Das verkannte Muttertier

Einen Hit hatte er noch nie. Ihn kommerziell erfolgreich zu nennen, wäre gelogen. Aber Bernd Begemann ist der größte Entertainer des Landes. Eine Hommage zum 20-jährigen Bühnenjubiläum des Hamburger Independent-Urgesteins

„Bernd Begemann war nie der Erfinder deutschsprachigen Indiepops, er ist sein Muttertier, das Herz“

VON JAN FREITAG

Der größte Entertainer im Land verkauft T-Shirts. Während James Last kurz nach dem Auftritt vermutlich seine Füße einweicht und Udo Jürgens den Bademantel wechselt, steht Bernd Begemann im dunklen Eck eines verrauchten Hamburger Kiezrandclubs und verhandelt Rabatte für zwei Platten plus Hemd mit Tourbedruck.

Man könnte das Selbstbehauptung eines Liedermachers nennen, Selbstverständnis eines menschlichen Unterhaltungskonzerns, Selbstverortung eines Independent-Urgesteins. Aber es ist ganz einfach Arbeit und der größte Entertainer im Land macht dabei kaum gute Miene zum bösen Spiel. Während sich manches Castingzuchtprodukt schon nach einer Woche Bühnenerfahrung nicht mal die Schuhe allein zu zu binden braucht, muss der 45-jährige Begemann sogar die Verstärker allein abkabeln. Das Konzert ist aus, der Saal leer und sein Lächeln wirkt etwas gequält, als ihn eine sturztrunkene Anhängerin zum gemeinsamen Foto überlallen möchte.

Zu dumm, dass außerhalb seiner Wahlheimat kaum jemand danach fragt, zumindest nicht abseits der Tanzflächen. Niemand versinnbildlicht das Dilemma deutscher Popmusik anschaulicher als Bernd Begemann: Fachlich ist er ein Genie, geboren für die Bühne, ein Virtuose an der Gitarre, ein Gesangstalent mit dem richtigen Gespür für Poesie und Prosa, Komposition und Zuschauerkontakt, ein charismatischer Charmeur mit einer Livepräsenz jenseits aller tradierten Mechanismen. Und doch tendiert sein Bekanntheitsgrad auch nach 20 Jahren im heimischen Showbiz gegen Null, während modellierte PR-Produkte, die alle Bernd Begemanns Kinder sein könnten, nach vier Wochen Kameraerprobung den ersten Hit landen.

Einen Hit hatte Bernd Begemann noch nie, über ein Dutzend Platten in wechselnden Formationen und zahllosen Auftritten zum Trotz. Sicher, ein paar Ohrwürmer hat er im Publikum verhakt – „Judith, mach deinen Abschluss“, die kleine Hymne des Prekariats. Oder „Ich bin gekommen, um zu kündigen“, der offensive Gegenangriff aller Prekären, den Verwertungsmechanismen abhängiger Beschäftigung zu entfliehen – im Zweifel Richtung Freiheit der Selbstständigkeit, wie Bernd Begemann sie selbst lang genug kennt. Dass die Guten dort nicht die Reichen sind, sollte den größten Entertainer im Land eigentlich auf die Palme bringen, um dort mit der Welt zu hadern, seiner Welt, die der Bühnen und Studios.

Ob er also nicht verzweifle, angesichts seiner Erfolglosigkeit, fragen Journalisten folglich gern. So müsse es wohl sein, dachte sich auch das Hochglanzwirtschaftsmagazin brandeins und erhob Begemann zum Protagonisten eines Artikels über die brotlose Kunst des kulturellen Mittelstands. Erfolglosigkeit? „Ich habe eine schöne Wohnung, ich tue, was ich liebe“, sagt er. „Viele Leute, die in den Musikzeitungen gefeiert werden, sagen, dass sie von mir beeinflusst sind.“ Es ist dieser Mix aus Bodenhaftung und Arroganz, Bescheidenheit und Willensstärke, der Bernd Begemann zum größten Entertainer im Land macht.

Dass er das werden würde, hat sich schon tief in den Achtzigerjahren angedeutet, als Schule in Hamburg noch rein pädagogisch konnotiert wurde und Pop englisch gesungen, um nicht Schlager oder Punk zu heißen. Ein hübscher Junge mit mediterranen Augen und schmachtender Stimme erkannte sein Talent früher als andere, emigrierte aus der ostwestfälischen Provinz in die Elbmetropole, um berühmt zu werden. Er gründete das Jungsmusiktrio „Die Antwort“ und nicht wenige behaupten seither, der Name stehe für Aufbruch, sei eine Entgegnung auf die anglophile Belagerung aller Musikgeschmäcker jenseits der Volksmusik. Bernd Begemann also als Bewegungsmelder, eine Art Urschleim der Hamburger Schule? Dass der Begriff erst ein paar Jahre später (in der taz) erfunden werden sollte, als „Die Antwort“ bereits aufgelöst war und vor allem als lokalkolorierter Refrain „Unten am Fluss“ erinnerlich war, ist nur eine unbedeutende Unschärfe in der Legendenbildung um BB.

Immerhin hat er die Substanz der neuen Popwelle nach Hamburg importiert. Die Braut haut ins Auge, Sterne-Sänger Frank Spilker, Jochen Distelmeyer, der Diskurspopnestor von Blumfeld – sie alle und noch einige mehr hat der junge Bernd aus seiner piefigen Schlafstadt Bad Salzuflen an den wummernden Hafen gelotst. Bernd Begemann war nie der Erfinder deutschsprachigen Indiepops, er ist sein Muttertier, das Herz.

„Es sind seine presleyesken Hüftschwünge, die mit jedem Lebensjahr erotischer werden, mit jedem Pfund zuviel lasziver“

Wenn er am Freitag wie so oft die Bühne des Hamburger Knust betritt, wird das aufs Neue klar werden. Nie ohne Anzug, nie ohne Krawatte, stets gut frisiert und bestens gelaunt, mit seiner lakonischen Arroganz, die man ihm als machohaft auslegen könnte, wäre da nicht einmal die Liaison mit der Popfeministin Bernadette La Hengst gewesen, so erzählt man sich wenigstens. Nicht nur dadurch hat sich Bernd Begemann Respekt erarbeitet. Er darf den Saal zum Mitgrölen animieren oder zwei Prollfans in Reihe eins vorschlagen, sich doch bitte selbst zu erschießen, „bevor es ein anderer tut“. Bernd Begemann darf Dinge tun, die die urbane Popszene gern mit Verachtung straft.

Seine Auftritte glänzen nicht allein durch pointierte Texte übers Allabendliche am Großstadtleben, den schmissigen Schlagerfunk seiner Begleitband „Die Befreiung“ oder die teilchoreografierte Kommunikation mit dem Publikum – es sind seine presleyesken Hüftschwünge, die mit jedem Lebensjahr erotischer werden, mit jedem Pfund zuviel lasziver.

Damit füllt Bernd Begemann jede Bühne. Die winzigste in der Pampa ebenso wie die angesagteste von Hauptstadts Gnaden. Der Filmemacher Bastian Günther hat ihm eine Dokumentation gewidmet, benannt nach einem seiner alltagspoetischen Lieder, „Bleib zu Hause im Sommer“. Bernd Begemann hält sich selber nicht daran. Er erklärt einer Handvoll Thüringer mit derselben Leidenschaft, warum er „Kein Glück im Osten“ hat, wie er seinem Heimpublikum „Oh, St. Pauli“ zuhaucht, noch so eine Hymne. Die Süddeutsche hat ihn das Arbeitstier des Showgeschäfts genannt, das von 200 Konzerten im Jahr ganz gut lebt, alle Fäden der Eigenvermarktung in Händen hält, nach stundenlanger Autofahrt zum Auswärtsgig den Ton mischt, drei, vier Stunden alles gibt, anschließend jene Platten, die andernorts die Läden hüten, in stattlichen Mengen verkauft, dann abbaut, abrechnet, abhaut, einschläft. Allein im Hotelzimmer.

„Ich will nichts weiter, als Lieder schreiben und sie vor Publikum singen“, so klingt sein Mantra der Selbstvergewisserung, Schön, dass man Erfolg nicht allein bei der Gema misst, sondern manchmal auch im Bauch – des größten Entertainers im Land.

Bernd Begemann: 6. März, Osnabrück - Lagerhalle, 7. März, Hamburg - Knust. Neue Platte: glanz (tapete Records)