„Minijobber sind unser Flexibilitätspotenzial“

ARBEITGEBER II Geringfügig Beschäftigte sind für den Einzelhandel unverzichtbar, sagt Heribert Jöris

■ Der 49-jährige Rechtsanwalt und Tarifexperte ist seit 2002 Geschäftsführer beim Handelsverband Deutschland (HDE) und dort zuständig für die Themen Recht, Bildung und Arbeit.

taz: Herr Jöris, Minijobs sind umstritten, und mancher Experte moniert, dass der Einzelhandel besonders viele MinijobberInnen beschäftigt. Werden Sie zu Recht angegriffen?

Heribert Jöris: Nein. Minijobs werden ausgeübt, weil die Beschäftigten das möchten. Eine neue Studie der Bundesagentur für Arbeit zeigt: Nur ein Viertel der Minijobber sucht eine umfangreichere Tätigkeit. Man muss das schlechte Image der Jobs korrigieren, sie sind oft eine Brücke in andere Beschäftigungsformen.

Ein Viertel ist nicht wenig. Warum setzt der Einzelhandel so viele MinijobberInnen ein?

Sie sind unser Flexibilitätspotenzial. Wir haben einen sehr unterschiedlichen Arbeitsanfall, weil die Kundenströme im Einzelhandel am Tag und in der Woche sehr schwanken. Minijobber decken im Regelfall die Spitzenzeiten ab.

Sie bekommen aber auch besonders niedrige Stundenlöhne, denn der Lohn ist nach oben begrenzt, die Arbeitszeit nicht. Nutzt der Einzelhandel die Jobs zum Lohndumping?

Das sollte er nicht tun. Ich schließe aber nicht aus, dass es so etwas in Einzelfällen gibt. Es existiert eine einfache Erklärung für die niedrigeren Stundenlöhne: Beschäftigte üben häufig nur drei oder vier Jahre einen Minijob aus. Aber die Tarifgehälter im Einzelhandel steigen erst dann deutlich an, wenn man längerfristig eine Tätigkeit ausübt.

Den MinijobberInnen werden häufig auch Leistungen wie bezahlter Urlaub oder die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall unterschlagen.

Das ist klar rechtswidrig und darf nicht vorkommen.

Jede dritte der insgesamt 3 Millionen Stellen im Einzelhandel ist mittlerweile ein Minijob. Sie sagen trotzdem, andere sozialversicherungspflichtige Stellen werden nicht verdrängt?

Das sage nicht nur ich, das sagen auch zwei aktuelle neue Studien, unter anderem der Branchenreport des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung. Wir beobachten vielmehr, dass sowohl die Minijobs als auch andere sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse in Voll- und Teilzeit über die letzten Jahre gewachsen sind. Und seit knapp einem Jahr geht die Anzahl der Minijobs im Einzelhandel sogar zurück.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sagt in einer anderen Studie Ende 2012 aber auch: Im Einzelhandel gibt es sehr wohl Anzeichen für eine Verdrängung.

Ja, da steht nun Studie gegen Studie, von zwei unterschiedlichen WissenschaftlerInnen.

Sie sehen also keinen Reformbedarf?

Es hat ja Reformen gegeben. MinijobberInnen zahlen jetzt automatisch in die gesetzliche Rentenkasse ein – oder sie müssen das explizit ablehnen. Das ist eine Verbesserung.

Das ist bei maximal 450 Euro Lohn im Monat auch kein Rezept gegen Altersarmut.

Stimmt. Aber MinijobberInnen haben so zumindest Ansprüche auf Reha-Leistungen der Rentenkasse. Und sie sammeln bei der Rentenkasse Beitragszeiten an. Das ist immens wichtig.

INTERVIEW: EVA VÖLPEL