„SPD muss die Abweichler zurückholen“

Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Uni Kassel zur Lage der hessischen SPD nach dem Debakel bei der Landtagswahl: Der neue Chef Schäfer-Gümbel sollte nach Persönlichkeiten von außen, nach Brückenbauern Ausschau halten

WOLFGANG SCHROEDER ist Hochschullehrer am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel in Hessen

INTERVIEW KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

taz: Herr Schroeder, Thorsten Schäfer-Gümbel wird am Samstag auf dem Landesparteitag der hessischen SPD zum Landeschef gewählt werden. Ist er nur eine Not- und Übergangslösung oder kann er es schaffen, die Partei aus dem Tal der Tränen herauszuführen?

Wolfgang Schroeder: Er muss. Es gibt keine Alternative zu ihm. Die Erwartungen in der Partei sind groß; und natürlich ist das eine Herkulesaufgabe.

Andrea Ypsilanti, die einstige Hoffnungsträgerin der Parteilinken, hatte mit ihrem Verzicht auf eine Wiederwahl nach der Niederlage bei den Landtagswahlen im Januar den Weg für Schäfer-Gümbel an die Spitze der hessischen SPD frei gemacht. Ist sie jetzt Geschichte?

Ja. Aber diese Geschichte muss von der Partei nun behutsam und mit Augenmaß aufgearbeitet werden. Die Stunde der Wahrheitskommission kann gerade im Superwahljahr nicht schlagen; das kann auch der SPD im Bund nicht zugemutet werden. Man muss zu anderen Formen der Aufarbeitung kommen, die auch eine Versöhnung der Parteiflügel implizieren. Eine Befriedung per Ordre de Mufti ist nach all diesen Verletzungen nicht möglich.

Was wäre ein erster Schritt?

Man muss die vier Abweichler um Jürgen Walter vom rechten Parteiflügel wieder in die Partei integrieren.

Denen soll aber im März der parteiinterne Prozess gemacht werden.

Das wäre fatal. Deshalb sollte dies verhindert werden. Ohne eine gewisse Großzügigkeit lässt sich nicht vermeiden, dass die Partei weiter balkanisiert wird. Die Einzelnen sollten weniger an ihre Partikularinteressen denken und mehr an die Partei als Ganzes.

Was muss die hessische SPD unternehmen, um wieder politikfähig zu werden? Das Wahlergebnis mit nur 23 Prozent war ja ein Debakel.

Das geht nur mit einer deutlichen Kursänderung. Es heißt jetzt Abschied nehmen von der Sandkasten-SPD, wo sich unversöhnlich gegeneinander arbeitende Gruppen wechselseitig die Förmchen abnehmen. Die Partei braucht erwachsene, also tolerante Politiker, die einen aufgeklärten Pragmatismus leben können. Vor allem müssen die meinungsbildenden städtischen Milieus beeindruckt werden. Denn in den hessischen Städten außerhalb Kassels hat eine regelrechte Entsozialdemokratisierung stattgefunden.

In Darmstadt wählen die Delegierten des Landesparteitages der hessischen SPD heute ihren neuen Parteivorsitzenden. Die bisherige Parteichefin Andrea Ypsilanti hatte die Verantwortung für die verheerende Landtagswahlniederlage vom Januar (23,7 Prozent) übernommen und ihren Verzicht auf eine erneute Kandidatur erklärt. Einziger Kandidat für den Parteivorsitz ist der Gießener Thorsten Schäfer-Gümbel (TSG), der bereits Fraktionschef der SPD im Landtag ist. Darüber hinaus muss der Parteitag den Vorschlag von Schäfer-Gümbel für den nach der Rücktrittsankündigung von Norbert Schmitt vakant gewordenen Posten des Generalsekretärs absegnen. Der Bundestagsabgeordnete Michael Roth ist von TSG nominiert worden. Mit Spannung wird der Rechenschaftsbericht des scheidenden Generalsekretärs Schmitt erwartet – und der von Exparteichefin Ypsilanti. KPK

Und Schäfer-Gümbel wohnt auf dem Land.

Eine Person alleine kann das sowieso nicht schaffen. Für den Wiederaufbau der Partei braucht es neue Gesichter und neue Organisationsformen. Schäfer-Gümbel sollte nach Persönlichkeiten, nach Brückenbauern, Ausschau halten, die beeindrucken. Und wenn es die in der Partei nicht gibt, muss er sie von außen holen. Aber auch im Umgang mit solchen Persönlichkeiten von außen muss sich die Partei ändern. In Hessen sind diese Externen meist gescheitert. Es braucht eine Strategie, wie das Scheitern Externer künftig vermieden werden kann.

Muss da nicht die spalterische Organisationsform der hessischen SPD mit dem in Nord und Süd geteilten Landesverband reformiert werden?

Diese Debatte wird seit zehn Jahren geführt. Das wieder zu praktizieren, halte ich nicht für sinnvoll. Richtig ist, dass es sich selbst genügende Strukturen sind mit viel zu wenig Durchlässigkeit. Weil daran kurzfristig offenbar nichts zu ändern ist, muss die Gruppe um TSG eine Anbaustrategie favorisieren. Lernen durch Verlagerung von Kompetenzen in hochkarätig besetzte Arbeitsgruppen mit Forumscharakter. Ich nenne das jetzt einmal „Modernisierung durch Anbaustrategie“.