Bald Hartz IV für Arbeitslose aus allen EU-Ländern

EU-GERICHTSHOF Wer in Deutschland Arbeit sucht, hat Anspruch auf Integration in den Arbeitsmarkt

Entscheidend ist, ob eine „tatsächliche Verbindung“ mit dem Arbeitsmarkt hergestellt wurde, so das Gericht

BERLIN taz | EU-Ausländer, die zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen, können wahrscheinlich bald Hartz-IV-Leistungen erhalten. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Donnerstag jedenfalls den Weg dafür freigemacht. Es kommt nun darauf an, ob deutsche Sozialbehörden und -gerichte diesen Ansatz umsetzen.

Konkret ging es um zwei Griechen, die in Nürnberg arbeiteten. Athanasios Vatsouras kam Anfang 2006 nach Deutschland, nahm eine geringfügige Beschäftigung auf und wurde nach knapp einem Jahr arbeitslos. Josif Koupatantze reiste Ende 2006 ein, arbeitete zwei Monate, wurde dann aber wegen Auftragsmangel entlassen. In beiden Fällen verweigerte das zuständige Nürnberger Jobcenter die Gewährung von Arbeitslosengeld II.

Laut deutschem Sozialgesetzbuch haben EU-Bürger derzeit nur dann Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen, wenn sie als Arbeitnehmer in Deutschland leben. Zur Arbeitsuche dürfen sie zwar einreisen, haben dabei aber keinen Anspruch auf ALG II. Das Nürnberger Sozialgericht fragte nun, ob die deutsche Rechtslage mit EU-Recht vereinbar ist. Der Europäische Gerichtshof hat dies nun verneint, weil EU-Bürger hier unzulässig diskriminiert werden.

Im Fall der beiden Griechen kommt es nach Ansicht des EuGH allerdings gar nicht auf ihre Arbeitssuche an, weil beide Männer ja zunächst in Deutschland gearbeitet haben. Dass die Tätigkeiten geringfügig oder kurzfristig waren, hindere nicht daran, sie als Arbeitnehmer einzustufen. Sie müssten schon deshalb Anspruch auf Hartz IV haben, nachdem sie arbeitslos wurden.

Darüber weit hinausgehend weist der EuGH auch darauf hin, dass Leistungen zur „Integration in den Arbeitsmarkt“ allen EU-Bürgern zukommen müssen, die bereits eine „tatsächliche Verbindung“ mit dem konkreten Arbeitsmarkt hergestellt haben. Dazu genüge es, wenn der EU-Bürger „während eines angemessenen Zeitraumes tatsächlich eine Beschäftigung in dem Mitgliedstaat gesucht hat“, so die EU-Richter.

Die deutschen Sozialgerichte müssen nun also die Frage beantworten: Ist Hartz IV nur eine neue Form der Sozialhilfe – dann haben arbeitssuchende EU-Bürger keinen Anspruch. Oder dient das Arbeitslosengeld II der Integration in den Arbeitsmarkt? Für Letzteres spricht der Wortlaut des Gesetzes. Insofern hat Rot-Grün mit seinem Ansatz des „Fördern und Forderns“ Hartz IV zugleich für alle EU-Bürger eröffnet.

Außerdem müssen die deutschen Gerichte noch entscheiden, wie schnell arbeitssuchende EU-Bürger Hartz-IV-Leistungen erhalten können. Einen sofortigen Hartz-IV-Bezug fordert auch der EuGH nicht, vielmehr verlangt er eine „angemessene“ Zeit der Arbeitssuche. Vermutlich werden die Sozialgerichte einige Monate ernsthafte Bemühungen verlangen, um einen Ansturm arbeitsloser Rumänen und Bulgaren zu vermeiden, wenn diese ab 2012 EU-weit Freizügigkeit genießen.

Die EuGH-Entscheidung kommt zwar für die deutsche Politik überraschend, ist aber in der Sache nicht neu. In einem englischen Fall hatte der EuGH bereits 2004 entschieden, dass arbeitssuchende EU-Bürger gleichberechtigten Anspruch auf finanzielle Leistungen zur Integration in den Arbeitsmarkt haben. (Az.: C-22/08) CHRISTIAN RATH