Kolumne Hessen vorn: Der Kulturkampf

Am früheren Favoriten Jürgen Walter (CDU) zieht überraschend Andrea Ypsilanti (SPD) vorbei. Wird die urbane Frau oder der provinzielle Technokrat gewinnen?

"Hessen vorn!" war die Wahlkampfparole des ersten hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn, SPD. Geschlagene 18 Jahre bleibt der stets stark schwitzende Zinn Landesvater, bis 1969. Auch in den 70ern gilt der Claim "Hessen vorn": sozialdemokratische Hegemonie, technologischer Fortschritt, Bildung für alle, Drehkreuz für Europa, heimliche Hauptstadt. Den Regierungssitz Frankfurt verhindert Adenauer, der Alte will am Rhein bleiben. Hessen bleibt vorn, stellt die erste rot-grüne Regierung samt Turnschuhminister. Long ago and far away, seit gefühlten 30 Jahren regiert Roland Kochs CDU. Am 27.Januar wird nun wieder einmal gewählt. Bis dahin an dieser Stelle: "Hessen vorn?" Heute: Die MP aus der WG!

Die SPD-Linke Andrea Ypsilanti möchte Ministerpräsidentin werden. Überraschend hat sie sich gegen den favorisierten Jürgen Walter durchgesetzt. Der wäre der natürliche Kandidat, Technokrat, gute Beziehungen, ein bisschen jünger als Koch, ein bisschen hübscher, sozialer, sympathischer. Kein Antikoch. Zur Freude der CDU wird Ypsilanti gewählt. Wie die schon heißt! Die wird Koch zerquetschen wie eine Fruchtfliege. Ähnlich äußern sich SPD-Hinterbänkler. Gegen Kochs Richard Nixon gibt Ypsilanti das gutwillige, also chancenlose George McGovern-Girl. Der Vietnamkriegsgegner fährt 1972 für die Demokraten eine Rekordniederlage ein.

Aber dann geschieht etwas Merkwürdiges. Plötzlich bekommt die Verlegenheitskandidatin Konturen: Ex-Stewardess, na ja, ist das eine Qualifikation? Service-Kompetenz, Lebenserfahrung, rumgekommen in der Welt, warum nicht? Die bei exlinken Grünen äußerst beliebte Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) hat einen ähnlichen Service-Background. Sie war Arzthelferin.

Und Koch? Mit 14 die Junge Union Eschborn gegründet, seitdem Berufspolitiker. Bester Freund: Dalai Lama. Ypsilanti sammelt Eigenschaften. Auf den neuen Wahlplakaten fehlt die Nana-Mouskouri-Brille, das entkräftet den Intellektuellen-Verdacht. Jetzt sieht sie aus wie die moderne Illner-Will-Frau, mit leichtem Silberblick.

Ihr Schattenkabinett überrascht: ein Bildungsexperte mit Finnlanderfahrung, ein Öko-Veteran mit Bürokratieresistenz, vor allem aber: Frauen! Ein Frauenministerium soll her, Frauensachen sollen nicht im Sozialministerium verschwinden. Sogar das Feminismus-Wort fällt. Die CDU gibt sich herablassend. Koch warnt vor "den Ypsilantis und Al-Wazirs". Tarek Al-Wazir ist Franktionschef der hessischen Grünen und gilt als Parteilinker. Sein Vater kommt aus Jemen. Koch baut wieder auf die xenophoben Reflexe der eingeplackten Bembelhessen. Wie 1999, als die Leute fragen, "wo man hier gegen Ausländer unterschreiben kann". Mit einer Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft hat Koch damals die Wahl gewonnen. Er polarisiert, aber diesmal verzichtet die SPD auf ihren Koch light, sie polarisiert dagegen.

Plötzlich wird Ypsilanti zur Alternative, der Wahlkampf zum Kulturkampf. Urbane Frau gegen provinziellen Patriarchen, Opel-Arbeitertochter mit griechischen Vorfahren gegen altgermanischen Ministersohn. Soft Skills gegen Hard Edge. Ein Clash of Civilizations zwischen Odenwald und Knüllgebirge? Kann gut sein, dass Hessen 2008 doppelt vorn ist: die erste Ministerpräsidentin, die in einer WG lebt. Und der jüngste Politrentner, Herr K., 49. Für die geistig-moralische Gegenwende wird allerdings ein ungeliebter Bündnispartner gebraucht. Eine Mehrheit links der CDU ist ohne die Linkspartei nicht machbar. Ypsilanti schließt eine Koalition mit den Lafontainisten aus. Noch. Aber wenn die über fünf Prozent kommen? Dann wird unser Land sozialistisch, meint Roland Koch.

Im Januar bei "Hessen vorn": Lesbische Kreationistin, trunkene Christin, nackte Sozialdemokratinnen, Roland und die Mädels.

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