„Was Geist ist, kann ich nicht sagen“

Mit einem neuen Master-Studiengang Neuroscience trägt die Universität Bremen dem Trend der Hirnforschung Rechnung: Er soll Brücken schlagen von der Chemie über die Anatomie bis zur Philosophie – und käme in Bedrängnis, wenn die umstrittenen Makaken-Versuche nicht wieder genehmigt werden

KLAUS PAWELZIK, 49, ist Professor für theoretische Physik an der Abteilung Neurophysik der Uni Bremen. FOTO: Uni Bremen

INTERVIEW BENNO SCHIRRMEISTER

taz: Herr Pawelzik, Sie sind Physiker. Wie sind Sie zum Hirn gekommen?

Klaus Pawelzik: Ähem.

Als Forschungsgegenstand!

Das ist ein reiner Zufall. Ich war in Frankfurt als Diplomand mit Chaosforschung beschäftigt. Damals wurde im Max-Planck-Institut an Katzen entdeckt, dass sich in der Hirnrinde Oszillationen in Abhängigkeit von dem, was die Tiere sehen, ereignen.

Also ein von den Neurobiologen entdecktes Phänomen?

Genau. Und die sind auf uns Physiker zugekommen und haben gefragt: Ist das Chaos? Ich hatte dann die Daten mit den Methoden der Physik zu analysieren. So bin ich da reingerutscht …

und sind jetzt als Professor für Theoretische Physik am neuen Bremer Studiengang Neurosciences beteiligt, der von vornherein einen interdisziplinären Ansatz verfolgt. Ist das der neue Trend der Hirnforschung?

Ja, würde ich frech behaupten. Ein Hauptproblem der Hirnforschung ist, dass sich extrem viele Disziplinen mit diesem komplexen System Gehirn beschäftigen: In dem spielen Prozesse auf den unterschiedlichsten Skalen eine Rolle – von der Verhaltensleistung, bei der das gesamte System beteiligt ist, etwa wenn Sie Radfahren lernen, bis hin zu Molekülen, die an speziellen Stellen im Nervensystem eingreifen. Alkohol zum Beispiel ist chemisch gesehen ein sehr kleines Molekül – und kann verheerende Wirkungen haben. Entsprechend viele Wissenschaften beschäftigen sich mit sehr speziellen Problemen – und verlieren dabei leicht die große Frage aus dem Auge. Der neue Trend ist es, Brücken zu schlagen zwischen den Einzeldisziplinen wie Chemie, Biophysik, Anatomie, Physiologie, Psychologie bis hin zur Philosophie.

Kommt da das alte Konzept vom Geist wieder auf?

Was Geist ist, kann ich nicht sagen. Was ich sagen kann ist: Man darf nicht vergessen, dass Lebewesen mit Gehirnen eingebettet sind in eine Welt. Man kann das Hirn nicht verstehen, wenn man nicht sozusagen die Welt versteht, also die Wechselwirkung zwischen Wahrnehmen und Verhalten: Ich baue diese Welt mit in mein Gehirn ein, und die Welt wird sozusagen Teil meines Gehirns. Wir sind geistige Wesen, weil das Geistige ein Teil unserer Welt ist. Ohne Geist könnte ich zum Beispiel nicht hier sitzen, und mein Geld damit verdienen, Interviews zu geben.

Hoppla, wir hatten aber kein Honorar ausgemacht …

Nein, aber trotzdem, das ist ein Teil meines Jobs. Es gehört zu meinem Job dazu, geistig zu sein. Evolutionär hat sich herausgebildet, dass diese Eigenschaft günstig ist für den reproduktiven Erfolg. Jetzt nicht persönlich für mich, sondern für die Spezies Mensch.

Das nennt man wohl Grundlagenforschung. Die ist aber in Bremen – in Gestalt der Makakenversuche von Andreas Kreiter – umstritten: Scheitert der neue Studiengang, wenn die nicht genehmigt werden?

Wenn man diesen worst case ins Auge fasst …

immerhin ein erklärtes Ziel der Landespolitik …

… bekämen wir erhebliche Schwierigkeiten. Weil wir mit Professor Michael Koch noch Tierversuche an Ratten da haben, wäre zwar die elementare Ausbildung noch gesichert. Aber bei den kognitiven Aspekten ist man damit schnell am Ende: Wenn wir etwas über den Menschen herausfinden wollen, müssen wir uns dem Menschen nähern – von der Tierseite her. Oder wollen Sie etwa Operationstechniken am Menschen ausprobieren?

Die Anwendbarkeit ist doch vorgeschoben – der Tierrechtsbund Aktiv hat gerade erst mitgeteilt, der medizinische Nutzen von Kreiters Forschung sei „gleich null“.

Das ist ausgemachter Quark. Wir haben uns zum Beispiel gegen viele Konkurrenten durchgesetzt im Innovationswettbewerb Medizintechnik. Bei dem Projekt, das jetzt vom Forschungsministerium gefördert werden soll, geht es darum, auf neue Art Daten aus dem Gehirn zu bekommen, nämlich drahtlos. Dafür arbeiten wir mit Professor Christian Elger aus Bonn zusammen – das ist der deutsche Epilepsie-Neurologie-Papst – und mit einem der führenden EEG-Geräte-Hersteller. Das Ziel ist ganz konkret: mit einem Gerät Menschen mit Epilepsie eine langfristige diagnostische Überwachung zu ermöglichen, eventuell auch therapeutisch einzugreifen und schließlich mit den Hirn-Daten zu erkennen, was der Patient denkt: Wenn ein Gelähmter seinen Arm gerne bewegen will, kann ich die Daten nutzen, um ihn dabei zu unterstützen – oder sogar eine Prothese zu steuern.

Klingt wie Science Fiction.

Ist es aber nicht. In Tierversuchen ist es gut demonstriert, dass das geht.

Das weckt aber auch wieder Ängste – in Richtung: Manipulation des Denkens. Oder ist das ein bloßes Horrorszenario?

Die gute Nachricht ist: Davon sind wir noch sehr weit entfernt. Es bleibt aber eine bedenkenswerte Entwicklung auch da, wo wir bereits jetzt ins Hirn eingreifen – weil das unser unser Menschenbild betrifft: Wenn ich mich als Persönlichkeit verändere – wer bin ich dann noch? Bloß setzt diese Furcht voraus, dass wir vorher gewusst hätten, wer wir sind.