Musikverkauf im Internet: "Bezahlt wirst du im Club"

Sound und Diskurs treffen sich derzeit im Club Transmediale in Berlin. Netzlabel-Macher diskutieren, wie Musiker das Internet besser zum Verkaufen nutzen können.

Trotz Internet verdienen viele Musiker erst über Live-Auftritte. Bild: dpa

"Noch ist die Party nicht vorüber, obwohl sie ihrem Ende in den letzten beiden Jahren mächtig nahe gekommen ist." Solche Aussagen aus dem Popbetrieb hört man derzeit in Berlin. Man hört sie ständig bei den Betriebstreffen, die kein Ende nehmen wollen.

Vorletzte Woche begannen sie mit dem Kongress im HAU unter dem Titel "Dancing with myself", langsam erreicht der Club Transmediale seinen Höhepunkt, und im Februar wird eine Veranstaltung im Haus der Kulturen der Welt über Verarmungstendenzen bei Musikschaffenden informieren. Doch das Zitat stammt nicht von heute, sondern von Lester Bangs, dem Rockjournalisten, der schon 1971 in einer seiner endlosen Tiraden für die Undergroundzeitung Creem das Verschwinden seines geliebten Schmuddelrocks befürchtete. Jammern und Räsonieren begleitet demnach die Popmusik, seit sie als Versprechen und Wunschmaschine angetreten ist.

Und doch ist es bestürzend, wie sehr da gerade schwarzgemalt wird, ohne dass irgendjemand einen Weg aus aus der Misere wüsste. Bei "Dancing with Myself" wurde das Bild des Popinteressierten als sozial verwahrlostem Konsumenten gezeichnet, der keine Öffentlichkeit mehr außerhalb des Internets finde, mit der er sein Wissen und seinen Geschmack rückkoppeln könne. Und auch beim Club Transmediale knallen nicht gerade die Sektkorken, obwohl es ein zehnjähriges Jubiläum zu feiern gäbe.

Der thematische Überbau dieses Jahr beim "Festival für abenteuerliche Musik" nennt sich "Structures". Unter diesem Schlagwort soll untersucht werden, wie in Zeiten kostenloser Downloads und angeblich abnehmender Relevanz von Popmusik an sich überhaupt noch subkulturelle Randexistenzen erhalten werden können.

Nebenbei befragt sich das Festival so in gewisser Weise auch selbst. Denn nicht nur die Musikindustrie, deren Aufgabe es ist, am Fließband Popstars zu basteln, ist im Niedergang, auch die Klitschenökonomie rund um experimentelle und elektronische Musik, der sich der Club Transmediale von Anfang an verschrieben hat, kriselt gehörig. Vertriebe brechen weg, Kleinstlabels setzen keine Platten mehr in vernünftigen Stückzahlen ab. Und so geistert eine fast schon unerhörte Frage durch die Festivalhallen: Braucht das alles eigentlich überhaupt noch jemand? Viel mehr als Selbstvergewisserung scheint so ein subkulturelles "Come together" ja nicht mehr zu sein, ein hörbares Knirschen im Gebälk des Kulturbetriebs schon gleich gar nicht.

Fast schon verzweifelt wirkt da der Versuch, alle nur erdenklichen Formen von Bindestrich-Musik zusammenzutragen. Bassmusik aus Lateinamerika, futuristischer Dubstep, obskure Blackmetal-Verarbeitungen, alles ist wieder da. Doch wenn es stimmt, dass sich heute jeder wieder seine kleine Nische sucht: Wo soll dann noch das ehrliche Bedürfnis nach einem Aneinanderreiben verschiedener Subkulturen entstehen? Wo Musik an Wert verloren hat, was man allein schon daran sehe, dass immer weniger bereit seien, für diese auch Geld zu bezahlen, so eines der Argumente seitens der Jammerfraktion, da wird auch Abgrenzung oder das Gegenteil, grenzenlose musikalische Offenheit als Haltung, immer unwichtiger. Distinktion durch Pop, das scheint eine identitätsbildende Praxis von gestern zu sein.

Den Schwarzen Peter als Schuldiger für die ganze Misere hat das Internet gezogen. Was einigermaßen erstaunlich ist, weil ja gerade das Internet die Ausbreitung von Nischenökonomien weiter voranbrachte und die "elektronischen Lebensaspekte", wie das die Musik- und Technikzeitschrift De:Bug nennt, in dieser Szene immer ein positiv besetzter Begriff war.

Wie ein geheimnisvoller Organismus erscheint das Internet dieser Tage nun aber, wie etwas, das gibt, aber auch wieder nimmt, etwas, das Fluch und Segen zugleich ist. Diesen Organismus zu verstehen, das scheint für die Vertreter von Nischenökonomien bei ihrem Überlebenskampf wichtiger denn je zu sein. Paradigmatisch dafür sind die Erfahrungen, die am Dienstag bei einem Panel über Netzlabels ausgetauscht wurden.

Netzlabels sind vor allem im Feld der elektronischen Musik vor ein paar Jahren als Graswurzelplattformen aufgekommen. Sie entstanden aus Enthusiasmus und Begeisterung Einzelner für die Musik, und ihre Grundidee widerspricht der These, dass die kulturelle Wertigkeit von Musik auch an ihren Marktwert gekoppelt werden muss. Denn Netzlabels bieten im Allgemeinen ihre Musik kostenlos zum Downloaden an, die Kosten für aufwendig produzierte und vertriebene Tonträger fallen weg. "Das hat sich in den letzten zwei Jahren rasant geändert", sagt Thaddeus Herrmann, Redakteur der De:Bug. Bei immer mehr Netzlabels spielten ökonomische Gedanken inzwischen durchaus eine Rolle.

Zunehmend scheint auch die Grenze zwischen herkömmlichen Labels und Netzlabels zu verschwimmen. Herkömmliche Labels machen kein Geld mehr mit physischen Tonträgern, sie versuchen es also mit Download-Angeboten, umgekehrt lassen Netzlabels bei Bedarf Vinyl pressen. Im Netz schnell und kostengünstig auf die sich dauernd verändernden Konsumentengewohnheiten zu reagieren, scheint also eine Strategie raus aus dem Jammertal zu sein.

Auch ohne direkt bezahlt zu werden, so waren sich der Technoproduzent und Netzlabel-Betreiber Stewart Walker und die anderen auf dem Panel einig, würden Netzlabels ökonomisch sogar etwas bringen. Denn sie schaffen Öffentlichkeit und Präsenz. Diese aber seien das Pfund, mit der auch der Produzent von kostenlos vertriebener Musik wuchern könne, um seine DJ-Gagen oder die Bezahlung für Live-Auftritte nach oben zu treiben. "Bezahlt", so die Erkenntnis, "wirst du dann letztlich im Club". Noch ist die Party also tatsächlich nicht vorüber.

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