aus Koblenz hergezogen. Der Vater Alfred, ein Postbeamter, hatte sich nach Luckenwalde versetzen lassen. Weil dort ihr Haus nicht rechtzeitig fertig wurde, kamen sie im nahen Schönefeld unter, für wenige Monate nur, bei Rudis Cousine Ruth Dreßler.

Die kleine, agile Frau (76) lebt immer noch in dem Haus in der Straße, die jetzt Bahnstraße heißt. Alle nennen sie Ruthchen. "Finde ick schon jut, den Platz", sagt sie. "Bloß ist das so lange her. Wer weiß das alles schon noch? Wir Alten. Aber langsam sterben die Alten aus. Wer kommt schon hierher?"

Gegenüber vom Bahnhof gab zu DDR-Zeiten der Forstbetrieb den meisten Leuten Arbeit. Davon steht noch eine Fabrikhallenruine. Einst wurden dort Baumstämme entrindet, Dünnholz für Hackschnitzel. Das hielten die Schönefelder für ihren größten Exportschlager nach Westdeutschland. Nicht Dutschke. So denken viele bis heute. Dabei lebte er 21 Jahre lang in Brandenburg. Das sagt sein ältester Bruder. Manfred Dutschke ist CDU-Stadtverordneter in Luckenwalde, wo nach einigem Streit in dieser Woche für Rudi eine Gedenkstele aufgestellt werden soll. Weil er dort aufwuchs, den Wehrdienst ablehnte, deshalb in der DDR nicht Sportjournalist werden durfte. So studierte er in Westberlin. Dann wurde die Mauer gebaut.

Der Rest: deutsche Geschichte. Rudi Dutschkes Aufstieg zum Studentenführer. Das Attentat im April 1968. Sein Tod am Weihnachtstag 1979 mit 39 Jahren. Für viele Schönefelder bleibt es westdeutsche Geschichte. Nicht ihre.

So war es auch im vergangenen Herbst. Nächster Anlauf von Gemeindebürgermeister Jansen für eine Dutschkestraße. Boenigk merkt bei der Feuerwehrversammlung: Das wird wieder nichts. Da tüftelt er mit dem Schönefelder Ortsbürgermeister Klaus Klein einen Kompromiss aus. Der Bahnhofsvorplatz. Der hat sowieso noch keinen Namen. Im Dezember stimmen die Gemeindevertreter zu. Seitdem ist Boenigk so richtig in Schwung. Für den Freitag besorgt er sich ein Haltestellenschild, druckt am Computer kurzerhand einige Seiten aus, heftet sie zusammen. "Pferdekutsche-Haltestelle Draisinen-Bahnhof Schönefeld. Rudi-Dutschke-Platz". So werden an diesem Tag gleich zwei Schilder von blauen Mülltüten befreit. Imbissmann Boenigk sieht sehr zufrieden aus.

Jetzt können die Touristen kommen. Sie müssen.

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