Mehrkosten für Versicherte

KRANKENKASSEN Die Kopfpauschale wird abgeschafft, der gesetzliche Beitragssatz sinkt. Reformverlierer sind dennoch die Arbeitnehmer

Was aussieht wie eine Beitragssenkung, ist wohl nur eine kurzfristige Entlastung

VON HEIKE HAARHOFF

BERLIN taz | Die gesetzlichen Krankenkassen dürfen den Beitragssatz für Versicherte ab 2015 wieder stärker selbst festlegen. Das hat die schwarz-rote Bundesregierung am Mittwoch in Berlin beschlossen und damit die Reform zur Finanzierung der Krankenversicherung eingeleitet.

Der gesetzlich festgelegte Beitragssatz, betonte der Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), werde zum 1. Januar 2015 von bisher 15,5 auf 14,6 Prozent des Bruttolohns sinken. Dieser neue Satz werde hälftig von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert; der bisherige Sonderbeitrag von 0,9 Prozent zu Lasten der Versicherten entfalle. Auch werde es künftig keine Kopfpauschalen, also einkommensunabhängige Zusatzbeiträge, mehr geben.

Doch was aussieht wie eine anständige Beitragssenkung, bringt den Versicherten vermutlich nur eine kurzfristige Entlastung, befürchten Gesundheitsökonomen, Kassen und Sozialverbände. Der Grund: Kommen die Kassen mit dem gesetzlichen Beitragssatz nicht aus, dann müssen künftig sämtliche Mehrkosten einzig von den Versicherten getragen werden – zwar nicht mehr über „das gescheiterte Experiment der Kopfpauschalen“, wie die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Hilde Mattheis, lobte, aber eben doch über Zusatzbeiträge. Diese sollen nunmehr einkommensabhängig erhoben werden – ohne Deckelung durch eine persönliche Belastungsgrenze.

Die Arbeitgeber dagegen sollen nicht stärker belastet werden – ihr Anteil bleibt bei 7,3 Prozent eingefroren. Alles andere schade der Wirtschaft, so Gröhe. Wie sich die Belastung für die Versicherten entwickeln werde, werde sich erst im Herbst entscheiden, wenn die Kassen ihre Haushalte aufstellen, sagte die Chefin des Kassen-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer. Derzeit ruhen die Kassen auf einem Finanzpolster von gut 30 Milliarden Euro; die Regierung prognostiziert jedoch Defizite ab 2017 aufgrund steigender Ausgaben für Kliniken, Medikamente und Ärzte. Gröhe sagte, die Versicherten hätten bei etwaigen Beitragserhöhungen ein Sonderkündigungsrecht und könnten zu einer günstigeren Kasse wechseln. Dies stärke den Wettbewerb, sagte der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn.

Der Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem geht davon aus, dass der Zusatzbeitrag nach dem Reformstart 2015 zunächst unter 0,9 Prozent liegen wird. Ab 2016 aber werde der Zusatzbeitrag jedes Jahr um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte steigen. Finanzstarke Kassen könnten dies durch Rücklagen abfedern. Ihre Möglichkeit, Prämien auszuschütten, entfällt. 8 Millionen Kassenmitglieder bekamen 2013 und 2014 eine Erstattung.

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