Kritik an Bayerns Vize

Zentralrat: Stewens’ Äußerung ist „entsetzlich“

MÜNCHEN taz ■ Die einseitige Rede von Bayerns Vize-Regierungschefin Christa Stewens (CSU) zum Thema Vertreibungen sorgt für Empörung beim Zentralrat der Juden und der Opposition. Stewens hatte an Pfingsten bei der Feier zum 60-jährigen Bestehen der Landsmannschaft Ostpreußen vom Leid der Deutschen gesprochen: „Die Vertreibung der Deutschen vor sechs Jahrzehnten war die größte ethnische Säuberung, die es je gab in Europa.“ Zumindest dem Manuskript nach verzichtete Sozialministerin Stewens auf die unter Historikern übliche Gesamtschau, die die Kriegsverbrechen der Deutschen beinhaltet und zugleich auf Klassifizierungen verzichtet.

„Das ist nicht nur eine schreckliche Verkürzung, das ist entsetzlich“, kommentierte Dieter Graumann, Vizepräsident des Zentralrats der Juden, den Redebeitrag. „Wo sind die Verbrechen an den Juden erwähnt worden?“ Wer das weglasse, habe historisch nicht alle Tassen im Schrank. Auch die Kritik der Grünen ist scharf: „Die spinnt“, sagt Fraktionschef Sepp Dürr. SPD-Vorstandsmitglied Florian Pronold glaubt, Stewens habe taktiert: „Die Angst angesichts der schlechten Umfragewerte führt dazu, dass die CSU jetzt wieder im rechtsextremen Lager zu fischen versucht.“ Christa Naaß, vertriebenenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, will Stewens „keine Böswilligkeit“ unterstellen. „Aber jeder politisch Verantwortliche weiß, wohin verkürzte Darstellungen führen können.“

Stewens’ Sprecher Bernhard Seidenath sagte am Mittwoch, dass sich die Ministerin „ziemlich sicher“ sei, auf den Gesamtzusammenhang hingewiesen zu haben. „Weil sie gewöhnlich immer darauf hinweist.“ Deshalb sei der Aspekt nicht in dem Redemanuskript erwähnt worden.

Auch CSU-Fraktionschef Georg Schmid verteidigte Stewens. „Man sollte eine solche Rede nicht allein sehen“, sagte Schmid, der früher auch als Staatssekretär in ihrem Ministerium gearbeitet hatte. Aus dieser Zeit wisse er, dass sie immer wieder auf den Gesamtzusammenhang von Leid und Vertreibung hingewiesen habe. MAX HÄGLER