Streitschrift von Paartherapeut: Ekelprophylaxe rettet Ehen

Paartherapeut Arnold Retzer rät in seiner Streitschrift zu einer neuen Form der Vernunftehe. Nur mit Humor könne man den Paradoxien in Beziehungen begegnen.

Gemeinsam lachen ist wichtiger als Sex – findet jedenfalls Paartherapeut Arnold Retzer. Bild: kong/photocase

Die Ehe ist ein absurdes Theater. Man muss das nur akzeptieren, dann ist es leichter. Im aktuellen Buch des Paartherapeuten Arnold Retzer geht es um die Langzeitehe. Aber er gibt keine Tipps, wie man das Sexualleben aufpeppt oder Beziehungsgespräche zielgerichtet führt. Er macht vielmehr den Vorschlag, den Partner beim immergleichen Ehestreit mit einer Wasserpistole einzunässen, die man im Schulterhalfter mit sich führt.

Retzer ist Autor, Arzt und systemischer Psychotherapeut in Heidelberg und daher gut vertraut mit den Schrägheiten des Lebens. Nur wer die Paradoxien in Beziehungen annimmt, der kommt auch gut mit seinem Partner oder seiner Partnerin klar, lautet die Botschaft seines Buches "Lob der Vernunftehe - Eine Streitschrift für mehr Realismus in der Liebe". Das Comeback der "Vernunftehe" bedeutet aber nicht, lieblose Langzeitbeziehungen akzeptieren zu lernen. Retzer möchte vielmehr die Ehen von "untragbar gewordenen Belastungen" befreien und wieder zu "menschlichen Maßstäben angemessenen Erwartungen" zurückkommen.

Das Buch lädt daher vor allem zur Denkarbeit ein über unsere Liebesmuster. Der schwärmerische Anspruch an dauernde seelische Intimität mit dem Partner etwa könne bei genauerem Hinsehen oft genug unmenschlich sein, warnt der Autor. Und was heißt überhaupt Romantik? Die boomenden Vermittlungsagenturen im Internet mit angeblich wissenschaftlich geprüfter Partnersuche seien die moderne Version der "arrangierten Ehe", findet Retzer. Gegen das kalte Ein- und Aussortieren per Mausklick erscheint so manche arrangierte indische Heirat wie ein leidenschaftliches Liebesepos.

Paare, die es lange und gerne miteinander aushalten, müssen nicht dauernd romantische Gefühle füreinander hegen oder möglichst wenig Streitereien erleben. Konflikte offen auszutragen sei vielmehr wichtig, auch als "Ekelprophylaxe", meint der Autor. Die innere Abwehr, der Ekel voreinander stelle sich vornehmlich bei jenen Paaren ein, die ihre Aggressionen unterdrückten.

Am Ende sind es so banale Dinge wie die richtigen Umgangsformen, die eine Ehe stützen. Entscheidend sei "die Art des Umgangs mit Konflikten", betont Retzer, Jahrgang 1952 und selbst seit 22 Jahren verheiratet. Er bezieht sich dabei auf den renommierten US-amerikanischen Paarforscher John Gottman. Dieser fand heraus, dass einigermaßen glückliche Paare Spannungen nicht durch Verletzung und Verächtlichmachung, sondern durch Humor, Ablenkung, Zuneigung und Respekt lösen. Daraus erwächst auch Retzers Vorschlag, bei Streitereien die Wasserpistole zu zücken oder sich eine Clownsnase aufzusetzen. Die Probleme selbst beseitige man dadurch zwar nicht, aber darauf käme es auch gar nicht an, schreibt er. "Die Suche nach der Lösung von Problemen in Paarbeziehungen wird überschätzt beziehungsweise sitzt einer Illusion auf."

Überhaupt, was ist ein Problem? Der seltener werdende Sex zum Beispiel nicht, findet Retzer, der sich gegen jede Norm des Zeitgeistes wehrt. "Wer keinen Sex miteinander hat, kann wenigstens miteinander lachen", rät der Therapeut. Humor ist wichtiger als Sex, interessante These. Das lustige Zusammenleben mit einem Partner, dessen mit den Jahren kommenden Bierbauch oder Orangenhaut man akzeptiert und den man mit Indianergeheul um den Küchentisch jagt, wenn die Aggressionen kommen, das ist schon eine nette Vorstellung. Was aber, diese Frage drängt sich doch auf, machen wir zum Beispiel mit dem Reizthema Treue?

Retzer wird verdächtig pastoral, wenn er über das Vergeben philosophiert. Er empfiehlt, in der Langzeitehe nach Verletzungen nicht endlos auf die Begleichung der "Schuld" zu pochen. "Der Vergebende macht sich durch das Vergeben selbst das Geschenk der Freiheit. Er ist unabhängig vom Täter." Hm ja. So edel gestimmt ist nicht jeder. Aber "Ratschläge", das schreibt Retzer gleich zu Beginn, wolle er ja auch nicht unbedingt geben.

Letztlich ist es das Paradoxon der verrinnenden Zeit, das Langzeitlieben besonders macht: Mit der Dauer der Beziehung und dem Älterwerden schleift sich das Zusammenleben ein - und gleichzeitig schrumpft die Zeitspanne der verbleibenden Zukunft, wie jeder erfährt, in dessen Bekanntenkreis eine Langzeitliebe plötzlich durch schwere Erkrankung und Tod beendet wird. In der Langzeitehe müsse man "auf immer weniger Zukunft Rücksicht nehmen", meint Retzer. Diese Erkenntnis macht die verbleibenden gemeinsamen Jahre sehr kostbar. Vielleicht erlangen wir so tatsächlich "resignative Reife", wie der Psychotherapeut hofft. Ob mit oder ohne Clownsnase in der Schublade.

Arnold Retzer: "Lob der Vernunftehe - Eine Streitschrift für mehr Realismus in der Liebe". S. Fischer, Frankfurt/M. 2009, 304 S., 18,95 €

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