Streit um Krebs-Impfung wuchert

Der Medizin-Nobelpreis geht heute zur Hälfte an den Deutschen Harald zur Hausen. Zwar war seine Entdeckung, dass Viren Gebärmutterhalskrebs auslösen können, revolutionär. Über den Nutzen der Impfung dagegen ist ein heftiger Streit entbrannt

AUS BERLIN MATTHIAS LOHRE

Wenn Harald zur Hausen am heutigen Mittwoch in Stockholm unter Applaus den Nobelpreis für Medizin entgegennimmt, dann wird es ihm vielleicht scheinen, als liege dieser lästige Machtkampf weit hinter ihm. In Deutschland nämlich schwelt seit Jahren ein Konflikt, in dem es um Moral geht und um hunderte Millionen Euro. Aber auch um die Macht im Gesundheitswesen – und um ebenjene Entdeckung, die dem Heidelberger Krebsforscher nun seinen Preis einbringt.

Zur Hausen hat entgegen starken Widerständen aus Medizinerkreisen Ende der 70er-Jahre beweisen können, dass Viren Krebs auslösen können. Genauer: Bestimmte Typen des Humanen Papillom-Virus (HPV) sind beteiligt am Entstehen von Gebärmutterhalskrebs. Rund 1.700 Frauen sterben laut zur Hausen in Deutschland pro Jahr an der bösartigen Gewebewucherung. Drei Prozent aller Neuerkrankungen entfallen hierzulande auf diese Krebsart. Die Leistung des heute 72-Jährigen ist nicht umstritten. Was daraus entstanden ist, umso mehr.

Die sogenannte Ständige Impfkommission, angesiedelt am Robert-Koch-Institut, entschied im März 2007 in Rekordzeit: Ein Medikament des Pharmaunternehmens Sanofi Pasteur sei als Impfstoff für 12- bis 17-jährige Mädchen zu empfehlen. Seither wird das Murren unter Ärzten immer lauter. Sie vermuten hinter der Eilentscheidung reichlich Lobbyarbeit der Industrie – zulasten der geimpften Mädchen und 70 Millionen gesetzlich Versicherter.

Denn einer Empfehlung der Impfkommission können sich die Kassen kaum entziehen. Der Gemeinsame Bundesausschuss, das zentrale Entscheidungsgremium im Gesundheitswesen, orientiert sich an den Bewertungen durch die offiziell unabhängige Kommission. Seither übernehmen die Kassen die Kosten für die HPV-Impfung: immerhin 465 Euro pro Dosis. Allein zwischen März 2007 und Juni 2008 kostete sie dies laut Apothekerverband 255 Millionen Euro.

Dagegen regt sich immer mehr Widerstand. Vor zwei Wochen plädierten 13 namhafte Mediziner in einem „Manifest“ schriftlich für eine „Neubewertung der HPV-Impfung und ein Ende der irreführenden Informationen“. Ihr Vorwurf: Die Wirksamkeit der Medikamente von Sanofi Pasteur und GlaxoSmithKline sei nicht genügend bewiesen. Noch gebe es gar keine Langzeitstudie – dabei trete Gebärmutterhalskrebs erst 10 bis 15 Jahre nach der Infektion mit dem Virus auf. Zudem legten die Konzerne nicht offen, wie sie zum Urteil kämen, ihre Medikamente könnten die Zahl der Krebsfälle bei den Virentypen 16 und 18 um fast 70 Prozent senken. Sie fordern, die Impfkommission müsse neuere, detailliertere Studienergebnisse berücksichtigen.

Dahinter steckt die Wut vieler Ärzte über den massiven Druck, den Konzerne und eingekaufte Medizinerkollegen mal verdeckt, mal offen auf sie ausüben. Ihr unausgesprochener Vorwurf: Ständige Impfkommission und Gemeinsamer Bundesausschuss haben dieser Lobbyarbeit nachgegeben. Nobelpreisträger zur Hausen hingegen hält die Wirksamkeit der Medikamente für erwiesen. Nur ihren Preis hält er für überhöht. Trotzdem bleibt der ehemalige Leiter des Deutschen Krebsforschungszentrums von Kritik verschont. Die Impfung mag umstritten sein. Zur Hausens Verdienste nicht.