„Nationaler Krebsplan“ soll mehr Leben retten

MEDIZIN Immer mehr Menschen bekommen Krebs. Aber immer mehr leben heute mit der Krankheit

■ Die Idee: Krebsvorsorge soll ähnlich gehandhabt werden wie Zahnvorsorge. Das fordert der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Jens Spahn: „Bei der Zahnvorsorge haben wir es hingekriegt, dass, wer hingeht, Geld spart.“ Über ähnliche Anreize sei bei der Krebsvorsorge nachzudenken.

■ Die Rechtslage: Jüngere Versicherte müssen sich seit 2008 einmalig ärztlich über Krebsvorsorge beraten lassen, um im Fall einer späteren chronischen Erkrankung nur Zuzahlungen bis zu 1 Prozent ihres Haushaltseinkommens leisten zu müssen. Andernfalls gilt die allgemeine Belastungsobergrenze von 2 Prozent.

■ Die Praxis: Krankenkassen kritisieren Einladungen zum Krebs-Screening über den Arzt als schwierig, da so nur diejenigen erreicht würden, die ohnehin beim Arzt sind. Effektiver wäre ein organisiertes Screening analog zur Mammografie. (hh)

BERLIN taz | Das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin rechnet in diesem Jahr mit 490.000 neuen KrebspatientInnen – 2008 gab es noch 470.000 Neuerkrankungen. Auch die Zahl der Menschen, die an Krebs sterben, steigt: 1980 war es jeder fünfte, heute es ist jeder vierte. Andererseits leben derzeit etwa 1,4 Millionen Menschen mit Krebs, manche jahrelang – dank frühzeitiger Diagnosen und passender Therapien.

Krebsfrüherkennung und Krebsvorsorge werden wichtiger, mahnte Klaus Kraywinkel vom Zentrum für Krebsregisterdaten am RKI anlässlich des Deutschen Krebskongresses, der bis Freitag in Berlin stattfindet. Hauptgrund der steigenden Krebszahlen: Es gibt immer mehr ältere Menschen, die daran erkranken.

Darüber hinaus decken Vorsorgeuntersuchungen wie das Mammografie- und das Hautkrebsscreening immer mehr Fälle auf – und das schon in einem Stadium, in dem Heilung möglich ist. Manche Früherkennungsprogramme sind freiwillig, aber gesetzlich vorgesehen, darunter jene für Gebärmutterhals-, Darm-, Brust- und Prostatakrebs. Frauen erkranken am häufigsten an Brust-, Männer an Prostatakrebs.

Krebs ist dabei nicht gleich Krebs, Hautkrebs muss anders behandelt werden als Speiseröhren- und Lungenkrebs. Das wissen nicht nur die PatientInnen, die individuell behandelt werden möchten, das haben in den vergangenen Jahren auch viele MedizinerInnen erkannt. Daher haben Organisationen wie die Deutsche Krebsgesellschaft und die Deutsche Krebshilfe zusammen mit dem Gesundheitsministerium und den Krankenkassen vor vier Jahren den Nationalen Krebsplan ins Leben gerufen: Der soll dafür sorgen, dass PatientInnen so versorgt werden, wie es für sie am besten ist.

Darüber hinaus soll er Daten sammeln und auswerten – etwa zu Früherkennung und Vorsorge, zur Qualität von Behandlungen und zu onkologischen Medikamenten. Jetzt soll der Krebsplan „verfeinert“ werden: Medizinische Forschungsergebnisse sollen mit der Versorgungsrealität von PatientInnen in Einklang gebracht werden, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Anders ausgedrückt: Es wird zwar viel geforscht. Aber es ist kaum bekannt, welche Therapien bei welchen PatientInnen wie wirken. Auch das bundesweite Krebsregister, das noch in diesem Jahr kommen soll, will hier zusätzliche Zahlen liefern.

„Manchmal wird überdiagnostiziert und übertherapiert“

PETER ALBERS, ARZT

Dass viel nicht in jedem Fall viel hilft, weiß auch Peter Albers. Der Direktor der Chirurgischen Klinik des Universitätsklinikums Erlangen warnt vor zu viel Aktionismus bei der Früherkennung: „Manchmal wird überdiagnostiziert und übertherapiert.“ Damit meinte der Präsident des diesjährigen Krebskongresses, dass „manche gesunde Menschen zu kranken gemacht“ werden. „Wir sollten uns mehr um die Risikogruppen kümmern“, fordert Albers. Änderungen sollte es zudem bei der Zulassung von Medikamenten geben, meinte Wolf-Dieter Ludwig, Chef der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Mitunter vergingen bis zu acht Jahre zwischen Zulassung und Begleitforschung. Ludwig rät dazu, Studien unmittelbar nach deren Zulassung eines Medikaments zu beginnen. SIMONE SCHMOLLACK