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EUROPAPOLITIK Nach dem Karlsruher Lissabon-Urteil treibt die CSU die Bundestagsparteien vor sich her

„Die deutsche Europapolitik muss nun endlich zur Innenpolitik werden“

THOMAS SILBERHORN, CSU

FREIBURG taz | In der Europapolitik treibt die CSU derzeit die anderen Parteien vor sich her. Sie will nicht nur die Vorgaben des Verfassungsgerichts umsetzen, sondern den Bundestag in EU-Angelegenheiten massiv stärken. Darauf einigte sich CSU-Spitze Horst Seehofer mit den Europapolitikern der Partei am Samstag in München. „Europapolitik muss endlich Innenpolitik werden“, sagte Thomas Silberhorn, der europapolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, zur taz.

Europapolitik wird jedenfalls eines der großen Sommerthemen im Bundestag. Das Bundesverfassungsgericht billigte Ende Juni zwar den Lissabon-Vertrag, fordert aber noch eine Nachbesserung des Begleitgesetzes. So soll der Bundestag künftig per Gesetz zustimmen, wenn neue Kompetenzen – zum Beispiel im Strafrecht – ohne Vertragsänderung auf die EU übertragen werden oder wenn im EU-Ministerrat von Einstimmigkeit zu Mehrheitsabstimmungen gewechselt wird. SPD und CDU wollen dies in zwei Sondersitzungen des Bundestags am 26. August und 9. September beraten und beschließen.

Der Regierungspartner CSU will nun aber mehr Parlamentsvorbehalte. Schon vor der Aufnahme von Verhandlungen über einen neuen EU-Vertrag oder über die Aufnahme neuer EU-Mitglieder soll der Bundestag zwingend befragt werden. „Wenn alles ausverhandelt ist, ist es zu spät“, sagt CSU-Experte Silberhorn.

Im EU-Alltagsgeschäft soll der Bundestag wie bisher selbst entscheiden, zu welchen EU-Vorhaben er Stellungnahmen abgibt. Die CSU will allerdings, dass diese Stellungnahmen künftig für die Bundesregierung grundsätzlich verbindlich sind. Die Regierung soll nur aus „zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen“ vom Parlamentsvorgaben abweichen dürfen, wenn sie in Brüssel verhandelt. Hierfür will die CSU sogar das Grundgesetz ändern. Bisher müssen Stellungnahmen des Bundestags nur „berücksichtigt“ werden.

Die Christsozialen orientieren sich am Beispiel Österreichs, wo solche bindenden Stellungnahmen schon seit rund 15 Jahren vorgesehen sind. Allerdings macht das dortige Parlament nur sehr selten Gebrauch von diesem Instrument. Deshalb ist auch der EU-freundliche CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber mit dieser Forderung einverstanden. „Die deutsche Handlungsfähigkeit in Europa wird dadurch nicht eingeschränkt“, sagte Ferber zur taz.

Auch die Stellungnahmen des Bundesrats sollen aufgewertet werden. Bisher müssen sie bei ausschließlichen Länderzuständigkeiten wie der Medienpolitik „maßgeblich berücksichtigt“ werden. Künftig möchte die CSU hier Verbindlichkeit vorschreiben. Außerdem soll die Länderkammer zwingend zustimmen müssen, wenn Kompetenzen der Kommunen, etwa bei der Wasserversorgung, von einem EU-Vorhaben betroffen sind.

Volksabstimmungen sieht die CSU als Möglichkeit vor, wenn per Vertragsänderung neue Kompetenzen auf die EU verlagert werden oder neue Staaten, etwa die Türkei, in die EU aufgenommen werden. Wer entscheiden soll, wann es eine Volksabstimmung gibt, ist noch offen.

Schließlich will die CSU auch die europapolitischen Aktivitäten des Bundesverfassungsgerichts regeln und erweitern. In seinem Lissabon-Urteil hat sich Karlsruhe die Prüfung vorbehalten, ob EU-Organe ihre Kompetenzen überschreiten oder die zentrale Vorschriften des Grundgesetzes verletzen. Für solche Klagen soll nun ein ausdrücklicher Rechtsweg vorgesehen werden. Zusätzlich will die CSU, dass das Verfassungsgericht auch Gutachten über völkerrechtliche Verträge abgeben kann, bevor der Bundestag diesen zustimmt.

Die CSU-Position beruht auf Vorschlägen von Parteichef Horst Seehofer und Thomas Silberhorn. Eine schriftliche Stellungnahme wird erst Montagabend vorliegen. Am Mittwoch berät die CSU-Landesgruppe über die Vorschläge, anschließend muss eine gemeinsame Linie mit der CDU gefunden werden. SPD-Chef Franz Müntefering mahnte gestern zur Eile. CHRISTIAN RATH