Träumereien, zu denen ein Bremer Vorort zwingt

Zusammen mit Germar Grimsen hat Sven Regener ein schönes, kleines Buch geschrieben: ein Drehbuch zu einem Film, der nicht zu verwirklichen ist

Dieweil alle ihn verhöhnen, Vater und Mutter vorweg, flüchtet sich Eckhart in Träumereien. Zugleich will er bedeutsam sein

Im Herbst 1997 begann die zweite Karriere. Sven Regener, der damals überhaupt nicht mehr unbekannte Sänger der überhaupt nicht mehr unbekannten Band Element of Crime, überließ der Zeitschrift Salmoxisbote, die der – laut Selbstauskunft – „gescheiterte Antiquar“ Germar Grimsen alle drei Monate in einer Auflage von 100 Exemplaren herausgab, eine Geschichte, in der ein von den Leuten „Herr Lehmann“ gerufener Frank Lehmann einem Hund begegnet. Der Rest ist bekannt. Herr Lehmann hat einen Lebensroman bekommen, der zu einem Bestseller und verfilmt wurde, anschließend bekam Herr Lehmann, ebenfalls erfolgreich, noch eine Vorgeschichte verpasst, die vielleicht ja auch noch verfilmt wird.

Und Sven Regener ist zu einem bekannten Schriftsteller geworden, für den das Feuilleton keine Worte hat. Während die einen im Roman „Herr Lehmann“ ein „freundliches, leichtes und gekonnt belangloses Buch“ erblickten, flüchteten sich andere zu dem Ausdruck „hohe Komik“, der immer dann fällt, wenn ein lustiges Buch den Rezensenten doch nicht geheuer ist. Komik und Literatur können in Deutschland nicht zusammen gedacht werden, das Diktum von der „Tiefe“ zwingt die deutschen Literaturbeurteiler bis heute, ihr Lachen zu reglementieren.

Nun erscheint „Angulus Durus“, ein Buch, das ein Drehbuch für „einen Katastrophenfilm“ sein soll, und als Autoren treffen wir neben Regener auf Grimsen, der mal mit, mal ohne Regener-Texte seinen Salmoxisboten redigierte und immerhin acht Jahre lang publizierte (salmoxisbote.de). Die kleine Zeitschrift pflegte einen Obskurantismus, der heutzutage selten geworden ist. Verrückte Kassiber wurden neben Lyrik gedruckt, ernste und unernste Texte von Kierkegaard, Wolfgang Koeppen oder Platon, kurz, das Heft erlaubt seinen Lesern eine schöne Spinnerei.

Ebenso ist „Angulus Durus“ eine schöne Spinnerei. In diesem „Drehbuch“ für einen Film, der nicht zu verwirklichen ist, weil er zugleich aufwändig produziert und spannungsarm sein müsste, schildert der „lächerliche Mensch“ Eckhart seinen Irrweg durch einen langweiligen Bremer Vorort. Dieweil alle, sein Vater und seine Mutter vorneweg, ihn verhöhnen, flüchtet sich dieser Mensch in Träumereien. Zugleich will er bedeutsam sein; gerade mit seinen merkwürdigen Schilderungen eines wegen – kein Witz – Nutella-Verzehrs untergegangenen Paradieses will er die Aufmerksamkeit derer erregen, deren Verachtung er fürchtet. Man könnte dem Buch eine große Aussage, sogar eine Moral nachsagen, doch das träfe nicht recht. Eckhart ist ein lächerlicher Mensch und bleibt es, lediglich die ihn verachtenden Vorortnormalos werden peu à peu ebenfalls der Lächerlichkeit preisgegeben.

Der Spaß, den dieses Buch bereitet, liegt in den Dialogen. „Was wollen wir? – Nichts. Reden“, heißt es auf dem Buchdeckel. Nichts anderes wird getan, und Regener und Grimsen, die beide ihren schönen, ruhigen Humor beweisen, der sich nur selten zu Kalauern hinreißen lässt, lassen ihre Leute reden, wie sie reden. Das ist alles. Das ist angenehm. JÖRG SUNDERMEIER

Germar Grimsen, Sven Regener: „Angulus Durus“. Eichborn Berlin, Berlin 2006, 176 Seiten, 17,90 €