Die Brücke als Investorentraum

Warum die Berliner Brücken zu den wesentlichen Bauaufgaben der Stadt gehören, zeigt eine Ausstellung in der Ingenieur Kunst Galerie – auch wenn sie die interessanten Streitfragen zu aktuellen Brückenprojekten ausblendet

„Fünfzig Meter Mindestabstand zum Spreeufer für sämtliche Neubauten“ fordert der „Initiativkreis Mediaspree Versenken! – AG Spreeufer“. Die Berliner Traufhöhe von 22 Metern solle eingehalten und das Projekt einer neuen Autobrücke über die Spree aufgegeben werden. Konkret geht es der Initiative um die geplante Wiedererrichtung der 1945 gesprengten Brommybrücke, die die Eisenbahnstraße in Kreuzberg mit der auf Friedrichshainer Gebiet gelegenen Mühlenstraße verbinden soll.

Der Architekt Gerhard Spangenberg, dem die taz ihren Neubau verdankt, schlägt eine „bewohnte Brücke“ vor. Eine Art Berliner Rialto in Form eines gläsernen Neubaus, der über den Verkehrsspuren 3.500 Quadratmeter Gewerbefläche bieten soll. Spangenberg ist überzeugt, dass die Brücke mit den gläsernen Überbauten eine einzigartige Adresse für Mieter sein wird, denen die üblichen Bürobauten in Berlin zu langweilig seien und die gut in das Viertel an der Spree passten – Leuten „aus dem Bereich Sport/Fitness“ oder Clubbetreibern. Das klingt nach Männerfantasien – vom supersmarten Architekten, der in Anknüpfung an eine große Vorgabe der Baukunst trickreich endlich auch den kühnsten Investorenträumen genügt.

Und plötzlich sieht man sich mit einem Thema konfrontiert, von dem man gar nicht wusste, dass es eines ist: den Brücken in Berlin. Sicher, eine fehlgeleitete Stadtentwicklung ist kein Problem des Brückenbaus. Doch die Übergänge in einer von Wasser durchzogenen Stadt wie Berlin sind sensible und zugleich markante Punkte. Und vor allem bilden sie, das zeigt schon die Zahl von mehr als 190 Brücken, die seit der Wiedervereinigung der Stadt neu entstanden, eine ihrer wesentlichen Bauaufgaben. Rund eine Milliarde Euro gab der Senat für den Neubau von nur 90 dieser Brücken aus. Das ist derzeit in der von Monika Jocher und Raik Hellwig kuratierten Ausstellung „Berliner Brücken – Neue Verbindungen nach der Wende“ in der Ingenieur Kunst Galerie zu erfahren.

Erst vor kurzem zog die 2005 von Dirk Szutarski gegründete Galerie in die Burgstraße um, direkt ans Wasser und an die Friedrichsbrücke. Achtzehn ausgewählte Neubauten mit ihren jeweiligen Besonderheiten und technischen Raffinessen stellt die Schau anhand von Modellen und Schautafeln vor. Der begleitende Text skizziert Geschichte, Lage und verkehrstechnische Funktion der jeweiligen Brücke. Die ingenieurstechnischen wie städtebaulich-ästhetischen Herausforderungen, die mit den einzelnen Bauten verbunden sind, auch dem Laien zu vermitteln, gelingt ihm freilich nicht. Die Ingenieursprosa aus Fachbegriffen straft das Anliegen der Galerie Lügen, Plattform für eine breitere öffentliche Wahrnehmung von Ingenieursleistungen zu sein. Trotzdem lohnt der Besuch der Schau. Schon weil sie deutlich macht, warum man sich der Brücken so selten bewusst wird – Berlin ist mit ihnen verwöhnt. Jederzeit kann man das Wasser überqueren. Oft über scheinbar alte Brücken, in denen freilich ein ganz und gar moderner Kern steckt. Häufig ist die Rekonstruktion alter Bauteile wesentlicher Punkt der Ausschreibungen.

Am Ende aber sind vielleicht die vielen Fragen, die man plötzlich hat, am interessantesten. Ist der Umgang mit den alten Ingenieursbauwerken wirklich so vorbildlich, wie die Beispiele der Oberbaumbrücke, des Anhalter Stegs oder der Marschallbrücke glauben machen? Deren alten Teile man bewahrte, rekonstruierte und sorgsam mit modernem Tragwerk ergänzte? Ist Tragwerk überhaupt ein Begriff der Kunstgeschichte? Und damit Teil des ästhetischen Kanons, in dem das Erbe der abendländischen Kunst und Kultur tradiert und fortgeschrieben wird? Warum fasziniert eine Brückenkonstruktion auch den Laien, der sie gar nicht richtig würdigen kann, weil er ihre Bauphysik nicht versteht? Und hilft diese ästhetische Faszination nicht oft genug, Fragen nach Sinn und Zweck des Brückenbaus in Hinblick auf eine aus Anwohner- wie aus gesamtstädtischer Sicht sinnvollen Stadtentwicklung zu hintertreiben?

So gesehen fehlt Spangenbergs Modell der Fitness-und-Musikclub-Brücke in der Ausstellung. Der Streitfall, der die Interessen beim Brückenbau deutlich macht. Das Projekt, mit dem sich eine interessierte, weil parteiische Öffentlichkeit jenseits der Fachkreise erreichen ließe. Eine Plattform wie die Ingenieur Kunst Galerie darf diese Diskussion nicht ausblenden. Schließlich kommt auch Spangenberg nicht ohne die Ingenieure aus, und ihre Kunst, mit den Gesetzen der Bauphysik gegen die Gesetze der Physik nicht einfach nur Brückenbau, sondern Brückenarchitektur zu ermöglichen.

BRIGITTE WERNEBURG

Bis 4. 11. Burgstr. 27, Mi.–So. 12–18 Uhr