Studiengebühren bilden Barrieren

Die vom Bundesbildungsministerium immer noch unter Verschluss gehaltene Studie zeigt: Mit der Einführung von Gebühren ist die Studierlust gesunken, soziale Ungleichheit nahm tendenziell zu. Frauen lassen sich häufiger abschrecken als Männer

Die Ergebnisse passen ihr offenbar nicht, also hält Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) die Untersuchung „Studiengebühren aus Sicht der Studienberechtigten“ weiter unter Verschluss. Erst im November soll die von ihrem Ministerium in Auftrag gegebene Studie veröffentlicht werden.

Dabei haben die Wissenschaftler des Hochschulinformationssystems (HIS) in Hannover ihre Ergebnisse bereits im Juli fertig ausgewertet und nach Berlin gesandt. Über drei Monate brauchen die Beamten des Bildungsministeriums also, um den Abschlussbericht gegenzulesen.

In Schavans Ministerium wehrt man sich gegen den Vorwurf der Geheimhaltung: „Es kann keine Rede davon sein, dass die HIS-Studie vom BMBF unter Verschluss gehalten wird.“ Vielmehr solle die Studie zusammen mit einer weiteren Befragung veröffentlicht werden, die das HIS im Auftrag des Ministeriums durchführte.

Dabei handelt es sich um eine Befragung der Studienanfänger des Wintersemesters 2007/2008. Das Ergebnis liegt auf der Hand: 100 Prozent haben sich für ein Studium entschieden, trotz Gebühren. ALE

VON ANNA LEHMANN

Dann werden sie lieber Klempner als Ingenieur: Kinder von Facharbeitern verzichten aus Angst vor Studiengebühren doppelt so häufig auf ein Studium wie Kinder aus Akademikerfamilien. Laut einer Studie des Hochschulinformationssystems haben im Jahre 2006 jeweils 6 Prozent der Studienberechtigten, deren Eltern höchstens Lehre oder Meisterabschluss haben, wegen Studiengebühren auf das Studium verzichtet. Nur halb so hoch ist der Anteil der Abgeschreckten bei Kindern, die aus Akademikerfamilien kommen.

Dies geht aus der bislang unveröffentlichten Studie hervor, die der taz vorliegt. Bei der Befragung wurde das Kind immer dem Elternteil mit dem höchsten Bildungsabschluss zugeordnet. Auftraggeber der Studie ist das von Annette Schavan (CDU) geführte Bundesbildungsministerium.

Während Schavan aber behauptet hatte, es stimme nicht, dass Studiengebühren vom Studium abschreckten, schreibt das Autorenteam um den Hochschulforscher Christoph Heine das Gegenteil: „Knapp vier Prozent aller Studienberechtigten des Jahrgangs 2006 geben an, das ursprünglich gewünschte Studium nicht aufzunehmen, da sie sich Studiengebühren nicht leisten können.“ Hochgerechnet entspricht das 6.000 bis 18.000 Personen.

Die Wissenschaftler befragten vor zwei Jahren 5.240 Studienberechtigte – ein halbes Jahr nachdem diese ihr Ticket für die Hochschule erworben hatten, das Abitur oder die Fachhochschulreife. Zu diesem Zeitpunkt hatten zwei Bundesländer – Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen – Studiengebühren eingeführt, inzwischen werden Gebühren von meist 500 Euro pro Semester in allen unionsgeführten Ländern im Westen Deutschlands kassiert.

Ein halbes Jahr nach ihrem Schulabschluss hatten rund 40 Prozent der Schulabgänger ein Studium aufgenommen. 6 Prozent der Schulabgänger wechselte gezielt an eine Hochschule ohne Gebühren. Jeder sechste Befragte war sich noch unsicher, ob er oder sie studieren solle. Studiengebühren waren in dieser Gruppe ein wesentlicher Grund für das Zögern: In den Ländern, die bereits Gebühren eingeführt hatten, hielten sie 22 Prozent der Unentschlossenen vom Studium ab.

Dabei ließen sich Frauen leichter beeindrucken als Männer: Während 3 Prozent der Männer aufgrund von Gebühren auf ein Studium verzichteten, ließen sich 5 Prozent der weiblichen Studienberechtigten abschrecken. Die Verunsicherung erreicht auch Studienwillige aus Ländern, die keine Gebühren erheben: „Jeder fünfte ostdeutsche Studienberechtigte, der sich hinsichtlich einer Studienaufnahme noch unsicher ist, gibt an, das gewünschte Studium aufgrund von Studiengebühren voraussichtlich nicht aufzunehmen“, heißt es.

Die größte Gruppe der Studienberechtigten lässt sich aber von Gebühren nicht beeinflussen. 54 Prozent nehmen ein Studium auf, auch wenn sie dafür zahlen müssen. Allerdings sehen die Autoren einen klaren Zusammenhang zwischen der abschreckenden Wirkung von Gebühren und der sozialen Herkunft. „Von den Studienberechtigten, die sich hinsichtlich einer Studienaufnahme noch unsicher sind, geben insbesondere diejenigen, deren Eltern eine Lehre absolviert haben, an, aufgrund von Studiengebühren das gewünschte Studium (wahrscheinlich) nicht aufzunehmen“, schreiben sie. Laut Bericht zögert jedes vierte Facharbeiterkind wegen der Gebühren, ein Studium aufzunehmen. In der Gruppe der Akademikerkinder, die gerne studieren wollen, ist der Anteil der Zauderer mit 17 Prozent deutlich geringer.

Die Gründe für die stärkere Verunsicherung unter Arbeiterkindern lassen sich herleiten, wenn man die Quellen betrachtet, aus denen Studierende ihre Gebühren bezahlen: Von den Studierenden, die einen Elternteil mit akademischem Abschluss haben, spendieren zu 81 Prozent Mama oder Papa die Gebühren. Von jenen Studierenden, deren Eltern eine Lehre absolviert haben, können nur knapp 60 Prozent auf das elterliche Portemonnaie zurückgreifen. Die Hälfte von ihnen jobbt, um Gebühren zu bezahlen, jeder sechste hat einen Kredit aufgenommen. Stipendien spielen bei allen Studierenden, gleich welcher sozialen Schicht, eine untergeordnete Rolle: Lediglich 2 Prozent nehmen sie in Anspruch.

Diejenigen, die Gebühren entrichten, tun dies ohne allzu große Begeisterung: „Die Befragung zeigt, dass lediglich jeder zweite verbesserte Studienbedingungen erwartet“, heißt es in der Studie.

Insgesamt ist die Studierneigung mit Einführung von Studiengebühren in allen sozialen Schichten gesunken. „Ein quantitativ bedeutsamer Rückgang der Studierneigung ist bei allen Herkunftsgruppen des Studienberechtigtenjahrgangs 2006 zu verzeichnen“, schreiben die Wissenschaftler. Im Vergleich zum Jahrgang 2004 sei die Studierneigung zwei Jahre später bei Kindern aus Akademikerfamilien um 4 Prozentpunkte, bei Kindern aus Facharbeiterfamilien um 7 Prozentpunkte gesunken.

Die soziale Schere bei den Studierenden hat sich also just in dem Jahr, in dem Gebühren eingeführt wurden, weiter leicht geöffnet. Es liege nahe, dass sowohl die Abnahme der Studierneigung im Zeitverlauf als auch die „tendenzielle“ Zunahme der sozialen Ungleichheit partiell auf die Einführung von Studiengebühren zurückzuführen seien, schreiben die Autoren.