Vom Hass der Preußen kaum eine Spur

Verspottet und zurechtgestutzt: Die Stiftung Brandenburger Tor zeigt Napoleon als Opfer früher Karikaturisten

„Little Boney“ ist nicht etwa der Held eines zeitgenössischen Comics, sondern der Spitzname, den sich vor rund 200 Jahren englische Karikaturisten ausgedacht haben, um Napoleon, den Kaiser der Franzosen, aufs rechte Maß zurückzustutzen.

Was wir heute unter politischer Karikatur verstehen, hat seinen Ursprung im England des 18. Jahrhunderts, wo in liberaler Atmosphäre und unter milder Handhabung der Zensur diese neue Kunstform gedeihen konnte. Ihr Stammvater ist der große William Hogarth, der Gier, Korruption und Bereicherungssucht der englischen Bourgeoisie ebenso geißelte wie das Massenelend auf Londons Straßen.

Aus dieser Schule stammt das Dreigestirn James Gillray, Thomas Rowlandson und George Cruikshank. Sie bilden das Rückgrat der Ausstellung „Napoleon! Kunst und Karikatur um 1800“, die gegenwärtig in der Stiftung Brandenburger Tor am Pariser Platz zu sehen ist. Kooperiert hat das Wilhelm-Busch-Museum Hannover, aus dem auch die meisten der Exponate stammen. Das Thema: Napoleon als Gegenstand des Spotts und der Verachtung. Alles sehr Albion-patriotisch bei den englischen Künstlern, aber auch respektlos gegenüber der eigenen Obrigkeit.

Bei den Arbeiten handelt es sich fast durchweg um kolorierte Radierungen. Obwohl sie allesamt auf die jeweilige politische Pointe zusteuern, wird die Szenerie doch beherrscht von einem Gewimmel hinreißend porträtierter Akteure, deren Identität dem heutigen Betrachter allerdings oftmals verschlossen bleibt. Kein möglicher Gegenstand des Spotts wird ausgespart, selbst Napoleons notorisch kleines Zeugungsorgan muss herhalten.

Es finden sich auch traditionell-religiöse Motive, die den Kaiser mit dem Beelzebub in Verbindung bringen, aber der Grundton liegt doch auf der Selbstüberhebung und der Tyrannei Boneys oder Naps, wie er auch genannt wurde. Die Ausstellung kommt nicht ohne Kommentierung der einzelnen Exponate aus, was aber diskret geschieht. Gemälde und Büsten sorgen für Einstimmung ins höfische Ambiente.

Seit Preußens Niederlage gegen Napoleons Heere bei Jena und Auerstädt 1806 hatte Berlin mehrere Jahre eine französische Garnison und stand unter strenger Aufsicht. Auch in den mit Frankreich verbündeten deutschen Rheinbund-Staaten war es unmöglich, sich spöttisch über den Kaiser zu äußern. Deshalb setzt die Kritik mittels Karikatur in den deutschen Staaten erst mit der Niederlage Napoleons Ende 1812 in Russland und dem Schwenk der deutschen Fürsten Richtung antifranzösischer Koalition ein.

Die deutschen Karikaturen sind viel kleinformatiger, konzentrieren sich auf die Pointe, ahmen oft englische oder russische Vorbilder nach. Das gilt natürlich nicht für die Radierungen Johann Gottfried Schadows, kleine Meisterwerke psychologischer Charakterisierung, die als Karikaturen zu bezeichnen allerdings schwer fällt.

Gab es denn überhaupt keine antinapoleonischen Karikaturen in den deutschen Staaten vor der Niederlage Napoleons in Russland? Etwa als Illustration illegaler Pamphlete? Zumindest die Ausstellung zeigt keine. Und was an Produkten deutscher Karikaturisten in der Zeit von 1813 bis 1815 zu sehen ist, folgt eingeschliffenen Mustern: Nap wird barbiert, muss seilspringen etc. Vom lodernden antifranzösischen Hass, der einem aus preußischen Schriften der Befreiungskriege entgegenschlägt, kaum eine Spur.

Meine Lieblingskarikatur in dieser trotzdem sehenswerten Ausstellung zeigt Napoleon auf St. Helena, stolz auf einer Ratte reitend. Sic transit gloria mundi.

CHRISTIAN SEMLER

Bis 3. Dezember, Mo.–Fr. 10–18 Uhr, Sa. & So. 11–18 Uhr, Max Liebermann Haus, Pariser Platz 7