Kommunalpolitik ohne Kandidaten: Sieben Ost-Gemeinden sagen Wahl ab

Weil im Osten immer weniger Kandidaten gefunden werden, profitieren freie Wählergruppen und rechte Parteien: Sie füllen systematisch die Lücken.

Manchmal müssen überraschte Bürger Ämter annehmen: Wahllokal in Sachsen-Anhalt. Bild: dpa

Oft geht bundesweit weniger als die Hälfte der Bürger zur Kommunalwahl. Doch nun musste in gleich sieben Gemeinden des Bördekreises von Sachsen-Anhalt die Kommunalwahl am 7. Juni abgesagt werden. Der Grund: Es finden sich keine Kandidaten, die sich zur Wahl stellen wollen.

In diesem Ausmaß hat es so etwas in der Wahlgeschichte Sachsen-Anhalts noch nicht gegeben. Landeswahlleiter Klaus Klang will allerdings den Kandidatenmangel nicht durch die Gemeindegebietsreform erklären, wie es einige Bürgermeister behaupten. Weil diese Reform benachbarte Gemeinden zu einer Einheit unter einer Verwaltung zusammenfasst, hatten manche verärgerte Kommunalpolitiker angekündigt, sich nicht mehr zur Wahl zu stellen. Allerdings haben 30 Gemeinden, die demnächst fusionieren, ihre Wahl ohnehin auf Ende 2009 verschoben - das kann die jetzige Verdrossenheit der Kommunalpolitiker nur schwer erklären.

Weil unklar ist, warum plötzlich Kandidaten ausfallen, haben die Nachbarländer Thüringen und Sachsen in ihrem Wahlrecht schon für den Extremfall Vorsorge getroffen. Findet sich nur einer oder gar kein Bewerber für den Gemeinderat, bleiben die Plätze auf dem Stimmzettel frei. Wähler können an Ort und Stelle selbst Namen hinzufügen, Mitbürger also regelrecht zum politischen Ehrenamt verdonnern. In diesem Fall entscheidet das Prinzip der Mehrheitswahl. "Das kommt gar nicht so selten vor", sagt Ralf Rusch, Geschäftsführer des Thüringer Städte- und Gemeindebundes. Das Büro von Landeswahlleiter Günter Krombholz bestätigt diese Praxis: In der Regel würden die so überraschten Bürger ihre Ämter auch annehmen.

Ob die Situation in Thüringen oder Sachsen deswegen weniger angespannt als in Sachsen-Anhalt ist, lässt sich noch nicht sagen. Wegen des späten Bewerbungsschlusses für Kandidaten erst Mitte Mai ist noch unklar, wie groß der eventuelle Kandidatenmangel ist.

Weil es den Parteien zunehmend schwerer fällt, Kandidaten für die Kommunalwahl aufzustellen, gibt es einen neuen Trend: In allen drei ostdeutschen Bundesländern fällt die steigende Zahl parteiloser Bewerber auf. In Sachsen-Anhalt macht ihr Anteil etwa 40 Prozent aus. Sogar die etablierten Parteien haben ihre Listen in dieser Größenordnung für Kandidaten ohne Parteibuch mittlerweile geöffnet.

Vom Trend zu parteiunabhängigen Wählervereinigungen, die den Kandidatenmangel auffangen wollen, profitieren derzeit auch rechte Gruppierungen.

Petra Schickert vom Kulturbüro Sachsen sagt: "Man weiß nie, wofür die Personen stehen, die über Feuerwehren, Faschings- oder Sportvereine in die Gemeinderäte kommen", sagt die vor allem in der Sächsischen Schweiz tätige Koordinatorin der Mobilen Beratungsteams. Man habe auch schon böse Überraschungen erlebt - wenn sich solche Bewerber beispielsweise als Anhänger der Wählervereinigung "Arbeit, Familie, Vaterland" des fraktionslosen Bundestagsabgeordneten Henry Nitzsche aus Sachsen entpuppten, der nach rechtslastigen Ausfällen aus der CDU ausgetreten war.

Auch die NPD versucht gezielt, die Kandidatenlücken zu füllen. Wegen ihrer Präsenz im Landtag müssen die Rechtsextremisten in Sachsen keine Unterstützungsunterschriften beibringen. In Reinhardtsdorf-Schöna etwa, wo ein konstanter NPD-Stimmenanteil von 25 Prozent mehrfach für bundesweites Aufsehen sorgte, konnte sich die örtliche Gegenbewegung erst mühsam zu eigenen Kandidaten durchringen, berichtet Petra Schickert. Für Sachsen-Anhalt rechnete kürzlich auch der Magdeburger Politikwissenschaftler Roland Roth mit einer weiteren kommunalen Stabilisierung der NPD.

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