Bund findet deutsches Schulsystem prima

BILDUNG Der Sonderbeauftragte der UN für das Menschenrecht auf Bildung Vernor Muñoz ist über eine schriftliche Mitteilung der Bundesregierung überrascht und wenig erfreut – sie ist kurz und lapidar

BERLIN/OLDENBURG taz | Die Bundesregierung hat in einem Briefwechsel eine überraschende Einschätzung der Schulsituation von Kindern gezeigt: Jedes Kind habe freien Zugang zur Schule „unabhängig von seinem sozialen Hintergrund“. Das widerspricht zwar Erkenntnissen, nach denen der Schulzugang von Geldbeutel und Bildung der Eltern abhängt. Doch so stehe es in der Antwort der Regierung auf seine Kritik, berichtete Vernor Muñoz, der Beauftragte der Vereinten Nationen (UN) für das Recht auf Bildung. Muñoz äußerte sich erstmals über die Reaktion aus Deutschland. Er nannte sie dünn.

Der Jurist aus Costa Rica hatte Ende letzten Jahres Deutschland gemahnt, seinen kritischen UN-Inspektionsbericht aus dem Jahr 2007 zu beantworten. Daraufhin hatte er im April 2009 ein dreiseitiges Brieflein erhalten. „Die Bundesregierung meint darin, dass die verschiedenen Schulformen und -abschlüsse nicht mehr so streng getrennt sind, wie sie es bislang waren“, sagte Muñoz gegenüber der taz. In der Regierung hatte es Differenzen darüber gegeben, ob man ihm überhaupt antworte, sagen einige, ohne ihren Namen nennen zu wollen.

Der Menschenrechtsbeauftragte hat sich erneut sehr kritisch über den Umgang mit behinderten Schülern in Deutschland geäußert. Muñoz sagte der taz: „Das Menschenrecht auf Bildung ist nicht für den Mond gemacht!“ Er reagierte damit speziell auch auf die kürzliche Äußerung eines Marburger Schulrats, der sagte, die UN-Konvention für behinderte Menschen habe in Hessen keine Gültigkeit. Wie die taz berichtet hatte, verweigert das Schulamt mit diesem Hinweis einem 15-jährigen Jugendlichen mit Down-Syndrom den Zugang zu einer Gesamtschule – obwohl diese ihn nehmen will. „Es sind nicht die Menschen, die behindert sind“, sagte der Juraprofessor Muñoz, „Behinderung ist eine Eigenschaft, die man diesen Menschen durch Strukturen von außen antut.“ Lernen sei die „einzige Möglichkeit, seine Grenzen zu überschreiten“. Diese Entwicklungschance müsse allen Menschen gewährt werden.

Muñoz mahnte am Rande eines Besuchs in Oldenburg grundlegende Veränderungen an. „Mit dem Schulsystem kann es so nicht weitergehen. Man kann nicht sagen, wir machen inklusive Schule – und ändert aber gar nichts.“ Der Begriff der inklusiven Schule bedeutet, dass Behinderte von Anfang als dazugehörend zu betrachten sind. „Auch Schulbeamte müssen dabei helfen.“

In Deutschland sind viele Fälle behinderter Kinder bekannt, denen der Zugang zur Regelschule verwehrt bleibt. Dabei haben Bundestag und Bundesländer kürzlich die Konvention der Vereinten Nationen ratifiziert, die Menschen mit Handikaps die Regelschule erlaubt. In Deutschland lernen über 400.000 Schüler in Sonderschulen – das sind 85 Prozent der behinderten Kinder. CHRISTIAN FÜLLER

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