Streit um Hilfe für 15-jährige Serbin: "Schließen erzwungene Hochzeit aus"

Polizei und Jugendamt gehen davon aus, dass eine junge Hamburgerin nicht zur Ehe gezwungen wurde. Ihre Geschichte ist aber typisch für solche Fälle.

Polizei und Jugendamt sprechen nun von einer "angeblichen" Zwangsehe. (Symbolfoto) Bild: dpa

BERLIN taz | Die angebliche Zwangsheirat einer 15-jährigen Hamburger Gymnasiastin gibt weiter Rätsel auf. Der Polizei sagte sie, sie wolle freiwillig zu einer Familie in Berlin ziehen, aus deren Haus sie vergangene Woche befreit worden war. Polizei und Jugendamt sprechen nun von einer "angeblichen" Zwangsehe.

Die Jugendliche hatte am vergangenen Donnerstag aus dem Haus des angeblich vorbestimmten Ehemannes in Berlin einem Lehrer einen Hilferuf geschickt. "Ich komme hier nicht weg, ich werde eingeschlossen", hieß es offenbar in einer E-Mail. Daraufhin wurde sie von der Polizei befreit und zu ihren Eltern nach Hamburg gebracht. Eine Berliner Boulevardzeitung berichtete, dass am Wochenende dann die Zwangsheirat doch noch stattgefunden habe.

Der Polizei zufolge ist die Jugendliche Anfang der Woche wieder in Hamburg in der Schule gewesen. Sie wolle künftig bei der Familie in Berlin wohnen. Zu ihren Hilferufen an den Lehrer und einen Freund machte sie keine Angaben. "Am Wochenende soll ein Verlöbnis stattgefunden haben. Es haben sich keine Anhaltspunkte für ein Sexualdelikt ergeben", sagte ein Polizeisprecher. "Aus unserer Erfahrung hätte eine 15-Jährige es nicht verbergen können, wenn ihr etwas zugestoßen wäre. Irgendwann muss man ihr glauben."

Ähnlich äußerte sich auch das zuständige Jugendamt in Hamburg. "Wir können ausschließen, dass es am Wochenende eine erzwungene Hochzeit gab", sagte Jugenddezernentin Brigitte Samtleben der taz. Es habe mehrere lange Gespräche mit der Jugendlichen gegeben, auch ohne die Eltern. Dabei habe sie einen selbstbewussten Eindruck gemacht und darauf beharrt, dass sie zu nichts gezwungen werde. "Wir gehen davon aus, dass hier das Kindeswohl nicht gefährdet ist", so Samtleben. Eine Kinderschutzkoordinatorin spreche täglich mit der 15-Jährigen. Die Hamburger Staatsanwaltschaft prüft, ob sie wegen Verletzung der Fürsorgepflicht gegen die Eltern des Mädchens ermittelt.

Den Ablauf der Geschichte bewertete die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes als "nicht untypisch". "Ein solcher Rückzieher der jungen Frauen kommt häufig vor", sagte Myria Böhmecke, Leiterin des Referats "Gewalt im Namen der Ehre". "Obwohl es dringende Hilferufe gibt, können sich viele im letzten Augenblick doch nicht vorstellen, sich von der Familie zu trennen oder haben Angst, von dieser verfolgt zu werden. Es gibt dann kaum rechtliche Möglichkeiten, dem nachzugehen." Wichtig sei, dass das Jugendamt im Kontakt mit der 15-Jährigen bleibe.

Deutlichere Kritik kam hingegen von der integrationspolitischen Sprecherin der Grünen in Berlin, Canan Bayram. "Für mich ist die Sache glasklar: Die junge Frau befindet sich in einer Zwangslage", sagte Bayram der taz. "Sie hat nach dem Medienrummel jetzt wahrscheinlich das Gefühl, die Zukunft der Familie laste auf ihren Schultern." Sie müsse aus der Familie herausgeholt und betreut werden. "Nur mit ein wenig Abstand kann sie eine selbstständige Entscheidung treffen", so Bayram.

Für Deutschland gibt es keine belastbaren Zahlen zu der Verbreitung von Zwangsehen, Terre des Femmes geht aber von über 1.000 Fällen bundesweit aus. Ein typisches Muster seien Zwangsverheiratungen zwischen Deutschen mit Migrationshintergrund oder MigrantInnen. Dabei handelt es sich meist um Bezüge zu stark patriarchalisch geprägten Gesellschaften, darunter auch Serbien. Sowohl die 15-Jährige aus Hamburg als auch der 19-Jährige Berliner, in dessen Familie sie offenbar ziehen soll, haben einen serbischen Migrationshintergrund.

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