Die Metaphysik des Klangs

In seiner Ausstellung „Hören hören“ im Haus am Waldsee macht Peter Ablinger die Welt hörbar: mittels selbstspielenden Klaviers und Muscheln, die im Dreiklang rauschen

Ein kleines Schild fordert den Besucher dazu auf, die Hand als Trichter hinter die Ohrmuschel zu legen. Dadurch verwirbelt sich der Schall am Kopf. Der akustische Hintergrund, der Verkehrslärm und das Murmeln der Besucher, verliert sich am akustischen Horizont, während sich das leise gefilterte Rauschen, das als unterschwellige Irritation im Raum installiert wurde, plötzlich aus den Ecken und Winkeln zu kriechen scheint: Der Finger wird zum Filter.

In einem anderen Raum liegen drei Muscheln in einer Vitrine. Wer sie sich nacheinander ans Ohr hält, bemerkt, dass jeder Muschel ein eigener Ton innewohnt und dass diese drei Töne zusammen einen Dreiklang bilden: „3 Schnecken in E-Dur“ heißt das Werk. Schön daran sind nicht nur die Muscheln und die Tatsache, dass sich jemand die Mühe gemacht hat, derart aufeinander abgestimmte Exemplare dieses Schalentieres zu finden, sondern eben auch der Klang an sich, das trübe Rauschen, aus dem der verschleierte Ton wie eine ferne Stimme heraustritt: Tonalität als Naturerscheinung.

Peter Ablinger ist der große Metaphysiker unter den Gegenwartskomponisten. Er sagt: „Die Musik beobachtet die Wirklichkeit.“ Und: „Die Klänge sind da, um zu hören.“ Das sind verrätselte Sentenzen, die das herkömmliche Musikverständnis ins Wanken bringen. Für den österreichischen Komponisten mit Wohnsitz im Wedding ist der Klang nicht einfach Material, sondern ein eigenständiges Subjekt. Mit Vorliebe schafft Ablinger deshalb Situationen, in denen die Musik die Wirklichkeit auf ungewöhnliche Weise rastert und uns einen neuen Blick auf die Dinge gewährt.

Dabei muss man seine Ohren aber schon ein wenig aufrichten: Auch die monströsen Kopfhörer mit integrierten Mikrofonen und einem kleinen Verstärker wirken auf den ersten Blick vollkommen banal. Man hört, was man auch sonst hören würde, nur ein wenig lauter. Wer dann aber in den Garten hinaustritt, über den knirschenden Kies schlurft und sich schließlich in dem rauschenden Leinentuch-Labyrinth „weiss/weisslich“ verliert, der ahnt, was es hieße, sich in der Welt nicht optisch, sondern akustisch zu orientieren. Man merkt all diesen Stücken an, dass Ablinger auch Maler ist und war. Der studierte Jazzpianist und Grafiker hat sich zunächst mehr für die bildende Kunst interessiert. Irgendwann einmal seien ihm aber „die Bilder ausgegangen“ und nur mehr der Klang übrig geblieben.

Die Arbeiten, die das Haus am Waldsee jetzt in einer vielseitigen Werkschau zeigt, führen die unterschiedlichen Strategien vor, mit denen Ablinger die Welt akustisch auflöst. Neben den Wahrnehmungsirritationen stehen komponierte Werke, darunter „A Letter From Schoenberg“. Dieses kurze „Lesestück mit Selbstspielklavier“ wird nicht von einem Pianisten gespielt, sondern von einem Computer, der Finger-ähnliche Stifte in die Tasten jagt.

Seit Jahren arbeitet Ablinger daran, Sprache und Sprechen in Musik zu verwandeln, indem er Frequenzspektren analysiert und dann in Notenwerte übersetzt. Natürlich kann das Klavier die menschliche Stimme nicht nachahmen. Aber die aggressiven Tontrauben, die die Mechanik des selbstspielenden Instruments in die Tasten stanzt, gleichen dem Tonfall der Wut („you are not only a bugger …“), der Schönberg sich in einem Brief Luft verschafft. Infolge der Wucht, der Geschwindigkeit und der Dichte, mit denen die mechanischen Finger auf die Tastatur schlagen, entstehen akustische Ballungen, die an ein Tonbandstück oder eine Orgel erinnern. Ein Klavier ist nur so lange ein Klavier, wie man darauf auch Klavier spielt.

Das Haus am Waldsee, eigentlich ein Ausstellungsort der bildenden Künste, leiht mit seinen geräumigen Sälen, dem einladenden Garten und seinem lauschigen See den Stücken den Glanz des magischen Ortes: Das Schilf rauscht, der Verkehr summt, die Besucher murmeln.BJÖRN GOTTSTEIN

Argentinische Allee 30. Bis 3. August