Reise ins schwarze Brasilien

Das Tournee-Filmfestival „Brasil plural“ macht in dieser Woche Station in Bremen

Ist Brasilien nicht auch ein afrikanisches Land? So absurd wie sie klingt, ist diese Frage gar nicht, denn in keiner anderen lateinamerikanischen Nation ist der kulturelle Einfluss des gegenüberliegenden Kontinents so spürbar wie dort. Die Mehrzahl der Bewohner ist dunkelhäutig, denn in drei Jahrhunderten wurden so viele Millionen Sklaven über den Ozean verschleppt, dass die europäischen Gene schon rein rechnerisch wenig Chancen hatten. Und die Wege von den Sklavenmärkten in Benin und Dahomey zu den Siedlungen in Bahia und Pernambuco waren im Vergleich zu denen in die Karibik oder gar in die Südstaaten der USA so kurz, dass die einzelnen Gruppen von verkauften Menschen eher zusammenblieben und deshalb viel größere Anteile ihrer eigenen Kultur mit hinüberretten konnten. Mit ihrer Musik, den volkstümlichen Kulten, der farbenfrohen Ästhetik und nicht zuletzt der Körpersprache sind die Brasilianer viel weniger europäisch als ihre lateinamerikanischen Nachbarn. Und ihr Karneval hat kaum noch etwas mit den katholischen Wurzeln der Fastnacht zu tun. Aber dieses Erbe, das die Kultur des Landes, seine Rhythmen, sein Flair so fruchtbar bereichert hat, ist den Brasilianern zu einem großen Teil immer noch peinlich, und an diesem Widerspruch arbeiten sich einige der Regisseure ab, deren Filme in dieser Woche im Kino 46 gezeigt werden.

„Schwarzer Atlantik - Auf den Spuren der Afro-Gottheiten“ von Renato Barbieri, der am Samstag um 20.30 Uhr gezeigt wird, ist zum Beispiel eine Dokumentation, in der den Wurzeln der ältesten afro-brasilianischen Volksreligionen wie dem Candomblé, dem Tambor de Mina und dem Voodoo nachgespürt wird. Bei Recherchen in Benin, Bahia und Maranhâo wurdenviele Riten, Tänze, Kultgegenstände und Mythen in Afrika mit ihren brasilianischen Ablegern verglichen, und für ein europäisches Augen sind die Unterschiede dabei oft nur an Details wie dem zu erkennen, dass die Afro-Brasilianer eher dazu neigen, Schuhe zu tragen. Da er offensichtlich als eine Art von Lehrfilm für ein einheimische Publikum produziert wurde, ist er vollgestopft mit Namen, Bezügen und Details, die einen hiesigen Zuschauer schnell überfordern. Da wird vieles als gewusst vorausgesetzt, und ein ästhetisch bedeutendes Werk ist dies sicher auch nicht. Dennoch schaut man zunehmend fasziniert hin, denn die Parallelen sind tatsächlich frappierend, und dramaturgisch geschickt wurde zudem noch eine kleine Detektivgeschichte eingebaut, denn es gibt Hinweise und Spuren dafür, dass die Gründerin eines mächtigen brasilianischen Kultes die einst aus Afrika verschleppte Mutter eines Königs gewesen sein könnte. Und es entbehrt auch nicht einer gewissen Ironie, wenn die Priester zweier verwandter Kulte mit Hilfe des Filmteams zwischen den Kontinenten feierlich Videobotschaften austauschen.

„Die Verleugnung Brasiliens“, der am Freitag um 22.30 gezeigt wird, ist ebenfalls eine Dokumentation, in der das merkwürdige Phänomen untersucht wird, dass in den brasilianischen Telenovelas kaum dunkelhäutige Darsteller zu sehen sind. Fast alle Hauptfiguren und Sympathieträger sind extrem hellhäutig - schwarze Charaktere sind entweder Bedienstete oder negativ besetzte Stereotypen. Neben zwei Kurzfilmprogrammen und dem Spielfilm „Die zwei Söhne Franciscos“ über ein Musikerpaar auf dem Weg zum Erfolg, der 2005 mit fast sechs Millionen Zuschauern der Kinohit des Landes war, steht mit „Iracema“ noch ein 1975 auf der Transamazonica gedrehtes Roadmovie auf dem Programm. Wilfried Hippen