Familienforscher über Wachstumsgesetz: "Gezielt ist das nicht"

Der Bundestag verabschiedet das Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Für Familien wären andere Maßnahmen sinnvoller, sagt Familienforscher Bertram.

Ob die alleinige Erhöhung von Kindergeld und Freibeträgen für die Familienpolitik ausreichernd ist, bleibt fraglich. Bild: dpa

taz: Herr Bertram, die Regierung erhöht Kindergeld und Freibeträge. Ist das die Familienpolitik, die Sie sich erhoffen?

Hans Bertram: Es besteht ein gewisser Widerspruch zwischen diesen Maßnahmen und dem, was im Koalitionsvertrag angekündigt wird. Diese Leistung für die Familien hat ja vor allem das Ziel, den Konsum anzuregen. Familien stecken mehr Geld in den Konsum, insofern ist die finanzpolitische Logik richtig. Ursprünglich wollte die Koalition aber erst mal die familienpolitische Wirkung solcher Leistungen überprüfen, bevor sie weitere Aktivitäten beschließt. Das wäre meines Erachtens auch dringend nötig. Gezielt sind diese Maßnahmen nun nicht gerade.

Der von Ihnen mitverfasste Familienbericht fordert Zeit, Geld und Infrastruktur für die Familien. Das Geld wäre also jetzt schon mal da.

Hans Bertram ist Professor für Mikrosoziologie an der Humboldt-Uni Berlin. Er ist Mitverfasser des umfassenden "Familienberichts" der Bundesregierung, der familienpolitische Perspektiven entwirft.

Das war so nicht ganz gemeint. Zum einen sind Kindergeld und Freibeträge nicht zielgerichtet: Gerade die Durchschnittsfamilie mit ein oder zwei Kindern ist finanziell ausreichend ausgestattet, wohingegen etwa die Alleinerziehenden eine hohe Armutsgefährdung haben. Es wäre generell sinnvoller, die armen Kinder mit einer Grundsicherung zu unterstützen. Zum anderen haben wir ein großes Defizit bei der Infrastruktur. Die eigentliche Hauptherausforderung ist, in den nächsten Jahren den Kitaausbau voranzutreiben.

Sehen Sie den Ausbau der Kitas dadurch gefährdet, dass die Kommunen mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz nun auch weniger Steuern einnehmen werden ?

Die reichen Bundesländer werden kein Problem haben, die ärmeren wie Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein aber schon. Ich hätte die Prioritäten anders gesetzt.

Die Koalition streitet nun über ein Betreuungsgeld von 140 Euro für Eltern, die ihre Kleinkinder nicht in die Krippe schicken. Was halten Sie von dem Vorhaben?

Im Familienbericht haben wir für das finnische Modell votiert. Dieses Modell sieht in der Tat den Dreiklang von Elterngeld, Kitaplatz und Betreuungsgeld vor. Insofern ist das Betreuungsgeld konsequent. Aber wir brauchen natürlich zuerst die Infrastruktur, damit Eltern wirklich wählen können.

Die Befürchtung lautet, dass bildungsferne Eltern ihre Kinder dann nicht in die Kita bringen und Frauen mit dem Betreuungsgeld wieder lange aus dem Beruf aussteigen.

Wenn Sie allen Familien Gutscheine geben, die sie zum Beispiel in der lokalen Kita einlösen können, dann könnten auch arme Kommunen attraktivere Angebote machen. Das kann eine interessante Ergänzung zum Kitaausbau sein.

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