Nur wenig Lust auf Deutschland

Die große Koalition beschließt heute im Kabinett neue Zuwanderungsregeln: Es sollen mehr Akademiker und Facharbeiter aus Osteuropa kommen, die den Fachkräftemangel abfedern. Doch das Beispiel Ingenieure zeigt: Das Interesse ist bescheiden

AUS BERLIN STEFAN REINECKE

Unqualifizierte Arbeitnehmer aus Osteuropa dürfen auch weiterhin nicht in Deutschland arbeiten. Freizügigkeit wird es für die neuen EU-Staaten wie Polen, Ungarn, Tschechien, die Slowakei und die baltischen Staaten erst ab 2011 geben. Das wird das Bundeskabinett am Mittwoch beschließen. Deutschland ist mit diesem Kurs in der EU ziemlich isoliert. Bis auf Österreich haben die übrigen EU-Staaten ihren Arbeitsmarkt weitgehend geöffnet.

Allerdings sollen dafür die Tore für Besserqualifizierte weiter geöffnet werden. Im Aktionsprogramm der Bundesregierung heißt es ambitiös: Deutschland muss „seine Zuwanderungsregelungen attraktiver gestalten“, um im globalen Wettbewerb „um hochqualifizierte Fachkräfte“ zu bestehen. Deshalb wird der deutschen Arbeitsmarkt ab 2009 allen Akademikern aus EU-Staaten offenstehen.

Auch für Bürger aus Nicht-EU-Staaten, speziell für Akademiker, soll es attraktiver und einfacher werden, in Deutschland zu arbeiten. Bislang gilt, dass Hochqualifizierte, die mehr als 86.400 Euro im Jahr verdienen, automatisch ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bekommen. Künftig wird diese Grenze auf ein Jahreseinkommen von 63.600 Euro gesenkt.

Allerdings gilt für die Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern weiterhin die Vorrangprüfung. Das heißt: Gibt es deutsche Bewerber für den Job, werden diese bevorzugt. Doch das Ziel des Aktionsplans ist klar: So soll der Facharbeitermangel, der in der Zukunft hierzulande noch größer zu werden droht, gemildert werden.

Streit hatte es in der Koalition zwischen Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) und der CDU um den Aufenthaltsstatus von geduldeten Ausländern gegeben, die in Deutschland in ihrem Beruf arbeiten. Scholz will, dass geduldete Akademiker und Facharbeiter, die zwei Jahre lang in Deutschland in ihrem erlernten Beruf arbeiten, künftig eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten.

CDU-Politiker waren gegen diese Idee mit dem Argument ins Feld gezogen, damit würde ein „Einfallstor für ungesteuerte Zuwanderung“ geöffnet. Offenbar hat Scholz sich gegen diese Vorbehalte durchgesetzt. So wird nun eine neue „Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Beschäftigung“ eingeführt, die Arbeitsmigranten, verglichen mit der Duldung, einen besseren, sicheren Status bringen soll.

Kritiker bemängeln trotzdem, dass Deutschland Gutqualifizierte aus ärmeren Staaten abwerbe, ohne seine Türen für Geringqualifizierte zu öffnen. So versucht zum Beispiel Polen, das ebenfalls unter Facharbeitermangel leidet, mittlerweile polnische Arbeitskräfte, die nach Großbritannien emigriert sind, zur Rückkehr zu bewegen.

Doch dass die Neuregelung der deutschen Zuwanderungbedingungen zu einem Exodus von Akademikern und Facharbeitern aus Osteuropa führen wird, ist unwahrscheinlich. Das zeigt das Beispiel der Ingenieure aus den neuen osteuropäischen EU-Staaten. Die Bundesregierung hatte mit Blick auf den heimischen Fachkräftemangel seit Oktober 2007 alle Hindernisse für Ingenieure aus EU-Staaten beiseite geräumt und volle Freizügigkeit hergestellt. Davon, so der Verband Deutscher Ingenieure auf Anfrage der taz, habe kaum jemand Gebrauch gemacht. Seitdem sind ganze 20 Ingenieure aus den neuen EU-Staaten nach Deutschland gekommen.