Diskussion über verschärfte Ausweisung: "Politiker machen sich Illusionen"

Die Ausweisung straffälliger Ausländer ist oft schwieriger als gedacht, meint Rechtsanwalt Rolf Gutmann. Das liegt am Europarecht.

Die Ausweisungsforderungen der CSU bleiben nicht unwidersprochen. Bild: dpa

taz: Herr Gutmann, nach der Verurteilung der Münchener U-Bahn-Schläger diskutieren die Innenminister wieder über verschärfte Ausweisungen. Was halten Sie davon?

Rolf Gutmann: Diese Diskussion zeigt, dass sich die Politiker Illusionen über die Möglichkeiten des deutschen Ausländerrechts machen. Da laufen nicht nur viele der Verschärfungswünsche ins Leere, selbst das bestehende deutsche Ausweisungsrecht ist in den meisten Fällen gar nicht anwendbar, weil europäisches Recht vorgeht.

Das müssen Sie erklären …

Im deutschen Aufenthaltsgesetz heißt es: Ein Ausländer ist automatisch auszuweisen, wenn er zu mehr als drei Jahren Haft verurteilt wurde. Doch dieser Automatismus gilt weder für Bürger der Europäischen Union noch für Türken noch für sonstige Ausländer, die in Deutschland verwurzelt sind.

Der Reihe nach: Was gilt denn für Bürger der Europäischen Union, etwa für Griechen wie den in München verurteilten Spiridon L.?

Auf Unionsbürger ist ein anderes Gesetz anzuwenden, das EG-Freizügigkeitsgesetz. Demnach genügt eine strafrechtliche Verurteilung nicht für die Beendigung des Aufenthalts, vielmehr muss auch eine aktuelle Gefahr für die deutsche Gesellschaft vorliegen. Außerdem sind die persönlichen Umstände des Unionsbürgers zu berücksichtigen: Etwa wie lange er in Deutschland lebt, welche Bindungen er an seinen Herkunftsstaat hat.

Die meisten Ausländer in Deutschland sind türkische Staatsbürger, wie etwa der ebenfalls in München verurteilte Serkan A.

Auch für sie gilt in der Regel ein besonderer Ausweisungsschutz, denn die Türkei ist seit 1963 mit der EU durch einen Vertrag assoziiert.

Bleiben die sonstigen Ausländer, etwa Russen und Afrikaner …

Für sie ist vor allem die Europäische Menschenrechtskonvention des Europarats relevant. Daraus wird ein gewisser Schutz gegen Ausweisungen abgeleitet - sofern ein Ausländer in seinem Aufenthaltsstaat verwurzelt ist. Auch das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht haben 2007 mehrfach entschieden, dass Ausländer, die in Deutschland aufgewachsen oder sogar geboren sind, nur nach einer Einzelfallprüfung ausgewiesen werden können.

Es müssen also auch hier die Bindungen an Deutschland und an den Herkunftsstaat abgewogen werden?

Unter anderem. Es ist alles in Rechnung zu stellen, was relevant sein könnte, natürlich auch die Schwere der Tat und eine eventuell fortbestehende Gefährdung der Bevölkerung.

Gibt es Konstellationen, in denen - wie im deutschen Aufenthaltsgesetz eigentlich vorgesehen - ein schwer straffällig gewordener Ausländer automatisch ausgewiesen wird?

Ja, solche Konstellationen gibt es. Wenn etwa ein frisch eingereister ausländischer Student einen Raub begeht oder mit großen Mengen Drogen handelt, dann wird er nach Verbüßung der Haft automatisch ausgewiesen - da er hier eben nicht verwurzelt ist.

Hindern Heirat oder Geburt eines Kindes an der Ausweisung?

Nicht generell. Es kommt darauf an, ob dem Ehegatten und dem Kind zuzumuten ist, das Leben mit dem straffällig gewordenen Ausländer in dessen Herkunftsland fortzusetzen.

Gibt es auch Aspekte, die eine Ausweisung generell blockieren?

Wenn der hier verwurzelte Ausländer überhaupt keinen Bezug zu seinem Herkunftsland mehr hat, vor allem wenn er nicht einmal die dort gesprochene Sprache beherrscht, dann dürfte eine Ausweisung stets ausgeschlossen sein.

Finden Sie es richtig, dass das Europarecht Ausweisungen massiv erschwert?

Natürlich. Kriminelles Verhalten ist auch bei Ausländern durch Geld- und Haftstrafen zu bekämpfen, aber nicht durch die Zerstörung einer hier oft mühsam aufgebauten sozialen Existenz.

Würden Sie, wenn Sie Gesetzgeber wären, Ausweisungen von hier verwurzelten Ausländern überhaupt erlauben?

Nein. Die vom Europarecht für die meisten Fälle geforderte Einzelfallprüfung ist zwar ein Fortschritt gegenüber einer automatischen Ausweisung nach deutschem Recht, sie schließt solche archaischen Verbannungen aber nicht aus. Ich würde bei hier verwurzelten Ausländern den Schutz gegen Ausweisungen stärken.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH

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