Gregor Gysi gegen den Rest der Welt

Im Bundestag verteidigte sich der Fraktionsvorsitzende der Linken persönlich gegen Attacken wegen seiner scheinbaren Stasiverstrickungen. Der Politiker überlegt, die Beauftragte für die Stasiunterlagen wegen kritischer Äußerungen zu verklagen

VON LANA STILLE

Die Aktuelle Stunde im Bundestag zu den Stasivorwürfen gegen Gregor Gysi am Mittwoch war vor allem laut. Der Sprecher für die SPD-Fraktion, Jörg Tauss, gab gleich zu Anfang ordentlich Zunder: „Ich vermisse in der Tat Herrn Gysi und Herrn Lafontaine. Es ist skandalös, dass beide hier heute kneifen.“ Aber gekniffen wurde nicht – kaum 10 Sekunden später fanden die beiden vermissten Herren ihren Weg in den Bundestag. Oskar Lafontaine mit recht unbeweglicher Miene, Gregor Gysi sogar mit einem Lächeln im Gesicht – es mag an einer gewissen Routine im Umgang mit dem Thema liegen.

Zum Lachen war das Folgende dann nicht mehr. Die Anschuldigungen der Fraktionen waren schwer und das Credo einhellig: Gysi solle seine Stasivergangenheit zugeben, da sie ohnehin so gut wie bewiesen sei. Für Empörung sorgte Lafontaines geäußerte Forderung, Marianne Birthler als Bundesbeauftragte für die Stasiakten abzuberufen. „Die Chefin der Stasiunterlagen-Behörde ist nicht in der Lage, ihr Amt objektiv und unparteiisch auszuüben“, hatte der Kovorsitzende der Linkspartei vor der Aktuellen Stunde gefordert.

Gysi äußerte sich schließlich selbst. Alles falsch, er sei als nicht geeignet als Stasimitarbeiter befunden worden und sogar selbst beobachtet worden. Er hätte keine Kontakte zur Stasi gebraucht, weil er über gute Kontakte zum SED-Zentralkomitee verfügt habe. Die wiederholten Attacken der letzten Jahre hätten seiner Gesundheit geschadet, so schloss Gysi, „aber mich werden sie nicht schaffen und die Partei auch nicht“.

„Gemeinsten und liederlichen Verrat“ habe Gysi begangen, sagte dagegen Thomas Strobl (CDU), der Vorsitzende des Immunitätsauschusses und setzte noch hinzu: „Havemann war nicht der einzige Mandant, den Gysi an die Stasi verraten hat.“ Da hatte Gysi den Saal allerdings schon wieder verlassen.

Dass Gysi sich erneut öffentlich für seine Vergangenheit rechtfertigen muss, liegt an den kürzlich veröffentlichten Stasiakten über ein Treffen des Anwalts Gysi 1979 mit seinem damaligen Mandanten Robert Havemann. Eine dritte anwesende Person wurde mittlerweile identifiziert als der DDR-Dichter Thomas Erwin, der heute als Thomas Klingenstein in Berlin lebt. In den Akten steht: „Der IM nahm ‚Erwin‘ mit in die Stadt.“ Klingenstein sagte der taz, Gysi habe ihn damals nach Berlin gefahren, daher liege „die Vermutung nahe“, Gysi sei auch der IM gewesen.

Seither brodelt eine neue Debatte über eine mögliche Stasiverstrickung des Politikers. Angefeuert wurde sie auch von Marianne Birthler, die Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen. Vergangene Woche hatte Birthler dem ZDF gesagt, Gysi habe der Stasi „willentlich und wissentlich“ zugearbeitet. Sie widersprach auch Aussagen Gysis, die Informationen in den Stasiunterlagen könnten möglicherweise ohne sein Zutun durch Abhöraktionen gewonnen worden sein. Um eine Wiederholung von Birthlers Äußerungen zu verhindern, schickte der Politiker ein Unterlassungsbegehren an das ZDF, das dort nach Angaben des Senders zurzeit geprüft wird. ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender sagte, sein Sender lasse sich die unabhängige Berichterstattung nicht verbieten. Laut Agenturmeldungen sagte Gysi, er „überlege noch“, ob er auch juristische Schritte gegen Birthler einleiten werde.

tazzwei SEITE 14