Countdown für den Herbst

SOZIALES Große Proteste gegen das Sparpaket gab es bisher nicht. Doch Gewerkschaften und soziale Bewegungen planen mit langfristig angelegten Konzepten einen heißen Herbst

„Die Leute werden merken, dass sie die Krise betrifft“

CHRISTOPH SCHMITZ, VER.DI-SPRECHER, ÜBER BEVORSTEHENDE PROTESTE

AUS BERLIN EVA VÖLPEL

Manch einer mag sich in den letzten Wochen gefragt haben, wo die Proteste gegen die sozialen Kürzungen bleiben. Doch sowohl bei der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di als auch der Industriegewerkschaft IG Metall glaubt man, dass sie noch kommen. „Im Frühjahr haben wir gedacht, es ist schwierig, für breite politische Proteste Anklang zu finden. Doch jetzt gibt es viele positive Rückmeldungen“, sagt Ver.di-Sprecher Christoph Schmitz. Tatsächlich haben alle acht Einzelgewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes den Startschuss für eine breit angelegte Herbstaktion gegeben.

Statt auf eine große Protestdemonstration, „deren Wirkung schnell wieder verpufft“, wie Schmitz erklärt, setzen die Gewerkschaften auf langfristige Aktionen. Sie sollen vom 26. Oktober bis zum 13. November in der ganzen Republik stattfinden – dann, wenn Sparpaket und Haushalt diskutiert und verabschiedet werden.

Auch wenn es am 13. November in einigen Städten Demonstrationen geben soll – „der Schwerpunkt der Aktivitäten wird in den Betrieben liegen“, informierte Ver.di-Chef Frank Bsirske in einem Brief Anfang Juli die Gewerkschafter von Ver.di. Auf Betriebs- und Personalversammlungen sollen drei Wochen lang die politischen Weichenstellungen der schwarz-gelben Regierung diskutiert, Alternativkonzepte vorgestellt werden. Ver.di konzentriert sich unter dem Motto „Gerecht geht anders“ auf die Themen Sparpaket und Steuerpolitik, die Rente mit 67, Gesundheitspolitik und die Finanzlage der Kommunen. Für die IG Metall wird auch das Thema Leiharbeit eine Rolle spielen. Die Diskussionen und Proteste sollen auch vor die Tore der Betriebe getragen werden. Da gebe es ja „das beliebte Instrument der kämpferischen Mittagspause“, sagt Schmitz.

„Die Leute müssen sich mit den Themen erst einmal auseinandersetzen“, erklärt IG Metall-Sprecher Jörg Köther die langfristig angelegte Strategie. In der Tat hat die Bundesregierung es mit ihrem Sparpaket bisher geschickt vermieden, Facharbeiter und Mittelschicht gegen sich aufzubringen. „Aber die Leute werden merken, dass sie die Krise betrifft“, ist sich Schmitz sicher. Er erwähnt die steigenden Gesundheitskosten. Vor allem aber die Finanznot der Kommunen. „Wenn Schwimmbäder oder Bibliotheken zumachen oder wenn die Jugendarbeit zusammengekürzt wird, dann merken das alle.“ Schmitz glaubt, dass über die kommunalpolitischen Fragen und die Proteste gegen die von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) geplante Streichung der Gewerbesteuereinnahmen für die Gemeinden „die breitesten Bündnisse hinzubekommen sind“.

Tatsächlich existieren und arbeiten bereits etliche solcher Bündnisse, darunter in München, Bochum, Herne, Leverkusen, Wuppertal, Köln, Bottrop oder Gelsenkirchen. „Wir ziehen da quer durch alle Parteien mit Bürgermeistern an einem Strang“, erzählt Schmitz.

Mehr Zusammenarbeit gibt es auch zwischen den Gewerkschaften und diversen linken Gruppen, Erwerbsloseninitiativen und Krisenbündnissen. „In den letzten zwei Jahren haben wir uns deutlich aufeinander zu bewegt“, sagt Alexis Passadakis vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac. Die sozialen Bewegungen wollen die Aktionswochen der Gewerkschaften unterstützen. Und Attac lotet derzeit aus, wie viele Mitstreiter man für den 29. September mobilisieren kann. An diesem Tag kommen in Brüssel die europäischen Finanzminister zusammen. Der Europäische Gewerkschaftsbund mobilisiert zu einem Protestmarsch in die belgische Hauptstadt, in Griechenland und Spanien sollen an diesem Tag Generalstreiks stattfinden.

Doch Attac und andere Gruppen bereiten für den 29. September einen „dezentralen Bankenaktionstag“ vor. Mit Mitteln des zivilen Ungehorsams sollen bundesweit 25 Banken besetzt und damit soll unter anderem für eine neue Finanzmarktregulierung protestiert werden.

Das Ende der Protestfahnenstange ist damit noch nicht erreicht. Für den Tag, an dem Haushalt und Sparpaket verabschiedet werden, plant das Bündnis „Wir zahlen nicht für eure Krise“, das im Juni in Berlin und Stuttgart jeweils rund 20.000 Menschen auf die Beine brachte, eine „Blockade“ oder „Umzingelung“ des Bundestags mit mehreren tausend Menschen.