Kurzarbeitende: Kein Interesse an Fortbildungen

UNTERNEHMEN Nur wenige ArbeitnehmerInnen nutzen die Möglichkeit zur Weiterbildung in der Kurzarbeit. Viele Firmen befürchten, dass ihre Mitarbeiter dann weniger flexibel einsetzbar sind. Für den Herbst werden Massenentlassungen erwartet

BERLIN taz | Die Erwartung, dass KurzarbeiterInnen ihre Zeit für eine Weiterqualifizierung nutzen, erfüllt sich bisher nicht. Laut dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) nehmen diese Möglichkeit aktuell nur 10.000 der 1,4 Millionen Kurzarbeitenden wahr. Dabei hatte die Bundesregierung extra Anreize geschaffen: So bekommen Unternehmen die Sozialversicherungsbeiträge für ihre kurzarbeitenden Arbeitnehmer nur dann ab dem ersten Monat voll erstattet, wenn sie deren berufliche Weiterbildung förderten. Davon sollten vor allem kleine und mittelständische Unternehmen profitieren, in denen Fortbildungen oft an Geld oder am Willen scheitern, Mitarbeiter freizustellen.

Für Johannes Jakob, Arbeitsmarktexperte des DGB, bieten die Zahlen keine große Überraschung. „Die Unternehmen haben sich über das Angebot nicht informiert.“ Oft wollten die Firmen auch nicht, dass Mitarbeiter an bestimmten Tagen nicht verfügbar seien.

Ilona Mirtschin, Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit (BA), weist darauf hin, dass die Abstimmung „relativ kompliziert“ sei. „Wenn in der Kurzarbeit vier Tage gearbeitet wird und nur der fünfte Tag für Weiterbildung frei ist, passt das nicht zu den bisherigen Qualifizierungsangeboten“, erklärt sie. Aber es liege nicht nur an organisatorischen Fragen: „Große Unternehmen bleiben oft bei ihren betriebsinternen Fortbildungen aus der Zeit vor der Kurzarbeit.“ An Geld mangelt es jedenfalls nicht: Die BA stellt dieses Jahr rund 570 Millionen Euro für die Qualifizierung zur Verfügung. Erst ein Bruchteil davon ist eingesetzt worden.

Für Jakob gibt es dafür auch strukturelle Gründe: Der Weiterbildungssektor werde seit einigen Jahren vernachlässigt. Die Arbeitsmarktreformen hätten dazu geführt, dass sich die Löhne der Lehrkräfte seit 2000 zum Teil halbiert hätten und qualifiziertes Personal ausgeschieden sei. Das Angebot sei deshalb weniger attraktiv geworden.

Jakob rechnet mit ersten Entlassungen nach den Sommerferien. Das Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo) spricht von einem Viertel der Unternehmen, das im nächsten halben Jahr die Zahl der Mitarbeiter reduzieren will. In der Industrie ist es sogar ein Drittel.

Angesichts einer drohenden Entlassungswelle für den Herbst fordern die beiden Wirtschaftsweisen Peter Bofinger und Wolfgang Franz, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I um einige Monate zu verlängern, um den Absturz in die Grundsicherung Hartz IV zu vermeiden. Das Arbeitslosengeld I wird derzeit maximal zwölf Monate gezahlt, für ältere Arbeitslose höchstens 24 Monate. Im Arbeitsministerium reagierte man gestern darauf zurückhaltend. Man hoffe vielmehr auf einen baldigen Aufschwung, so eine Sprecherin.EVA VÖLPEL