Bildungssystem in Berlin: Schulreform unter Sparzwang

Die desolate Schulsituation in Berlin ist Wahlkampfthema. Der zuständige Senator Zöllner hat zwar fleißig reformiert, aber für die Umsetzung fehlt das Geld.

Schüler demonstrieren für bessere Schulen in Berlin. Bild: dpa

BERLIN taz | Kein Mathe, kein Physik, kein Chemie und weder Französisch noch Latein. Den SchülerInnen des Hermann-Hesse Gymnasiums im Berliner Multikulti-Bezirk Kreuzberg gefällt ihr neuer Stundenplan gar nicht so schlecht. Ihre Eltern sind jedoch weniger zufrieden.

Lehrermangel ist der Grund für den arg eingeschränkten Notstundenplan der Achtklässler - es ist eines der großen Probleme der Berliner Schulen. Zwar bildet Berlin viele LehrerInnen aus, doch ein erheblicher Teil wandert ab, da der hoch verschuldete Stadtstaat seine Lehrkräfte seit 2004 nicht mehr verbeamtet. Zudem haben die Schulen in keinem anderen Bundesland einen so schlechten Ruf.

Die Bildungspolitik ist deshalb auch eines der Top-Themen im Wahlkampf. Am 18. September wählen die Berliner, die Regierung aus SPD und Linkspartei bekäme derzeit keine Mehrheit. Befeuert wurde das Thema durch einen schon im Juni versandten, aber nun - just einen Monat vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus - öffentlich gewordenen Brief aus einer Berliner Schule.

Fünf Jahre nach dem SOS der Rütli-Schule, klagten die Lehrer der Sekundarschule "Heinrich-Mann" im gleichen Bezirk über die "geringe Lernbereitschaft" und "mangelnde Sprachkompetenz" von Schülern, sie verwiesen auf "zunehmende Respektlosigkeit und Gewaltbereitschaft gegenüber Mitschülern und Lehrern". Seit 2009 musste die Schule ohne Leiter auskommen.

Kein Wahlkampf in der Schule

Prompt kündigte sich die Grüne Spitzenkandidatin Renate Künast an. Schließlich tritt sie gegen den amtierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) an. Doch der neue Schulleiter Rudolf Kemmer wollte keinen Wahlkampf in seiner Schule: "Ich habe mich entschlossen, keine Parteien einzuladen."

So richtig zündet das Thema Problemschulen in Berlin bisher nicht. Zwar beklagt die Opposition die anhaltende Misere an Berliner Schulen, aber Tatenlosigkeit kann sie dem von SPD und Linkspartei geführten Senat nicht vorwerfen. Der 2006, im Jahr des Rütli-Brandbriefs, aus Rheinland-Pfalz abgeworbene Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD) hat im Rekordtempo eine Schulreform durchgeboxt und Hauptschulen, wie einst die Rütli-Schule, im Handstreich abgeschafft.

Solche rufgeschädigten Restschulen verschmolzen mit Real- und Gesamtschulen zu den neuen Integrierten Sekundarschulen, die Gymnasien blieben als eigenständige Schulart bestehen. Er sei "stolz auf das Erreichte", sagte Zöllner in einem Interview mit der taz: "Und ich glaube, ich habe nirgendwo verbrannte Erde hinterlassen."

Das ging selbst den eher linken Lehrerverbänden zu schnell. So hält Ulrich Thöne, Chef der mitgliederstärksten Lehrergewerkschaft, GEW, die Berliner Reformen für lediglich gutgemeint. "Es reicht nicht nur gute Ideen zu haben, mit dem Diktat der Kostenneutralität versaut man sich den schönsten Neubeginn." Thöne verweist darauf, dass die neuen Sekundarschulen mit viel zu wenig Personal auskommen müssen.

Sie sollen bisher benachteiligte Schüler zu höheren Abschlüssen führen und gleichzeitig auch leistungsstarken Schüler gerecht werden. Nicht nur die Heinrich-Mann-Schule sieht sich an der Grenze der Belastbarkeit.

Zöllners "Reformwut" habe an der Misere der Berliner Schulen nichts geändert, sagt Mieke Senftleben, bildungspolitische Sprecherin der FDP im Berliner Abgeordnetenhaus. Doch bei allem Gemecker: Die Bildungsreform des rot-roten Senats will im Grunde niemand ernsthaft rückgängig machen - ebenso wenig wie die Kostenfreiheit für die letzten drei Kitajahre.

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