„Da entsteht eine Art deutsches FBI“

Der ehemalige Geheimdienstchef Hansjörg Geiger warnt davor, dem Bundeskriminalamt neue Befugnisse zur Terrorabwehr zu geben. Er glaubt, das BKA werde davon mehr Gebrauch machen als die Polizeien der Länder

HANSJÖRG GEIGER, 66, war Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes.

taz: Herr Geiger, Union und SPD haben sich am Mittwoch auf einen gemeinsamen Entwurf für das BKA-Gesetz geeinigt. Sie warnen vor dieser Novelle. Warum?

Hansjörg Geiger: Dieses Gesetz bringt eine deutliche Veränderung der Sicherheitsarchitektur in Deutschland. Zum ersten Mal bekommt das Bundeskriminalamt präventive Befugnisse. Dies hat Auswirkungen auf die Länderpolizeien, die Nachrichtendienste und die Generalbundesanwaltschaft. In der Öffentlichkeit wird dies noch viel zu wenig wahrgenommen.

Die Polizeien der Bundesländer sind schon immer für die Abwehr von Gefahren und Straftaten zuständig. Was ist so dramatisch, wenn nun auch das Bundeskriminalamt präventiv tätig sein soll?

Das BKA ist personell und technisch ganz anders ausgestattet als ein Landeskriminalamt, das führt zu einem qualitativen Sprung. Denn das BKA kann und wird von diesen Befugnissen – Lausch- und Spähangriff, Computer- und Telefonüberwachung – viel mehr Gebrauch machen als die Länder. Da entsteht eine Art deutsches FBI.

Das Bundeskriminalamt ist doch schon seit Jahrzehnten für die Bekämpfung des Terrorismus zuständig …

Ja, bisher aber nur zur Strafverfolgung. Und dabei unterstand das BKA immer der Kontrolle der Bundesanwaltschaft. Bei der Gefahrenabwehr besteht diese Kontrolle nicht.

Halten Sie Generalbundesanwältin Monika Harms wirklich für eine wirksame Kontrollinstanz gegen Polizeiexzesse? Immerhin hat sie im Vorfeld des Gipfels von Heiligendamm selbst rechtswidrige Polizeirazzien gegen Gipfelgegner angeordnet.

Wenn man auf die letzten Jahrzehnte blickt, war die Bundesanwaltschaft eine dem Rechtsstaat verpflichtete Behörde. Ich habe zu ihr Vertrauen.

BKA-Präsident Ziercke prognostiziert, dass sein Amt nur etwa fünf Mal im Jahr größere präventive Einsätze haben wird. In den meisten Fällen blieben die Länder für die vorsorgliche Überwachung von islamistischen Gefährdern zuständig. Mit wie vielen präventiven BKA-Einsätzen rechnen Sie?

Eine exakte Prognose ist schwierig; jedoch ziehen neue Kompetenzen oft neue Aufgaben an. Aber Ihre Frage weist auf ein ungelöstes Problem des Gesetzentwurfes hin: Es ist nicht klar geregelt, wann nun das BKA und wann die Länder für die Abwehr internationalen Terrors zuständig sind. Deshalb droht eine doppelte Zuständigkeit, die die Bürger übermäßig belastet, zudem ineffizient ist und politische Verantwortlichkeit verwischt.

Wie sieht die Aufgabenteilung mit dem Verfassungsschutz aus? Ist die deutlicher?

Leider nein. Wie schon der Verfassungsschutz wird auch das Bundeskriminalamt zunehmend im Vorfeld von Gefahren ermitteln. Außerdem erhält das BKA immer mehr heimliche Ermittlungsbefugnisse. Auch da droht ein Zuständigkeitskonflikt. Und der Betroffene kann sich überhaupt nicht wehren, weil er von heimlichen Maßnahmen ja nichts mitbekommt.

Der Beschluss: Das Bundeskriminalamt darf laut Einigung von SPD und CDU künftig bei der Terrorfahndung private Computer durchsuchen und auch die Wohnungen Terror-Unverdächtiger mit Mikrofonen und Kameras überwachen.

Die Kritik: Sowohl die Opposition im Bundestag als auch Bürgerrechtler und Teile der Polizei kritisieren das Gesetz wegen starker Eingriffe in die Bürgerrechte. Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) will vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz klagen.

Was sich konkret ändert: www.taz.de

Was schlagen Sie vor?

Bei heimlichen Ermittlungsmaßnahmen sollte der Staat einen Bürgeranwalt beauftragen, die Rechte der Betroffenen wahrzunehmen, auch wenn diese zunächst nichts davon erfahren.

Gibt es solche Modelle bereits in anderen Staaten?

Nein, aber ich halte die Einführung neuer Schutzmechanismen für dringend erforderlich. Schließlich ist der Bürger bei heimlichen Maßnahmen am verletztlichsten, kann sich aber zugleich am wenigsten zur Wehr setzen.INTERVIEW: CHRISTIAN RATH