„Ich halte keine Vorträge für die Industrie“

WISSENSCHAFT Der Mediziner Klaus Lieb kritisiert den Einfluss der Wirtschaft auf die Forschung – und wurde dafür ausgezeichnet. Kooperationen wie die der Uni Köln mit Bayer hält er aber nicht per se für falsch

■ Der Professor leitet die Klinik für Psychiatrie an der Uni Mainz. Der Deutsche Hochschulverband wählte ihn nun zum Hochschullehrer des Jahres 2012.

taz: Herr Lieb, der Deutsche Hochschulverband hat Sie kürzlich wegen Ihres Einsatzes gegen den Einfluss von Pharmafirmen auf die universitäre Forschung als „Hochschullehrer des Jahres“ ausgezeichnet. Waren Sie überrascht?

Klaus Lieb: Es freut mich, dass das Thema mehr Aufmerksamkeit erfährt. Viele Wissenschaftler sind blind gegenüber ihrer eigenen Beeinflussbarkeit.

Sie sprechen aus Erfahrung?

Natürlich, denn niemand ist frei von Interessenkonflikten. Um den Einfluss zu reduzieren, nehme ich aber persönlich seit 2007 gar keine Gelder mehr an von der Industrie. Als Oberarzt bekommt man schnell ein üppiges Vortragshonorar von mindestens 1.000 Euro für eine Dreiviertelstunde, als Professor sogar mehr. Ich habe gemerkt, dass ich seither viel freier bin – und damit der Wissenschaft und dem Patienten besser dienen kann.

In den Leitlinien Ihrer Klinik heißt es, Forschungskooperationen müssten „klar und transparent“ sein. Verschrecken Sie damit potenzielle Partner?

Wir gehören nicht zu den Lieblingskliniken der Pharmabranche. Auf der anderen Seite hat die Industrie gemerkt, dass wir bei unseren Studien professionell arbeiten. Das wird honoriert.

Die ganz Großen kommen aber nicht mehr auf Sie zu, oder?

Doch, auch die. Aber unser Wunsch nach Unabhängigkeit ist nicht immer gern gesehen.

Wie sehen Forschungskooperationen mit Firmen aus?

Es gibt verschiedene Arten. Bei Studien der Pharmaindustrie, in denen etwa ein Medikament an einer großen Patientengruppe getestet wird und wir nur einen Teil der Daten zuliefern, ist unser Einfluss gering. Wir wissen nicht, was mit den Daten passiert und können nicht beeinflussen, mit welcher Interpretation die Ergebnisse veröffentlicht werden. Das ist nicht ideal. Nur wenn wir glauben, dass eine solche Studie dem Patienten wirklich nutzt, nehmen wir daran teil. Daneben gibt es von uns initiierte Forschungsprojekte mit einzelnen Firmen. Da versuchen wir natürlich, unsere Unabhängigkeit durchzufechten.

Warum kooperieren Sie überhaupt mit Pharmafirmen?

Ich bin kein Feind der Pharmaindustrie. Die Forschung, die die Firmen initiieren, ist qualitativ oft sehr gut, und natürlich hat die Industrie viele gute Medikamente entwickelt. Aber die Pharmaindustrie verzerrt die Interpretation der Ergebnisse häufig zugunsten ihres Medikaments. Gegen so etwas sollte sich eine Uni wappnen.

Die Uni Köln hat am Donnerstag vor Gericht erstritten, dass sie einen Kooperationsvertrag mit Bayer weiter als Verschlusssache behandeln darf. Richtig?

Ich kenne die Einzelheiten nicht. Aber natürlich ist es ein Interessenkonflikt, wenn eine Hochschule mit einer Pharmafirma einen Kooperationsvertrag hat. An sich ist das erst mal kein Problem. Es muss aber transparent und nachprüfbar sein: Zu welchem Anteil hat die Firma Patentrechte an den erforschten Medikamenten, zu welchem Anteil die Uni? Wer entscheidet, welche Ergebnisse publiziert werden? Man muss nicht jedes Detail eines Vertrags offenlegen. Aber solche Fragen dürfen kein Geheimnis sein.

Ist Köln ein Einzelfall?

Nein. Das Bewusstsein für Transparenz ist insgesamt noch sehr gering ausgeprägt.

Als „Hochschullehrer des Jahres“ winken Ihnen 10.000 Euro Preisgeld. Was machen Sie mit diesem Geld?

Das möchte ich einsetzen, um meiner Frau einen schönen Pelzmantel zu kaufen.

Ernsthaft?

Ach was. Ich möchte das Geld in Forschungen über Interessenkonflikte in der Wissenschaft stecken. INTERVIEW: BERND KRAMER