Kolumne Lidokino: Das Kino am Ende der Moderne

Bei den Filmfestspielen in Venedig steht das radikale Autorenkino neben Entertainment und den "guilty pleasures" der B-Filme.

Was Marco Müller der Filmbiennale an einleitenden Worten mit auf den Weg gibt, klingt in jedem Jahr ein bisschen esoterisch. So theoretisch hält der Direktor des Festivals das Vorwort zum Katalog, dass man sich an den Jargon erinnert fühlt, den manche Kuratoren in Ausstellungskatalogen pflegen. Hat man sich durch die schweifenden Sätzen hindurchgearbeitet, bleiben nichtsdestoweniger zwei, drei kluge Gedanken. In diesem Jahr verabschiedet sich Müller mit einiger Emphase von der Idee, das Kino sei ein unfehlbarer Kompass, ein Navigationsinstrument durch die Gegenwart. Stattdessen gelte es etwas Entscheidendes zu begreifen: Das Kino, Medium der Moderne par excellence, befinde sich wie die Moderne auch im Stadium der Historisierung. Was bleibt, was kommt? Die Vielfalt der Formen, schreibt Müller, und die gestalte sich während der Biennale "mit Absicht widersprüchlich". Das Festival suche nach Antworten auf das Ende der Moderne dort, wo die "notwendige Moderne" nie ganz angekommen sei, also in den Ländern des Südens und des Ostens.

Man kann wenig falsch machen, wenn man zum Auftakt eines Festivals die Vielfalt als Programm annonciert. Vielfältig ist jedes Filmfestival per definitionem. Die Mostra internazionale darte cinematografica ist es noch ein bisschen mehr als die Festivals von Cannes und Berlin, weil sie, seit Müller sie leitet, das radikale Autorenkino neben das Entertainment und die "guilty pleasures" der B-Filme stellt. Ein mehrstündiges Epos des philippinischen Regisseurs Lav Diaz kommt in Venedig ebenso zur Geltung wie Adriano Celentanos Musical "Yuppi Du" aus dem Jahre 1975; Animationsfilme aus Japan finden sich neben neuen Werken altgedienter Europäer wie Manoel de Oliveira.

Der Eröffnungsfilm stammt von Joel und Ethan Coen und heißt "Burn After Reading". Es handelt sich um eine Komödie, in der CIA-Agenten, Fitnesstrainer und Ehebrecher ein großes Durcheinander anrichten. Brad Pitt, George Clooney, Tilda Swinton, John Malkovich und Frances McDormand spielen mit. "Burn After Reading" läuft außer Konkurrenz. Die Ehre, den Wettbewerb zu eröffnen, fällt einem neuen Film Takeshi Kitanos zu, "Akires to kame" ("Achilles und die Schildkröte"). Auffällig ist, dass einige Filme, die klassische Kandidaten für den Wettbewerb wären, außer Konkurrenz laufen - Claire Denis "35 Rhums" beispielsweise oder Abbas Kiarostamis "Shirin".

Insgesamt konkurrieren 21 Filme um den Goldenen Löwen, darunter zwei von deutschen Regisseuren: "Jerichow" von Christian Petzold und "Nuit de chien" von Werner Schroeter. Möglicherweise ein Zugeständnis an die italienische Filmbranche ist der Umstand, dass gleich vier italienische Produktionen im Wettbewerb vertreten sind, neben der ohnehin umfangreichen Präsenz des italienischen Kinos quer durch die übrigen Sektionen. Unter dem Titel "These Phantoms: Italian Cinema Rediscovered" tritt zum Beispiel die Retrospektive an, vergessene italienische Filme aus den Jahren von 1946 und 1975 vorzustellen, unter anderem solche, die sich nicht dem Neorealismus verschreiben, sondern die Erfahrung von Krieg und Nachkrieg mit den Formen des Melodramas zu bewältigen suchen.

Aus asiatischen Ländern, Müllers liebstem Kinoterrain, kommen vier Wettbewerbsbeiträge - der bereits erwähnte Film von Kitano, daneben die Zeichentrickfilme "Gake no ue no Ponyo" ("Ponyo on Cliff by the Sea") von Hayao Miyazaki und "The Sky Crawlers" von Mamoru Oshii und der in Brasilien angesiedelte, von dem chinesischen Regisseur und Kameramann Yu Lik-wai gedrehte Film "Dangkou" ("Plastic City").

Aus den USA schließlich, hieß es kürzlich in der englischen Zeitung Guardian, könne man wenig erwarten. Denn durch den Streik der Drehbuchautoren sei die Filmproduktion beeinträchtigt; die Produzenten würden das, was sie haben, für Starttermine im November und Dezember zurückhalten. Trotzdem laufen im Wettbewerb nicht weniger als fünf Filme: Darren Aronofskys "The Wrestler" mit Mickey Rourke in der Hauptrolle eines alternden, herzkranken Wrestlers, Guillermo Arriagas an Erzählsträngen reiches Drama "The Burning Plain", Kathryn Bigelows Kriegsfilm "The Hurt Locker", Amir Naderis "Vegas: Based on a True Story" und Jonathan Demmes Familiendrama "Rachel Getting Married".

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.