Streit um Renten für NS-Opfer: "Das ist eine große Ungerechtigkeit"

Das Bundessozialgericht begrenzt die rückwirkende Zahlung von Renten an ArbeiterInnen aus den jüdischen Ghettos. Grüne und Linke fordern Korrekturen.

Juden im Warschauer Ghetto, Frühjahr 1943. Bild: ap

KARLSRUHE taz | Die Kette der Peinlichkeiten reißt nicht ab. Zwar sollen NS-Opfer, die während des Zweiten Weltkriegs in jüdischen Ghettos arbeiten mussten, heute Rente bekommen, das hat der Bundestag schon 2002 beschlossen. Aber ständig geht mit der Umsetzung des Gesetzes etwas schief.

Diese Woche entschied nun das Bundessozialgericht, dass die Ghettorenten in den meisten Fällen erst ab 2005 und nicht, wie ursprünglich geplant, ab 1997 bezahlt werden müssen. Linke und Grüne forderten den Bundestag umgehend zur Nachbesserung auf. "Ich bin stinksauer", sagte Volker Beck (Grüne). "Das ist eine große Ungerechtigkeit", betonte Ulla Jelpke (Linke).

Die Diskussion begann 1997 mit einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG). Die Richter entschieden in einem Fall aus dem Ghetto Lodz, dass die Klägerin aufgrund ihrer Tätigkeit im Ghetto Rentenansprüche in Deutschland erworben hat. In der Folge wurde Ghettoarbeit bei der Entschädigung von Zwangsarbeitern ausgenommen.

2002 beschloss der Bundestag dann tatsächlich einstimmig ein Gesetz, das die Auszahlung von Renten an Ghettoarbeiter ermöglicht. Die Rente sollte ab 1997 - dem Jahr des wegweisenden BSG-Urteils – ausgezahlt werden.

90 Prozent der Rentenanträge abgelehnt

In der Folgezeit gingen rund 70.000 Anträge aus aller Welt bei der Deutschen Rentenversicherung ein. Doch nur 5.000 Anträge wurden akzeptiert, mehr als 90 Prozent der Antragsteller erhielten negative Bescheide. Sie hätten keine versicherungspflichtige Tätigkeit nachweisen können, argumentierte die Deutsche Rentenversicherung. Die Opferverbände waren über diesen Standpunkt empört. Die deutschen Behörden hätten völlig falsche Vorstellungen vom Leben in einem Ghetto, protestierten sie. Die schwarz-rote Bundesregierung konterte 2006 und bescheinigte den Opfern Unkenntnis der Rechtslage.

Den Durchbruch brachte wieder das Bundessozialgericht. 2009 entschied es, dass das Ghettorentengesetz bisher zu streng ausgelegt worden sei. Als Arbeit "gegen Entgelt" genüge auch die Bezahlung mit Lebensmitteln, die im Ghetto oft wichtiger waren als Bargeld. Auch an die "Freiwilligkeit" der Leistung wurden nun deutlich niedrigere Anforderungen gestellt.

Die abgelehnten Anträge wurden von der Rentenversicherung nun noch einmal übergeprüft, und, siehe da, immerhin 25.000 weitere ehemalige Ghettoarbeiter erhalten nun doch eine kleine monatliche Rente von im Schnitt 200 Euro. In 10.000 Fällen gelang allerdings keine Kontaktaufnahme mehr, und 7.000 Antragsteller waren in der Zwischenzeit verstorben.

Bürokratie statt Fingerspitzengefühl

Allerdings bekommen die meisten anerkannten Ghettorentner ihre Renten nicht ab 1997 nachgezahlt, sondern nur ab 2005. Sie hatten nämlich ihren ersten, rechtswidrigen Rentenbescheid nicht angefochten, sodass er rechtskräftig wurde. In solchen Fällen ist laut Sozialgesetzbuch eine rückwirkende Zahlung auf vier Jahre beschränkt.

Wie das Bundessozialgericht diese Woche entschied, gelten die üblichen Regeln auch bei dieser besonders sensiblen Materie. Die Abgeordnete Jelpke sieht das nicht ein: "Es wäre eine Verhöhnung der Opfer, wenn wir sie auch noch für unsere Fehler haften lassen."

Die Linke hat bereits einen Antrag im Bundestag gestellt, die vierjährige Rückwirkungsgrenze im Fall der vorenthaltenen Ghettorenten aufzuheben. Im Januar hat der Bundestag darüber beraten. Dabei gab der zuständige CDU-Abgeordnete Peter Weiß zu bedenken, dass eine Nachzahlung ab 2005 die Rentenversicherung bereits mit 500 Millionen Euro belaste, eine Nachzahlung ab 1997 aber sogar eine zusätzliche Milliarde kosten würde.

Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) will nun erst auf die schriftliche Begründung der BSG-Urteile warten und dann politische Schlüsse ziehen. Die Berliner Rechtsanwältin Simona Reppenhagen will die Politik mit einer Verfassungsbeschwerde unter Druck setzen.

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