Inflation der Dampfer

Sie sammelt seit 1978 und hat schon 5.000 Stück beisammen: 1.000 Schiffspostkarten hat Dorothée Bouchard für die Ausstellung „Kollektives Schiffspostkartenmuseum“ zusammengetragen. Garniert mit Gedichten und Prosa, die von Sehnsucht und Seekrankheit handeln

INTERVIEW: PETRA SCHELLEN

taz: Frau Bouchard, wie haben Sie Ihre Sammlung begonnen?

Dorothée Bouchard: Ich habe 1978 eine Jahresgabe für den Düsseldorfer Kunstverein gemacht: eine Radierung in Form eines Briefkastens. Beigefügt hatte ich eine Schiffspostkarte mit der Bitte um Zusendung einer anderen Schiffspostkarte. Von da an bekam ich Schiffe. Die regneten mir geradezu ins Haus.

Was reizt Sie am Schiffsmotiv?

Zum einen komme ich aus Hamburg, da kann also Nostalgie mitgespielt haben. Andererseits wollte ich ein Thema wählen, das für jeden zugänglich ist.

Was wollten Sie denn mit den Karten anfangen?

Ursprünglich gar nichts. Es war ein Experiment, von dem ich nicht wusste, ob es funktionieren würde.

Nur zum Vergnügen also…

Es ging ursprünglich darum, dass die Käufer meiner Kunst – ich bin eigentlich Grafikerin – auch etwas machten. Außerdem wollte ich ein kollektives Kunstwerk schaffen, das klare strukturelle Vorgaben hat: das Motiv und das Format. Und im Nachhinein ergibt meine Sammlung durchaus ein Bild einer Gesellschaft.

Welches? Versteht sich die Ausstellung als historischer Abriss?

Historischer Abriss – das klingt ein bisschen zu anspruchsvoll. Der Aufwertung des belächelten Mediums Postkarte dient diese Ausstellung aber durchaus. Abgesehen davon war ich sehr erstaunt über die Vielfalt dieser Karten. Die Einsender – wie auch das Publikum – setzen sich zusammen aus einfachen Leuten und Intellektuellen. Jeder kann hier „sein Schiff“ finden – der Segler wie der Kunsthistoriker. Ich würde sagen, meine Ausstellung ist Unterhaltung im besten Sinne.

Unter den Exponaten sind auch historische Postkarten. Wie alt sind die?

Wie alt die ältesten sind, weiß ich nicht. Postkarten gibt es ja seit 1869, und die hohe Zeit der Postkarten war ja um 1910. Aus dieser Epoche habe ich sehr viele bekommen – zum Beispiel sehr schöne alte Karten aus New York.

Was verbinden Sie persönlich mit dem Schiff? Die Möglichkeit zur Flucht?

Zur Flucht oder Veränderung in der Zeit. Die Menschen verbinden mit dem Schiff ja immer Ferien. Weg von einem Ort zu kommen. Grundsätzlich also Positives. Deshalb finden sich in meiner Sammlung auch nur wenige Schiffs-Untergänge. Das stellt man sich einfach nicht so gerne vor. Aus demselben Grund habe ich auch sehr wenige Kriegs-Postkarten.

Apropos Krieg: Warum haben Sie auch die Karte mit dem Untertitel „Panzerschiff ,Deutschland‘, paradierend vor dem Führer“ ausgestellt? Finden Sie es nicht problematisch, solche Propaganda zu präsentieren?

Nein. Ich finde, dass man diese Ereignisse nicht verdrängen darf. Ich habe vom Krieg selbst noch ein bisschen mitbekommen als Kind. Mein Vater ist im Krieg gefallen, und ich finde, dass man auf keinen Fall vertuschen soll, wie das Leben wirklich ist.

Aber diese Karte ist – wie auch alle anderen in der Schau – unkommentiert. Fürchten Sie nicht, mit solchen Ausstellungsstücken Militaristen oder Neonazis anzulocken?

Ich glaube, die sind nicht Teil meines Publikums. Ich betrachte dieses Exponat nicht als Propaganda. Wenn es als Propaganda gemeint wäre, hätte man es natürlich kommentieren müssen. Aber so ist es eben einfach mit dabei – als eins von 1.000 Exponaten – als Dokument einer Epoche. Für mich ist das eindringlich genug.

Sie sehen Ihre Aufgabe als Künstlerin also nicht darin, auszuwählen, was Sie zeigen? Sie dokumentieren einfach alles, was Sie zugesandt bekamen?

Ja, ich dokumentiere. Andererseits war mir schon wichtig, diese Postkarte zu zeigen. Ich würde nie für möglich halten, dass man eine solche Postkarte heutzutage noch für rechtsextremistische Propaganda nutzen könnte. Das liegt außerhalb meines Möglichkeitsverständnisses.

Die Ausstellung „Kollektives Schiffspostkartenmuseum“ ist bis zum 5. 11. im Hamburger Museum für Kommunikation zu sehen