Fragen des Preises

Ein Gefühl, das man für Liebe halten könnte: „Der Begleiter“, Norbert Krons kluger Roman über Käuflichkeit und Bindungen

VON JÖRG MAGENAU

Der erste Satz eines Romans muss sitzen. Zumal dann, wenn es sich um eine Liebesgeschichte handelt. Es muss nicht gleich die berühmte „Liebe auf den ersten Blick“ sein, doch mit dem ersten Blickkontakt fängt es nun mal an.

In Martin Walsers aktuellem Roman über Goethes Liebe zu Ulrike von Levetzow ging der erste Satz in modellhafter Verknappung so: „Bis er sie sah, hatte sie ihn schon gesehen.“ Norbert Kron braucht etwas mehr Zeit und Worte, bietet aber auch gleich mehr Details: „Als er sie in der Lobby des Adlon zum ersten Mal sah, eine Frau in sportlichem Hosenanzug, die mit dem Mantel über dem Arm zur Drehtür hereineilte, kam er überhaupt nicht auf den Gedanken, dass sie die Frau sein könnte, mit der er verabredet war.“

Der Anfangssatz enthält schon die gesamte Merkwürdigkeit eines Zusammentreffens, bei dem sich latentes Begehren, Geschäftsmäßigkeit und ein Zeitstau der Ereignisse seltsam überlagern. Alexander Felitsch, der als nur mäßig erfolgreicher Kulturjournalist kaum sein Auskommen findet, arbeitet nebenbei für eine „Begleitagentur“. Indem er mit reichen Damen in die Oper oder zu Abendgesellschaften geht, verdient er bald sehr viel mehr Geld als durch seine Schreibbemühungen. Die Nebensache wird zur Hauptsache. „Felix“ nennt er sich in seiner Funktion als Begleiter, in der er durchaus glücklich zu sein scheint. Felix ist seit Thomas Mann aber auch der Name des Hochstaplers.

Bald entscheidet er sich, den nächsten Schritt zu gehen und sich auch für sexuelle Dienstleistungen buchen zu lassen. Kron beschreibt die Arbeit des Callboys sehr genau bis in jede Peinlichkeit und ins Entstehen einer sexuellen Gier hinein, die „Felix“ auch vor sich selbst glaubhaft machen muss, um erfolgreich zu sein. Gefühle zu simulieren heißt, sie zu erzeugen. Jedenfalls muss eine körperliche Reaktion erfolgen. Die Prostitution gelingt. Sie lohnt sich in jeder Hinsicht. Das Leben wird interessanter. Und siehe da, auch die journalistischen Geschäfte laufen besser, wenn man bereit ist, läppische Themen an dümmliche Zeitungen zu verkaufen.

Doch so weit ist es noch nicht bei der Auftaktszene im Adlon. Liss Vonhofen, die da zur Tür hereinkommt, ist eine geheimnisvolle Frau, sehr schön und sehr reich. Sie bezahlt zwar einen Begleiter, ist zugleich aber von äußerster Zurückhaltung: Die Nähe, die sie sucht, korrespondiert mit der Distanz, die sie schafft. Vielleicht liegt es daran, dass Alexander, der seine Gefühle ansonsten professionell zu dosieren versteht, bald von ihr besessen ist. Nach einer zweiten Begegnung bucht sie ihn als Reisebegleiter, erst nach Italien, dann noch Los Angeles, wo sie in einer grandiosen Villa lebt. Schwer zu sagen, ob das, was sich da abspielt, als Liebesgeschichte zu bezeichnen ist. Am Ende bemerkt der Erzähler lakonisch, es sei „niemals darum gegangen, ein gemeinsames Ziel zu erreichen – sondern sich gegenseitig auf einer Reise zur Seite zu stehen, die sie beide an einen neuen Punkt in ihrem Leben führte“. Oder ist gerade das die Beschreibung einer Liebesbeziehung?

Norbert Kron untersucht auf raffinierte Weise Beziehungen, die als Vertrag auf Zeit abgeschlossen werden, und stößt damit ins Zentrum gesellschaftlicher Übereinkünfte vor. Wenn alle Beziehungen der Menschen zueinander ökonomisch geregelt sind, warum dann nicht auch die Liebe? Ist nicht jede Beziehung ein Tauschgeschäft der verschiedenen Bedürfnisse? Für Alexander ist es bald nicht mehr möglich, die Grenze zwischen geschäftlicher Pflichterfüllung und eigenen Bedürfnissen zu ziehen. Liss stellt ihm die entscheidende Frage: Ist alles nur eine Frage des Preises? Bist du bereit, für Geld alles zu tun? Daneben zeichnet Kron zwei andere Beziehungen Alexanders nach: Da ist seine Exfreundin, an der er immer noch hängt, und seine gegenwärtige Freundin, mit der er eine von Bindungsangst geprägte Freundschaft unterhält. Mit ihr gilt ein striktes „Übernachtungsverbot“, das auf der Einsicht basiert, dass es etwas ganz anderes, Tieferes ist, zusammen einzuschlafen und die Nacht beieinander zu verbringen, als Sex zu haben und dann zu gehen. Das Vertrackte an dieser Konstellation besteht darin, dass gerade die käufliche Beziehung für Alexander die verlockendste ist.

Krons „Begleiter“ ähnelt in seiner Lebenssituation als Journalist dem Helden von Ulrich Peltzers hoch gelobtem Roman „Teil der Lösung“. Er teilt mit ihm die Orientierungslosigkeit und eine Unabhängigkeit, die er eher als Last denn als Freiheit empfindet. Krons Held ist weniger politisch als vielmehr erotisch orientiert. Das ändert nicht viel. Es entsteht das generationentypische Bild eines Mannes, der keine Zeit hat, Zukunftsvorstellungen zu entwickeln, und deshalb bereit ist, sich zu verkaufen: „Ob Brot backen in Portugal, investigativen Journalismus machen, einen alten Manager lieben oder reiche Frauen begleiten – in diesem Land war alles gleich gut.“ Kron schildert das ohne moralischen Anklagegestus, ja vielmehr so, dass aus der Käuflichkeit heraus etwas Kostbares entsteht: ein Gefühl, das man für Liebe halten könnte. Er sympathisiert mit seinem Helden und bleibt als Erzähler stets dicht bei ihm in seiner Verführungskunst, Verführbarkeit und Verletzlichkeit. Mit „Der Begleiter“ hat er einen klugen Roman über das Verhältnis von Mann und Frau geschrieben.

Norbert Kron: „Der Begleiter“. DTV, München 2008, 272 Seiten, 11,95 Euro